- Bereits seit Juni sind in der Ukraine mehrere US-Raketenwerfer des Typs Himars im Einsatz.
- Die ukrainische Armee versucht damit vor allem Militärdepots der russischen Truppen in den besetzten Gebieten zu zerstören.
- Die Ukraine schwärmt von den Systemen – und hofft, dass sie die Wende im Krieg gegen Russland bringen.
Seit Ende Juni hat die Ukraine einen Trumpf in der Hand, um die russischen Invasionstruppen unter Druck setzen zu können: das US-amerikanische Raketenwerfersystem Himars, kurz für High Mobility Artillery Rocket System. Nach deutschen Haubitzen kann die Ukraine nun auch mehrere dieser hochmobilen Waffen in ihrem Verteidigungskampf gegen Russland einsetzen.
Der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow äusserte sich am Tag der Lieferung äussert optimistisch zu den Fähigkeiten der "mächtigen Werkzeuge": "Der Sommer wird heiss für die russischen Besatzer. Und für einige von ihnen der letzte", twitterte er. Vieles deutet mittlerweile darauf hin, dass Resnikow mindestens zum Teil recht hat.
Die ukrainischen Streitkräfte setzen Himars laut eigener Aussage gezielt gegen strategisch wichtige Zeile ein, vor allem gegen russische Militärdepots und Kommandozentralen sowohl in den Regionen Luhansk und Donezk im Donbass als auch in Cherson in der besetzten Südukraine. Das Ziel all dieser Attacken: Kommunikation und Koordination entscheidend stören sowie den Nachschub der russischen Truppen und damit deren weiteren Vormarsch stoppen, unter Umständen die Angreifer sogar zurückdrängen.
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US-Raketenwerfer könnte russische Logistik empfindlich stören
Der Chef der von Russland als Staat anerkannten Region Luhansk, Leonid Passetschnik, gab am Mittwoch zu, dass US-System Himars die Sicherheit der "Volksrepublik" bedrohe. "Zum Glück haben sie nicht viele solcher Waffen, deshalb gibt es überhaupt gar keinen Grund zur Panik", sagte Passetschnik der Moskauer staatlichen Nachrichtenagentur Tass.
Russischen Militärexperten zufolge hätten die US-Raketenwerfer allerdings das Potenzial, die russische Logistik empfindlich zu stören, wie der "Spiegel" berichtet.
Himars ist klassischen Artilleriesystemen überlegen
Die Himars-Raketenwerfer werden vom US-Rüstungsunternehmen Lockheed Martin hergestellt und auf Lastwagen montiert. So können die Systeme von der dreiköpfigen Mannschaft einfach und schnell verlegt werden. Bisher haben die USA der Ukraine acht der Mehrfachraketenwerfer geliefert. Vier weitere Systeme sollen Teil eines neuen Waffenpakets im Wert von rund 400 Millionen US-Dollar sein, wie eine hochrangige Vertreterin des US-Verteidigungsministeriums vergangenen Freitag verkündete.
Die Himars der ukrainischen Streitkräfte können gleichzeitig bis zu sechs präzisionsgelenkte Raketen auf Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung abfeuern. Sie erlauben damit der ukrainischen Armee aus grösserer Entfernung Angriffe auf die russische Armee, ohne selbst in Reichweite der russischen Artillerie zu sein. Klassische Haubitzen, sowohl westlicher als auch russischer Bauart, können ihre Geschosse kaum über 40 Kilometer hinaus schiessen. Ein weiterer Vorteil ist die wesentlich höhere Zielgenauigkeit (und damit auch weniger zivile Opfer in den besetzten Gebieten), so kann etwa die Flugbahn noch während des Fluges korrigiert werden.
Technisch können die Raketenwerfer zwar ebenso Boden-Boden-Raketen vom Typ Atacms mit einer Reichweite von 500 Kilometern verschiessen – und damit theoretisch Ziele im russischen Hinterland erreichen. Washington verzichtete jedoch vorerst darauf, der Ukraine diese Langstreckenwaffen zu liefern, um eine weitere Eskalation des Krieges zu vermeiden.
Zerstörte Munitionslager weit hinter der Frontlinie
Experten vermuten, dass die ukrainische Armee mit Hilfe der Himars bereits etwa ein Dutzend russische Munitionslager oder mehr weit hinter den Frontlinien zerstört hat. Die Systeme stehen zudem Berichten zufolge im Zentrum der Gegenoffensive, die die Ukraine auf das von russischen Truppen besetzte Gebiet Cherson begonnen hat. So wurde damit wohl am Montag ein russisches Waffenlager in der Stadt Nowa Kachowka angegriffen.
Mit Blick auf die Ostukraine versicherte ein Vertreter des Pentagon, die Himars-Raketenwerfer hätten im Donbass "die Fähigkeit der Russen deutlich gestört, weiter einzumarschieren". Die russische Armee mache im Osten der Ukraine nur "begrenzte" und "sehr kostspielige" Fortschritte bei ihrem Eroberungsfeldzug. "Sie sind weit hinter ihrem Zeitplan zurück", sagte der US-Vertreter.
Auch der ukrainische Verteidigungsminister Resnikow erklärte am Wochenende auf Twitter, dass die Himars "auf dem Schlachtfeld bereits einen grooossen Unterschied" gemacht hätten und zu einem "Game Changer" geworden seien.
Vergangenen Mittwoch hatte das russische Militär allerdings vermeldet, zwei der US-Raketenwerfer zerstört zu haben. "Nahe der Ortschaft Malotaranowi in der Donezker Volksrepublik wurden zwei Startrampen des Himars aus den USA sowie zwei dazugehörige Munitionslager durch luftgestützte Hochpräzisionsraketen vernichtet", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Unabhängig liessen sich die Angaben nicht überprüfen.
Nicht zu unterschätzender psychologischer Effekt
Fakt ist: Der US-Raketenwerfer ist – wie jedes andere Waffensystem auch – keine Wunderwaffe. Ganz alleine werden Himars den Krieg nicht entscheiden können, dazu könnten mittelfristig Probleme mit der Wartung kommen.
Allerdings hat sein Einsatz nicht nur militärische, sondern auch psychologische Auswirkungen, wie der US-Militärexperte und frühere Armee-Generalmajor Mick Ryan betont: Russische Soldaten können sich seit nun fast drei Wochen auch weit ab von der Front, im Hinterland der besetzten Landesteile, fast nirgendwo mehr sicher fühlen.
Verwendete Quellen:
- Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP
- Der Spiegel: "Schüsse hinter die feindlichen Linien"
- Twitter-Thread des US-Militärexperten Mick Ryan
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