Seit Monaten kämpfen die Ukraine und Russland um die Kleinstadt Bachmut im Osten der Ukraine. Schon jetzt ist die Kleinstadt so zerstört, dass sich Bachmut kaum mehr nutzen lässt. Doch Putin will Bachmut unbedingt und Selenskyj ruft zum Durchhalten auf. Militärexperte Gustav Gressel erklärt, was für beide Seiten auf dem Spiel steht.
Die Bilder, die aus Bachmut um die Welt gehen, zeigen eine Stadt in Trümmern. Zerbombte Häuser, die kaum noch bewohnbar sind, ausgebrannte Autowracks. Nur noch wenige tausend Menschen leben in der Stadt, vor Kriegsbeginn waren es einmal 75.000. Die Lage in der seit Monaten umkämpften Kleinstadt im Gebiet Donezk ist unübersichtlich: Die russischen Truppen drängen von drei Seiten in die Stadt.
Die Ukrainer sollen weite Teile der Stadt halten, Wagner-Truppen unter Jewgeni Prigoschin melden die komplette Eroberung der östlichen Seite. Berichten zufolge gelang es den russischen Streitkräften am Donnerstag (9. März), auch nordwestlich von Bachmut vorzudringen und das Dorf Dubovo-Vasylivka in etwa sechs Kilometern Entfernung vollständig einzunehmen. Eine komplette Eroberung gelang bisher noch nicht, wohl aufgrund von Soldaten- und Munitionsmangel.
Beide Seiten kämpfen erbittert um die ostukrainische Kleinstadt und nehmen hohe Verluste in Kauf. In dem Krieg, der seit über einem Jahr andauert, tobt der Kampf um Bachmut am längsten. Warum ist Bachmut so wichtig?
Darum ist Bachmut für Russland so wichtig
Aus Sicht von Moskau ist ein Sieg in Bachmut entscheidend für den weiteren Verlauf des Krieges. Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu sagte, die Kontrolle über Bachmut werde "neue offensive Einsätze in der Tiefe gegen die Verteidigung der Streitkräfte der Ukraine ermöglichen".
Diesen Punkt hält auch Militärexperte Gustav Gressel für entscheidend: "Bachmut steht im Weg, wenn man weiter Richtung Kramatorsk vorstossen will." Die Russen hätten in bzw. um Bachmut schon einen Brückenkopf über einen Fluss geschlagen. "Von dort aus ist zu erwarten, dass man weiter Richtung Kramatorsk angreifen wird", sagt Gressel.
Es handele sich um den Sektor an der Donbass-Front, wo die Russen am weitesten gekommen seien. "Hier haben sie viele Durchbrüche erzielt. Zwar alle nur lokal und klein, aber sie haben sich auch summiert", beobachtet er. Bachmut sei daher die einzige Angriffsrichtung, aus der die Russen in den Donbass weiterkommen könnten. "Und das Nehmen des Donezker Oblasts ist das unmittelbare, operative Ziel", erinnert Gressel.
Symbolische Bedeutung
Für Russland ist Bachmut ausserdem ein Symbol. Seit Monaten gelingt es Moskau nicht, eine Kleinstadt einzunehmen. Der Druck, einen Sieg zu präsentieren, wächst. So sagte auch
Russlandintern ist Bachmut auch Schauplatz von Streitigkeiten. Die Wagner-Truppen, die sich zu grossen Teilen aus ehemaligen Strafgefangenen rekrutieren, spielen eine wichtige Rolle im Kampf um Bachmut. Sie reklamieren Siege in und um Bachmut öffentlich für sich, kritisieren die Kreml-eigenen Truppen und sorgen damit für Unmut von Putin. Ob das Duell mit Putin wirklich besteht, oder eher ein Schaukampf ist, bewerten Beobachter unterschiedlich. Manche meinen, es gehe Putin vor allem um persönliche Profilierung.
Darum ist Bachmut für die Ukraine so wichtig
Die Ansage des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj klang unmissverständlich: "Es gibt keine andere Möglichkeit. Ich habe dem Oberkommandanten gesagt: Finde alle verfügbaren Kräfte, um den Soldaten in Bachmut zu helfen", sagte er. Wie US-Medien berichten, habe Selenskyj seine Entscheidung verteidigt, ukrainische Streitkräfte in Bachmut kämpfen zu lassen.
Zum einen argumentiert er mit dem drohenden "Durchmarsch" der Russen. Denn sollte Bachmut eingenommen werden, könnten weitere Städte folgen. "Sie könnten nach Kramatorsk gehen, sie könnten nach Slowjansk gehen, es wäre eine offene Strasse für die Russen nach Bachmut zu anderen Städten in der Ukraine, in Richtung Donezk", sagte Selenskyj im Interview mit "Politico".
Keine grossen Kämpfe in Ortschaft
Militärexperte Gressel sagt: "Es ergibt für die Ukrainer grundsätzlich Sinn, in Ortschaften zu verteidigen, weil man die Russen in den Nahkampf zwingt und sie mehr Kräfte einsetzen müssen, um die Ortschaften zu erobern." Die Russen schickten aber bereits jetzt keine grossen Infanterieverbände mehr in Ortschaften hinein. "Sondern sie versuchen, in den Norden und im Süden durchzustossen und die Ukraine zur Aufgabe der Ortschaft zu zwingen", analysiert er.
Damit ergebe sich für die Ukraine die Frage: Wie lange ist das Festhalten an der Ortschaft noch sinnvoll? Gressel sagt: "Man erzielt in Bachmut kein gutes Abnutzungsverhältnis mehr, weil in der Ortschaft selbst keine grossen Kämpfe mehr stattfinden." Diese würden im Umland stattfinden. "Da könnte man sich eigentlich auch auf die starken Stellungen der Ukraine hinter Bachmut konzentrieren und Bachmut aufgeben", meint er.
Sorge um die 93. Brigade
Die Lage der Ukraine sei aber durchaus schwierig. "Wenn die Russen noch einen Durchbruch schaffen, dann haben sie quasi die Stadt vom Nachschub abgeschnitten", sagt Gressel. Das könnte fatale Folgen haben: "In der Stadt sitzt neben Territorialverteidungskräften auch die gesamte 93. Brigade. Das ist eine ganz wichtige Elitebrigade der ukrainischen Armee", erinnert Gressel.
Wenn man sie in Bachmut verlieren würde, sei das ein horrender Verlust. Auch für die Ukraine ist Bachmut darüber hinaus zu etwas Symbolischem geworden. "Es geht vor allem um die Kampfmoral", beobachtet Gressel.
Frontlinie verkürzen
Dabei könnte es aus seiner Sicht auch Vorteile haben, sich aus Bachmut zurückzuziehen. "Wenn die Ukraine Bachmut aufgeben würde, würde sie dieselben Schlachten einfach eine Linie weiter hinten führen und die Russen würden mit genauso viel Material und Feuerkraft versuchen, dort durchzubrechen", merkt er an. Die ukrainische Linie wäre aber kürzer. "Bachmut ist aktuell quasi ein Zipfel, der in die russische Front hineinsteht.
Die Flanken zu schützen konsumiert mittlerweile relativ viele Kräfte", erklärt er. Würde man das "abschneiden", wäre die Front kürzer. "Man würde sich mindestens zwei Brigaden sparen, die dann beispielsweise als Reserve verwendet werden können", sagt Gressel. Mit einer kürzeren Front gehe auch ein niedrigerer Munitionsverbrauch einher. Das sei für die Ukraine, die einen Munitionsmangel für alle Kaliber hat, extrem wichtig.
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