Nach dem Tod ihres Anführers Jewgeni Prigoschin war es lange Zeit still um die Söldnergruppe Wagner. Doch die Geschäfte laufen weiter – unter neuer Führung und verdeckter, als man es vielleicht angenommen hätte.

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Er ist wieder da. Nachdem er zunächst kopflos durch sein übliches Territorium, den afrikanischen Kontinent, zog, hat sich der russische Söldnertrupp Wagner neu formiert – und plant offenbar eine gross organisierte Rückkehr in die Ukraine. Das zumindest sagt der Russland-Experte und Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov auf seinem Telegram-Kanal. Rund sechs Monate nachdem der Chef der Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, gibt es jetzt quasi die offizielle Bestätigung: Die Söldner haben eine Doppelspitze – und die plant eigenen Angaben zufolge Grosses.

Bereits seit ihrem Rückzug aus der Ukraine gingen viele Söldner der Gruppe etwa nach Belarus, einige zog es wieder in afrikanische Länder wie Mali, Libyen oder die Zentralafrikanische Republik. Nach Russland konnten und wollten nur die wenigsten zurück – nachdem sie mit ihrem Chef Prigoschin ins russische Rostow am Don einmarschiert waren, dort sämtliche Militäreinrichtungen eingenommen hatten und sich auf in Richtung Moskau machten. Verwerfungen zwischen dem Wagner-Kopf und Russlands Präsident Wladimir Putin hatten dazu geführt, dass Prigoschin seine Söldner zum Aufstand aufrief. Hunderte waren gefolgt.

Wagner-Söldner mit neuem Job in Belarus

Wenige Wochen später stürzte Prigoschin in den Tod – mit freundlichen Grüssen von seinem ehemaligen Chef Putin, wie man annehmen kann. Danach wurde es still um sein Imperium.

In Belarus fanden die meisten der Aufständischen einen neuen Job: Sie bildeten Soldaten des Machthabers Alexander Lukaschenko aus. Das tun sie bis heute, wie die Söldnergruppe selbst auf ihrem Telegram-Kanal immer wieder aufzeigt. Doch die Frage nach der Führung blieb. Auch wenn nach Prigoschins Tod viel spekuliert wurde, der Trupp war monatelang ohne eine eindeutige Führung unterwegs. Die Geschäfte in Afrika liefen weiter, doch die Sache gestaltete sich komplizierter als zunächst angenommen.

Denn die Gruppe war über Jahre hinweg als Russlands Schattenarmee bekannt. Brutal, mordlustig, aber äusserst effektiv konnten sie vor allem in Afrika vorgehen – und so den Einfluss Russlands auf dem Kontinent weiter stärken, ohne dass sich Putin selbst dazu bekennen musste. Als der Krieg in der Ukraine begann, waren Zehntausende Söldner unter ihrem Chef Prigoschin dort an die Front gezogen. Aufmerksamkeit erregten sie dabei durch ihr Handeln im kurzzeitig annektierten Butscha oder Irpin und später durch ihre blutige Schlacht um die lang umkämpfte Stadt Bachmut.

Genau diese Schlacht war es auch, die zum Streit zwischen Prigoschin und Putin führte, denn der Wagner-Chef prangerte an, dass die russische Führung – vor allem Verteidigungsminister Sergei Schoigu – absichtlich zu wenige Waffen geliefert habe. Prigoschin lenkte den Blick auf Fehler der eigenen Regierung und Putin musste reagieren. Das tat er mit einem Dekret, das es privaten Militärunternehmen untersagte, weiter unter eigener Führung zu existieren. Sämtliche Söldnertrupps Russlands mussten Verträge mit der Streitmacht unterzeichnen – Wagner weigerte sich. Bis heute. Selbst mit der neuen Führung. Und dennoch sind sie weiter aktiv, nur eben eher verdeckt.

Prigoschin Junior übernimmt Imperium

"Den verfügbaren Infos zufolge wurde das Prigoschin-Imperium durch den ‚natürlichen‘ Nachfolger übernommen – seinem Sohn Pavel Prigoschin, der bei den ‚Wagner‘ den Kampfnamen 'Prinz' tragen soll", schreibt der Experte Gerasimov auf Telegram. Prigoschins Imperium umfasst weitaus mehr als nur die Kampftruppe. Denn auch eine Reihe von Medienkanälen, Immobilien und Logistikunternehmen hatten in der Vergangenheit den Einfluss von Putins ehemaligem Koch verstärkt. Nun soll Prigoschin Junior das alles besitzen.

Kurz nach dem Tod des Vaters soll er in Verhandlungen mit dem russischen Verteidigungsministerium gegangen sein, jedoch bisher ohne das Ergebnis, das man sich von Regierungsseite gewünscht hatte. Dennoch, so schreibt es Gerasimov, ist die Gruppe nun eher kontrollierbar für das Verteidigungsministerium – und will wohl wieder zurück in die Ukraine. Einige Wagner-Kämpfer sind auch bereits im Herbst 2023 wieder vor Ort gesichtet worden. Eine geordnete, grosse Rückkehr ist laut Experte Gerasimov in Planung.

Der "Prinz" soll aber nur wenig Einfluss auf die Kämpfer haben. Ihre Loyalität gilt einem anderen. "Lotus" heisst er, bürgerlich Anton Yelizarov. Dieser war und ist einer der Hauptverantwortlichen in Wagners Afrika-Geschäften, hatte sich wohl auch in Bachmut einen glorreichen Namen gemacht. Auch "Lotus" soll nach Prigoschins Tod mit dem Verteidigungsministerium verhandelt haben – parallel zum "Prinzen".

Geteilte Führung: „Lotus“ und „Prinz“ leiten die Geschäfte

So stellt Gerasimov die Vermutung auf, dass die Doppelspitze aufgeteilt ist in Besitz (durch Prigoschins Sohn) und Befehlsgewalt (durch "Lotus"). Letzterer hat sich kürzlich nach langer Stille auf Telegram zurückgemeldet und gab mit einer Videoansprache quasi die offizielle Bestätigung dafür, dass er die Führung übernimmt. "Wir setzen unsere Arbeit auf dem afrikanischen Kontinent fort, und wir setzen unsere Arbeit in Weissrussland zum Nutzen Russlands fort. Wir arbeiten, und zwar recht erfolgreich", sagt er in dem Video. Er befinde sich zurzeit in einem "Kosakenlager", sagt er weiter. Kosaken waren Abtrünnige des Zarenreichs, freie Kämpfer, die sich aus flüchtigen russischen, ukrainischen und polnischen Leibeigenen zusammengetan hatten. Bis zum 18. Jahrhundert waren sowohl russische als auch ukrainische Kosaken vom Zarenreich meist unabhängig – schlossen sich dem Reich jedoch später wieder an. Ein passender Vergleich zur Wagner-Gruppe.

Nach Russland gerichtet will "Lotus" offenbar beschwichtigen: "Wir haben das Volk und die Interessen der Russischen Föderation überall auf der Welt immer verteidigt, verteidigen sie noch und werden sie auch weiterhin verteidigen. Wir marschieren mit grossen Schritten und mit erhobenem Haupt auf unser Ziel zu." Das Ziel, wieder in die Ukraine zu gehen? Genauer geht er darauf nicht ein, aber es ist zumindest anzunehmen. Doch wie genau diese Rückkehr vonstattengehen soll, ist unklar – und kompliziert.

Wagner hat noch immer keinen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium geschlossen und ist demnach illegal existent. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die Söldner unter anderem Namen aktiv werden, sich in die anderen militärischen Strukturen Russlands einreihen. Innerhalb der Gruppe "Redut" etwa. Dieses private Militärunternehmen war nach der Gruppe Wagner die wichtigste Privatarmee Russlands. Schon vor Prigoschins Putschversuch war sie die einzige Gruppe, deren Bedeutung auch nur ansatzweise an die der Wagner PMC heranreichte. Auch die russische Nationalgarde, "Rosgvardia", die dem Innenministerium hörig ist, könnte eine Anlaufstelle für Wagner-Kämpfer sein.

Sicherheitsexperte Lange sieht Ende der Söldnergruppe

Dass die Wagner-Söldner anderen Gruppen anhängig werden, sieht der Sicherheitsexperte Nico Lange als Zeichen für das Ende des Söldnertrupps. Die ehemaligen Wagners seien nur noch Hilfstrupps der anderen Organe, erklärt er auf Anfrage unserer Redaktion. Weiter schreibt er: "Bei den Verträgen mit dem Verteidigungsministerium ging es um individuelle Söldner, nicht um die Reste der Wagner-Gruppe." Der russische Militärgeheimdienst GRU habe den ursprünglichen Kern der Wagner-Gruppe mit den Aktivitäten in Afrika längst vollständig unter seine Kontrolle gebracht und führe die Operationen dort direkt unter anderem Namen weiter.

Die Wagner-Gruppe habe keine eigenständige Position mehr und könne daher auch nichts heraushandeln oder planen. "Eine eigenständige Wagner-Operation in der Ukraine wird es offenbar nicht mehr geben können", meint Lange und widerspricht damit der Analyse des Konfliktbeobachters Gerasimov.

Auch, was die Afrika-Geschäfte angeht, gibt es unterschiedliche Deutungen. Lange meint, der lukrative Afrika-Teil der Wagner-Gruppe sei jetzt direkt vom Militärgeheimdienst GRU geführt und sei damit unter dem Namen "Africa-Corps" unter direkter Kontrolle des Kremls. Gerasimov aber sagt, in Afrika tobe ein Machtkampf. "Das Verteidigungsministerium versucht, die ‚Wagner‘ zu verdrängen." Dies versuche man durch Blockaden wichtiger Knotenpunkte wie etwa Flugplätze in Syrien. Der "Afrika-Corps" sei eine konkurrierende Organisation, meint Gerasimov – doch verdrängt seien die Wagner-Söldner damit noch immer nicht.

Ob innerrussisch im Namen des Inlandsgeheimdienstes FSB, wie ein britischer Thinktank kürzlich bekannt gab, in Afrika oder in der Ukraine: Die Kämpfer der Wagner-Gruppe sind weiter aktiv. Nur weniger öffentlich, als man es erwartet hätte. Aufgeteilt in verschiedene russische Organe und gleichzeitig in kleinere eigenständige Trupps aufgeteilt.

Verwendete Quellen:

  • Journalist und Konfliktbeobachter Nikita Gerasimov auf Telegram
  • Schriftliche Anfrage an Sicherheitsexperte Nico Lange
  • „Politiko“: Russia’s Wagner troops are back on the battlefield, Ukraine says
  • “Al Jazeera”: Syria cracked down on Wagner after mutiny in Russia: Report
  • “Le Monde”: 'Africa Corps': Russia's Sahel presence rebranded
  • Video-Ansprache von Anton Elizarov („Lotos“) auf Telegram:
  • Britischer Thinktank Royal United Services Institute

Über die Gesprächspartner:

  • Nico Lange ist Senior Fellow bei der Zeitenwende-Initiative der Münchner Sicherheitskonferenz. Er arbeitete davor mehrere Jahre in Russland und der Ukraine.
  • Nikita Gerasimov ist freier Journalist und Konfliktbeobachter. An der Freien Universität Berlin ist er zudem als Tutor im Osteuropa-Institut tätig.
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