- Moskau hat nach einem ukrainischen Angriff den Tod von mehr als 60 russischen Soldaten bestätigt.
- Dies löst in Russland nun Kritik an der Militärführung aus.
- So wird den russischen Behörden etwa vorgeworfen, die Zahl der Toten herunterzuspielen.
- In Samara fand eine seltene öffentliche Trauerfeier statt.
Der Tod dutzender russischer Soldaten bei einem ukrainischen Angriff in der Ostukraine hat in Russland Kritik an der Militärführung ausgelöst. "Zehn Monate nach Beginn des Krieges ist es gefährlich und kriminell, den Feind als einen Dummkopf zu betrachten, der nichts sieht", sagte Andrej Medwedew, stellvertretender Vorsitzender des Moskauer Stadtparlaments. Moskau hatte am Montag nach einem ukrainischen Angriff den Tod von 63 Soldaten in der von Russland kontrollierten Stadt Makijiwka in der ostukrainischen Region Donezk eingeräumt.
Die ukrainische Armee sprach in einer ersten Reaktion hingegen von knapp 400 Toten. Das russische Verteidigungsministerium hatte mitgeteilt, vier Raketen mit hochexplosiven Sprengköpfen hätten einen "temporären Stützpunkt" der russischen Armee in der Stadt Makijiwka getroffen, zwei weitere seien abgeschossen worden. Russischen Kriegsreportern zufolge waren die Soldaten in einer Berufsschule stationiert.
Es ist die bislang grösste Anzahl getöteter russischer Soldaten bei einem einzigen Angriff, die Moskau seit Beginn seiner Invasion in der Ukraine im Februar des vergangenen Jahres bekanntgegeben hat. Moskau äussert sich nur sehr selten zu eigenen Verlusten in der Ukraine.
Kritik an russischen Behörden: Opferzahlen zu niedrig?
Der frühere Anführer pro-russischer Separatisten in der Ostukraine, Igor Strelkow, sagte zu dem Angriff, die Soldaten seien in einem ungeschützten Gebäude stationiert gewesen. Dieses sei "fast vollständig" zerstört worden, da dort gelagerte Munition bei dem Angriff detoniert sei. Er sprach von "hunderten" Getöteten und Verletzten.
Mehrere russische Kriegsreporter – deren Einfluss im Land zuletzt gewachsen ist – sprachen ebenfalls von hunderten Opfern. Sie warfen ranghohen Militärkommandeuren vor, nicht aus früheren Fehlern gelernt zu haben.
In Onlinenetzwerken warfen einige Nutzer den russischen Behörden vor, die Zahl der Toten herunterzuspielen. "Mein Gott, wer wird die Zahl von 63 glauben? Das Gebäude wurde vollständig zerstört", schrieb eine Frau im in Russland populären Dienst VKontakte. Auf der Plattform wurden Russen aufgefordert, Kleidung, Medikamente und Ausrüstung für die Überlebenden des Angriffs zu sammeln.
Quartier der getöteten Soldaten angeblich in der Nähe eines Munitionsdepots
Es gab zudem Berichte, wonach die Soldaten in der Nähe eines Munitionsdepots einquartiert wurden, welches bei dem Angriff explodierte. Einige russische Soldaten hätten zudem ihre Mobiltelefone nutzen können, wodurch die ukrainischen Streitkräfte sie orten konnten.
"Welche Schlussfolgerungen werden daraus gezogen? Wer wird bestraft?", fragte der Parlamentsabgeordnete für Samara, Michail Matwejew, in Onlinenetzwerken.
Der Kanal "Rybar" im Onlinedienst Telegram, dem mehr als eine Million Profile folgen, bezeichnete es als "kriminell naiv", Munition in der Nähe von Schlafquartieren zu lagern.
Mehrere gegenüber dem Einsatz positiv eingestellte Kommentatoren stellten zudem die von Moskau angegebene Zahl von 63 Toten infrage, die ihrer Meinung nach zu niedrig angesetzt war. Berichten zufolge waren viele der Toten Reservisten, die erst kürzlich eingezogen worden waren.
Russlands Präsident Putin äusserte sich bislang nicht öffentlich zu dem Raketenangriff in Makijiwka.
Trauerfeiern in Russland
Zahlreiche Menschen in Russland haben am Dienstag bei einer seltenen öffentlichen Gedenkfeier ihre Trauer und Wut zum Ausdruck gebracht. Rund 200 Menschen legten Rosen und Kränze bei einer genehmigten Versammlung auf einem zentralen Platz in der Stadt Samara im Zentrum Russlands nieder, aus der einige der Soldaten stammten.
"Ich habe seit drei Tagen nicht geschlafen", sagte die Frau eines russischen Generals und Vorsitzende einer armeenahen Vereinigung bei der Gedenkveranstaltung in Samara. "Es ist sehr hart, es ist beängstigend. Aber wir lassen uns nicht brechen. Trauer verbindet." Sie habe ihren Mann gebeten, die Opfer zu "rächen". "Wir werden den Feind gemeinsam vernichten. Uns bleibt keine andere Wahl."
Ein orthodoxer Priester betete und Soldaten gaben einen Salutschuss ab. Manche Teilnehmer hielten Fahnen der Partei Einiges Russland von Präsident Wladimir Putin in den Händen. Auch in anderen Städten der Region Samara gab es nach Berichten von örtlichen Medien ähnliche Veranstaltungen, etwa in Togliatti und in Sysran.
Kampfhandlungen gehen weiter – insbesondere in Bachmut
Unterdessen gingen die Kampfhandlungen in der Ukraine besonders in der hart umkämpften Stadt Bachmut im Osten des Landes weiter. Obwohl sie nur eine geringe strategische Bedeutung hat, versuchen die russischen Streitkräfte unter der Führung der Söldnergruppe Wagner seit Monaten, sie zu erobern.
Der Chef der Gruppe, der Putin-nahe Geschäftsmann Jewgeni Prigoschin, räumte in einem Interview ein, dass die Kämpfe hart seien. Die ukrainischen Streitkräfte hätten "jedes Haus in eine Festung" verwandelt. Seine Männer kämpften manchmal "mehrere Wochen um ein einziges Haus", sagte Prigoschin der russischen Nachrichtenagentur Ria-Nowosti in dem am Dienstag veröffentlichten Interview. (AFP/tas)
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