Nach schweren Verlusten sind nordkoreanische Soldaten wieder an der Front. Diesmal kämpfen sie geschickter und koordinierter. Gleichzeitig spitzt sich die Lage in Kursk weiter zu. Welche Rolle spielen die Nordkoreaner im Ukraine-Krieg wirklich?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joana Rettig sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Seit Monaten gibt es Berichte über nordkoreanische Soldaten an der russisch-ukrainischen Front. Anfangs wurden sie als einfache Sturmtruppen eingesetzt, erlitten hohe Verluste und zogen sich laut Berichten zurück.

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Im Februar schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch auf Telegram: "Wir haben die nordkoreanischen Einheiten vollständig vernichtet." Doch nun sind sie wieder da – und agieren offenbar vorsichtiger. Geht es für Pjöngjang dabei nur um Unterstützung für Moskau oder steckt eine grössere Strategie dahinter?

Rückkehr nach hohen Verlusten

Laut der "New York Times" haben russische und nordkoreanische Truppen in den vergangenen Tagen wichtige ukrainische Stellungen in der russischen Region Kursk überrannt. Dies sei vor allem durch massive Artillerie- und Drohnenangriffe möglich gewesen, unter deren Deckung nordkoreanische Infanterieeinheiten vorstossen konnten. Ukrainische Soldaten vor Ort berichten von einer schieren Übermacht: "Sie fegen uns einfach hinweg. 50 Nordkoreaner greifen an, während wir nur sechs Männer auf unseren Positionen haben", sagte ein ukrainischer Kommandeur der Zeitung.

Doch die Erfolge haben ihren Preis. Nach Schätzungen ukrainischer, westlicher und südkoreanischer Geheimdienste sind bei den Kämpfen bereits rund 4.000 nordkoreanische und russische Soldaten gefallen. Laut der "New York Times" mussten sich die nordkoreanischen Einheiten im Januar wegen hoher Verluste zunächst zurückziehen, wurden aber inzwischen wieder an die Front geschickt – diesmal mit besserer Koordination und mehr taktischem Geschick.

Unkonventionelle Taktiken und internationale Beteiligung

Die militärische Situation in der Region Kursk spitzt sich dramatisch zu. Russische Streitkräfte haben kürzlich drei weitere Siedlungen zurückerobert und setzen ukrainische Truppen zunehmend unter Druck. Schätzungsweise 10.000 ukrainische Soldaten stehen kurz davor, von russischen Einheiten eingekesselt zu werden, berichtet das "Transatlantic Journal".

Besonders brisant ist der Einsatz unkonventioneller Taktiken. Russische Spezialeinheiten nutzten demnach eine stillgelegte Gaspipeline, um ukrainische Stellungen in der Nähe von Sudscha überraschend anzugreifen. Diese Vorgehensweise zeigt die Entschlossenheit Moskaus, verlorenes Territorium zurückzugewinnen. Zudem wird die Präsenz nordkoreanischer Truppen immer offensichtlicher.

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Was will Nordkorea?

Der freie Journalist und Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov sieht in dem Einsatz eine mögliche Strategie von Pjöngjang. Auf Anfrage unserer Redaktion sagt er, der Kurskeinsatz könne von der nordkoreanischen Führung ausschliesslich dazu genutzt werden, eine Riege von Armeekommandeuren mit echter Kampferfahrung im modernen Krieg aufzubauen.

Nordkoreas Armee gehört zu den grössten der Welt. Allerdings haben deren Offiziere und Generäle keinerlei echte Kampferfahrung, erklärt Gerasimov. Das Land nimmt demnach an keinen internationalen Missionen teil, führt kaum Manöver mit anderen Staaten durch und hat ausser Paraden und Raketentests wenig reale militärische Praxis. In der Ukraine beziehungsweise auch auf russischem Gebiet könnte sich das nun ändern. Besonders im Bereich der modernen Drohnenkriegsführung könnten nordkoreanische Einheiten wichtige Lektionen lernen, erklärt er.

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Strategische Herausforderungen

Die Situation der ukrainischen Streitkräfte war durch die Aussetzung der militärischen Unterstützung seitens der USA, die mittlerweile wieder zurückgenommen worden ist, weiter erschwert worden. Erst kürzlich hatte der US-Geheimdienst CIA bestätigt, keine Informationen mehr an die Ukraine zu liefern; auch diese Entscheidung hat eine erratisch agierende Trump-Regierung mittlerweile revidiert. Bisher konnte die Ukraine auf deren Satelliten-Aufklärung zurückgreifen und profitierte davon in hohem Masse. Ohne die gewohnte Aufklärung und logistische Unterstützung waren die ukrainischen Einheiten kurze Zeit gezwungen, ihre Strategien anzupassen, was ihre Position zusätzlich geschwächt hat, heisst es im "Transatlantic Journal".

Die drohende Einkesselung könnte zu erheblichen Verlusten auf ukrainischer Seite führen. Die internationale Gemeinschaft beobachtet die Entwicklungen mit wachsender Besorgnis. Die Beteiligung nordkoreanischer Truppen erweitert die geopolitische Dimension und könnte zu weiteren Spannungen führen.

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Zuvor hatte Nordkorea die laufenden Militärübungen Südkoreas und der USA als "gefährliche Provokation" verurteilt, die versehentlich eine Konfrontation auslösen könnte.

Kursk: Symbol oder strategischer Fehler?

Die Kämpfe um Kursk haben eine besondere Bedeutung für die Ukraine. Der Vorstoss auf russisches Territorium war eine der überraschendsten Operationen des vergangenen Jahres und wurde als Zeichen militärischer Stärke gefeiert. Laut der "New York Times" hielt Kiew das Gebiet nicht nur aus taktischen Gründen, sondern auch als mögliches Druckmittel für künftige Verhandlungen. Doch nun sind etwa zwei Drittel des eroberten Gebiets wieder in russischer Hand – erkämpft unter hohen Verlusten.

Russlands Präsident Wladimir Putin hält sich mit offiziellen Aussagen zur nordkoreanischen Beteiligung zurück, ebenso wie Pjöngjang. In westlichen Geheimdienstkreisen wird vermutet, dass etwa 12.000 nordkoreanische Soldaten in den Konflikt geschickt wurden – zunächst als Infanterie, mittlerweile jedoch in enger Zusammenarbeit mit russischen Drohneneinheiten und Artillerie.

Kein Wendepunkt im Krieg, aber langfristige Folgen?

Obwohl der Einsatz nordkoreanischer Soldaten an der Front unübersehbar ist, bleibt er in seiner strategischen Bedeutung begrenzt. Gerasimov meint, einen Einfluss auf den Krieg werde deren Einsatz nicht haben, aber: "Pjöngjang hätte erstmals seit Jahrzehnten wieder einen Offizierskader mit solider Einsatzerfahrung und modernem Know-How im Portfolio für den Fall einer 'echten' Eskalation bei sich auf der koreanischen Halbinsel."

Die nordkoreanische Führung hält sich mit offiziellen Statements zurück, doch die erneute Beteiligung an den Kämpfen deutet darauf hin, dass Pjöngjang den Ukraine-Krieg als Gelegenheit betrachtet, um eine erfahrene militärische Führungsebene zu schaffen. Falls es jemals zu einer Eskalation auf der koreanischen Halbinsel kommt, könnte sich genau diese Erfahrung als entscheidender Vorteil für Kim Jong-uns Regime erweisen.

Trotz der massiven russischen Offensive, die laut dem ukrainischen Generalstab durch nordkoreanische Infanterie verstärkt wird, erleidet Russland derzeit erhebliche Verluste. Wie das Militär am Montag auf Telegram mitteilte, soll Russland allein im Raum Plekhove, südlich von Sudscha, innerhalb von vier Tagen ein ganzes Infanteriebataillon verloren haben.

Über den Gesprächspartner

  • Nikita Gerasimov ist freier Journalist und Konfliktbeobachter. An der Freien Universität Berlin ist er zudem als Tutor des Osteuropa-Instituts der Freien Universität Berlin tätig.

Verwendete Quellen