Das Phantom hinter der Affäre um das massive Geheimdienst-Datenleck in den USA hat ein Gesicht. Nach langem Rätseln überschlagen sich die Ereignisse. Erst legen US-Medien nach und nach Details zu dem mutmasslichen Maulwurf offen. Kurz darauf rücken FBI-Agenten an.
In den USA hat das FBI nach der Veröffentlichung zahlreicher US-Geheimdokumente im Internet vor allem zum Krieg in der Ukraine einen Verdächtigen festgenommen. Bei dem Mann handele es sich um einen 21-jährigen Angehörigen der Luft-Nationalgarde, sagte Justizminister Merrick Garland am Donnerstag vor Journalisten. Verteidigungsminister Lloyd Austin lobte die Strafverfolgungsbehörden für "ihre schnelle Festnahme im Zusammenhang mit dieser Ermittlung".
Die "Washington Post" hatte am Mittwoch berichtet, der für das Durchsickern der Dokumente verantwortliche Mann sei in Waffen vernarrt und habe die US-Regierung unter anderem als "dunkle Macht" bezeichnet.
Nachrichtensender zeigten Aufnahmen davon, wie der Verdächtige im östlichen Bundesstaat Massachusetts von schwer bewaffneten Sicherheitskräften zu einem Wagen geführt wird. Garland zufolge erfolgte die Festnahme des Verdächtigen "im Zusammenhang mit einer Untersuchung über die mutmassliche unbefugte Entfernung, Aufbewahrung und Weitergabe von Verschlusssachen der nationalen Verteidigung". Der Mann soll am Freitag am zuständigen US-Bezirksgericht in Massachusetts einem Richter vorgeführt werden.
Leaker soll US-Regierung als "dunkle Macht" bezeichnet haben
Austin kündigte eine "Überprüfung" des Zugangs zu Geheimdienstinformationen sowie "Verantwortlichkeit und Kontrollverfahren" im Verteidigungsministerium an, um "diese Art von Vorfall zu verhindern".
Der "New York Times" zufolge hatte eine "Spur digitaler Beweise" zu dem Verdächtigen geführt. Der Mann sei der Kopf einer privaten Chatgruppe im Online-Netzwerk Discord gewesen, die sich "Thug Shaker Central" nannte und in der die Dokumente auftauchten. Ein Mann mit dem Spitznamen "OG" veröffentlichte der "Washington Post" zufolge über Monate Hunderte Dokumente auf der Plattform, die besonders für den Austausch über Videospiele genutzt wird. Demnach erhielt die Redaktion Hinweise auf den Mann von zwei Mitgliedern einer Gruppe auf Discord.
Die Discord-Gruppe, welcher der mutmassliche Verbreiter der Geheiminformationen angehöre, umfasse etwa 24 Mitglieder, darunter auch Menschen aus Russland und der Ukraine, berichtete die "Washington Post". Was sie vereine, sei ihre "Liebe zu Waffen, militärischer Ausrüstung und Gott".
Der Zeitung zufolge hat der Mann eine "schlechte Meinung von der Regierung" in Washington. Ein Gruppenmitglied sagte demnach, "OG" habe die Vereinigten Staaten und besonders die Strafverfolgungsbehörden und die Geheimdienste als "dunkle Macht" bezeichnet, die versuche, die Bürger zu unterdrücken und "im Dunkeln zu halten".
"OG" soll dem Bericht zufolge Gruppenmitgliedern berichtet haben, dass er "stundenlang geschuftet" habe, um die vertraulichen Dokumente abzuschreiben und sie dann mit der Discord-Gruppe zu teilen. Um sich die Arbeit zu erleichtern, sei er schliesslich dazu übergegangen, die Dokumente abzufotografieren und anschliessend zu posten.
Dokumente sollen Gegenoffensive beeinflussen – Kiew dementiert
In den vergangenen Tagen waren zahlreiche zuvor auf Online-Plattformen verbreitete geheime US-Regierungsunterlagen durch Medienberichte einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Ein Grossteil der Dokumente bezieht sich auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums hatte das Durchsickern der Dokumente als "sehr grosse Bedrohung" für die nationale Sicherheit eingestuft.
Die Veröffentlichung der Dokumente hat erhebliche Sorgen in den westlichen Staaten ausgelöst. Die inzwischen zum grossen Teil nicht mehr im Internet verfügbaren Dokumente sollen unter anderem brisante Informationen über den Kampf der Ukraine gegen die russischen Invasionstruppen enthalten.
So sollen einem der Dokumente zufolge die US-Geheimdienste Zweifel am Erfolg einer möglichen Gegenoffensive der ukrainischen Armee hegen, berichtete die "Washington Post". Es gebe "fortdauernde ukrainische Rückstände" bei der Ausbildung der Soldaten und bei der Munitionsversorgung.
Kiew dementierte in der Nacht zum Freitag diese Berichte. Die veröffentlichten geheimen Dokumente hätten demnach keine Auswirkung auf die geplante Offensive. Moskau sei zwar der einzige Profiteur des Datenlecks, räumte der Chef des Militärgeheimdienstes in Kiew, Kyrylo Budanow, in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC News ein. "Das wird aber nicht in der Lage sein, die tatsächlichen Ergebnisse der Offensivoperation zu beeinflussen".
Authentizität der veröffentlichten Informationen bislang unklar
Die Schriftstücke sollen auch Informationen darüber enthalten, dass die US-Geheimdienste verbündete Regierungen ausgespäht haben. Unklar ist derzeit allerdings, welche der Informationen authentisch sind und was möglicherweise bearbeitet worden sein könnte.
Länder wie Südkorea meldeten etwa Zweifel an der Echtheit einiger Dokumente an. Am Donnerstag wies auch Serbiens Präsident Aleksandar Vucic durchgesickerte Informationen zurück, sein Land habe Waffenlieferungen an die Ukraine zugesagt. "Serbien hat nicht und wird auch nicht Waffen in die Ukraine exportieren", sagte Vucic laut Nachrichtenagentur Beta. "Es gibt kein Dokument, dass so etwas zeigen würde", fügte er hinzu.
Die Sprecherin des Weissen Hauses, Karine Jean-Pierre, rief die Betreiber von Online-Netzwerken wie Discord dazu auf, nicht zur Verbreitung derartiger Informationen beizutragen. Die Unternehmen stünden aus Sicht der US-Regierung "in der Verantwortung gegenüber ihren Nutzern und dem Land". Discord erklärte, das Unternehmen arbeite in der Angelegenheit mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen.
Für die US-Regierung ist die Sache höchst unangenehm. Es stellen sich Fragen dazu, wie verlässlich die Amerikaner sind, wie gut sie ihre Geheimnisse und die ihrer Partner schützen und wie loyal sie Verbündeten gegenüber sind. (afp/dpa/thp)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.