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Der russische Söldnerführer Jewgeni Prigoschin soll am Mittwoch beim Absturz eines Flugzeugs in Russland getötet worden sein – zwei Monate nach seiner Meuterei. Alle zehn Personen an Bord seien ums Leben gekommen, teilte der russische Zivilschutz mit, unter den Namen auf der Passagierliste soll sich auch der des Wagner-Chefs befunden haben. Der Telegram-Kanal "Grey Zone", den Prigoschin nutzte, bestätigte am Mittwochabend dessen Tod – unabhängig verifizieren liessen sich die Informationen vorerst jedoch nicht. Wer ist dieser Jewgeni Prigoschin und welche Kontakte pflegte er zum russischen Staatsapparat?
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1996 eröffnet Prigoschin sein erstes Restaurant. Der "Alte Zoll“ wird schnell zum Szenelokal der St. Petersburger Eliten. Der damalige Bürgermeister Anatoli Sobtschak sowie auch sein Stellvertreter Wladimir Putin sind regelmässige Gäste. Mit seinem Unternehmen Konkord wird er über die kommenden Jahre hinweg zum offiziellen Caterer des Staatsapparats. Er veranstaltet Feiern, beliefert Schulen, Kasernen und andere Einrichtungen. Ein besonders gewinnbringender Kunde ist die russische Armee.
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Jewgenij Prigoschin (2.v.r.) ist viele Jahre lang ein Mann im Hintergrund. Als Oberkellner mit weisser Fliege bedient er im Kreml die mächtigen Menschen dieser Welt, darunter George W. Bush, Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma Rousseff und der indische Premierminister Narendra Modi.
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Zeitweise sind seine Firmen angeblich in der Lage, bis zu 90 Prozent der Ausschreibungen des Verteidigungsministeriums für Verpflegung und Wartungsaufgaben zu gewinnen. Der inzwischen inhaftierte Aktivist Alexej Nawalny beziffert beispielsweise einen einzigen Vertrag zur Lieferung von Verpflegung mit einem Wert von etwa 1,8 Milliarden Euro.
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Schon bald betreibt Prigoschin die grösste Catering-Firma Osteuropas und erlangt so den Status eines russischen Oligarchen. Inzwischen übernimmt er diverse Tätigkeiten für den Präsidenten. Es wird angenommen, dass er unter anderem auch der Geschäftsmann hinter den Trollfabriken ist, welche über die sozialen Netzwerke Einfluss auf westliche Nationen zu nehmen versuchen. 2014 gründet er schliesslich die Privat-Armee Wagner, bestreitet aber - ebenso wie bei den Trollfabriken - lange, an ihr beteiligt zu sein.
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Erfahrungen im Militär hat Prigoschin kaum. Von Nutzen ist er für den russischen Staatsapparat aber dennoch: Der Militärgeheimdienst GRU nutzt die Wagner-Einheit, um im Ausland verdeckt Kriege führen und gleichzeitig plausibel eine Beteiligung leugnen zu können.
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Auf der Krim haben die Wagner-Kämpfer 2014 ihren ersten Einsatz. Sie gehören zu den "kleinen grünen Männchen", die die Annexion betreiben. Brutalität und Grausamkeit stehen bei der Wagner-Gruppe auf der Tagesordnung, dafür sind die Söldner berüchtigt. Ein ehemaliges Mitglied der russischen GRU-Spezialkräfte, Dmitrij Utkin (nicht im Bild), ist Kommandeur der frühen Truppe.
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Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wird die Schlagkraft der Wagner-Gruppe zu einem wichtigen militärischen Baustein für den Kreml. Im Januar 2023 berichten die Söldner, sie hätten die ukrainische Stadt Soledar unter ihre Kontrolle gebracht – bis heute einer der wenigen russischen Erfolge seit Beginn des Konflikts.
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Durch ihre Effizienz und zunehmende Bedeutung in der russischen Kriegsmaschinerie erstarkt die Wagner-Gruppe - und Prigoschin stellt sich nach und nach gegen Russlands höchste Militärs. Wiederholt beklagt er sich über Munitionsmangel und eine aus seiner Sicht inkompetente Militärführung. Im Februar 2023 dann der vorläufige Höhepunkt: Prigoschin bezichtigt in einer Audiobotschaft die obersten Militärkommandeure Russlands des "Verrats", weil diese den Söldnern die Munition vorenthalten haben sollen.
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Sein Erzfeind: Sergej Schoigu. Immer wieder nimmt er Russlands Verteidigungsminister und den General Waleri Gerassimow ins Visier. Die russische Militärbürokratie sei schuld am gescheiterten Versuch, die ukrainische Stadt Bachmut einzunehmen. "Bachmut wäre noch vor dem Jahreswechsel eingenommen worden, wenn nicht unsere monströse Militärbürokratie wäre", schimpft er im Mai 2023 in russischen Staatsmedien.
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Trotz der anhaltenden Anschuldigungen und Unfähigkeitszuweisungen seitens Prigoschins, lässt das russische Verteidigungsministerium die Wagner-Gruppe weitgehend gewähren. Berichten zufolge kommt die US-Regierung bereits Anfang des Jahres zu der Einschätzung, die Wagner-Gruppierung könnte zu einem mit dem regulären russischen Militär rivalisierenden Machtpol aufsteigen.
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Mit dem Vorwurf Prigoschins, die russische Militärführung habe seine Truppen in der Ukraine bombardiert, eskalieren die Spannungen zwischen den Beteiligten schliesslich. Als Reaktion besetzen Wagner-Söldner im Juni wichtige militärische Objekte in der strategisch wichtig gelegenen russischen Stadt Rostow am Don. In einer Videobotschaft droht Prigoschin sogar mit einem Marsch auf Moskau. Putin selbst spricht von "Verrat" und einem "Stoss in den Rücken" durch den Aufstand der Söldner.
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Erst kurz zuvor hatte Prigoschin öffentlich mit Putin gebrochen: Der 62-Jährige warf dem Kremlchef eine grobe Fehleinschätzung der Lage vor. Putin läge grundlegend falsch, wenn er Wagner-Soldaten, welche bei den Gefechten ihr Leben gaben, als "Verräter" beleidige. "Wir wollen nicht, dass das Land weiter in Korruption, Betrug und Bürokratie lebt", sagte Prigoschin über seine Motive.
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Als Reaktion auf die augenscheinliche Meuterei versetzt die Regierung das FSB in Bereitschaft, Ermittlungen von der russischen Generalstaatsanwaltschaft gegen Prigoschin werden eingeleitet. Kurz bevor die Wagner-Truppen Moskau erreichen, kündigt Prigoschin jedoch an, den Vormarsch seiner Einheiten auf die russische Hauptstadt zu stoppen. "Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück", sagt er in einer von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht. Ob Prigoschin im Gegenzug Zugeständnisse gemacht oder in Aussicht gestellt werden? Unklar.
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Nun, zwei Monate nach seiner Meuterei, ist Jewgenij Prigoschin mutmasslich beim Absturz eines Flugzeugs in Russland getötet worden. Im Internet verbreiten sich schnell Spekulationen über einen gezielten Abschuss durch die russische Luftwaffe. Auch über einen inszenierten Tod gibt es Gerüchte. Überprüfen lassen sich diese Behauptungen - zumindest vorerst - nicht.
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Viele Anhänger des Wagner-Anführers bewundern Prigoschin als eine Art Volkshelden. Sie sehen in ihm die Geschichte eines Mannes von der Strasse, der Klartext sprach und sich so mit dem mächtigen Staatsapparat anlegte. Das machte ihn berühmt – und gipfelte nun mutmasslich in seinem Tod. (mit Material der dpa)