Nach dem Ende des Kalten Krieges war die Arktis zunächst geopolitisch in Vergessenheit geraten. Seit einigen Jahren droht dort wieder ein Wettlauf um die Vorherrschaft. Bisher scheint Russland einen Vorsprung zu haben.

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Die Arktis ist auf den ersten Blick kein besonders attraktiver Ort. Die niedrigen Temperaturen und das ewige Eis sind ein lebensfeindlicher Raum, der kaum bewirtschaftet werden kann. Und trotzdem wird das Gebiet gerade zum Schauplatz eines möglichen neuen Kalten Krieges zwischen Russland und der Nato.

Das Gebiet, das den US-amerikanischen Bundesstaat Alaska, den Norden Russlands, Kanadas, Norwegens, Finnlands und Schwedens sowie Grönland und Island umfasst, zählt rund vier Millionen Einwohner – die meisten von ihnen sind russische Staatsbürger. Viel wichtiger als das, was sich oberhalb des Eises befindet, ist aber das, was darunter liegt: Gas und jede Menge Erdöl.

Wem diese Ressourcen gehören, genau darum geht es bei diesem geopolitischen Konflikt. Bereits 2007 liess die russische Regierung auf dem Meeresgrund unter dem Nordpol mit Hilfe zweier U-Boote die russische Flagge anbringen - eine klare Botschaft an die anderen Anrainerstaaten: Russland beansprucht die Region für sich.

Und das hat System. Klaus Gestwa, Professor für osteuropäische Geschichte von der Universität Tübingen, erklärt: "Dieser russische Anspruch wird international nicht anerkannt, aber er vermittelt der russischen Gesellschaft den Anschein, dass ihr Land in der Arktis weiter das Sagen hat." Die Ausweitung der Einflusssphäre stellt dabei Teil einer geopolitischen Strategie dar, die mit dem Angriffskrieg in der Ukraine verbunden ist und auf dem Imperialismus des russischen Präsidenten fusst.

Aussenminister Lawrow warnt die Nato

Inzwischen werden die Drohgebärden Russlands immer direkter. In einer russischen TV-Dokumentation erklärte der russische Aussenminister Sergej Lawrow jüngst in Bezug auf einen Konflikt in der Arktis: "Unser Land ist voll und ganz bereit, seine Interessen militärisch, politisch und aus Sicht der Verteidigungstechnologien zu verteidigen." Er erklärte laut "Frankfurter Rundschau", die Arktis sei nicht "Territorium" der Nato.

Die Direktive hierzu kommt laut Klaus Gestwa von ganz oben: "Die Arktispolitik wird seit einiger Zeit mit hoher Priorität direkt aus dem Kreml gesteuert." Russlands Präsident Wladimir Putin sehe sie in einem grösseren Kontext eines wiedererstarkten Russlands, welches nach der Besetzung der Krim und dem Angriffskrieg in der Ukraine nun auch in der Arktis expandieren wolle.

Das zeigt sich auch in militärischen Drohgebärden: Erst im Juli kam es dort zu Spannungen, als Russland zwei US-amerikanische Bomber am Überfliegen der Barentssee gehindert hat.

Die Arktis ist wichtig für die russische Wirtschaft

Seither mehren sich die Anzeichen, dass Russland seinen Einfluss in der Arktis ausbauen will. In der 2022 verabschiedeten Marine-Doktrin, aus der etwa "ntv" zitiert, wird unter anderem explizit Anspruch auf die Arktis und das dort vermutete Gas erhoben. Moskau plant, seine Führungsrolle in der Erforschung der Arktis und ihrer Rohstoffe zu festigen und die "strategische Stabilität" zu gewährleisten, indem die Nord- und Pazifikflotte erweitert wird. Das Ziel ist es laut Doktrin, in der Arktis eine "sichere und wettbewerbsfähige" Seeroute zwischen Europa und Asien zu entwickeln, die ganzjährig genutzt werden kann.

Denn hier verläuft der Nördliche Seeweg, der Nordeuropa mit Asien verbindet und damit von äusserster Bedeutung für den russischen Handel mit China ist. "Sie ist nicht nur kürzer und damit billiger, sondern sie stellt auch eine Alternative zu den maritimen Engstellen des Suezkanals, der Strasse von Malakka sowie zu den von Terroristen und Piraten bedrohten Seegebieten am Horn von Afrika dar", erklärt Gestwa.

Für Russland besitzt die Arktis zudem eine herausragende wirtschaftliche Bedeutung. Dort wird laut "Stiftung Wissenschaft und Politik" das meiste russische Gas und Öl gefördert. Zudem werden hier weitere Gas- und Ölfelder vermutet. Seltene Erden und Diamanten soll es hier ebenfalls geben.

Über welche Streitkräfte verfügen Nato und Russland in der Arktis?

Russland verfügt in der Arktis über eine dominante Präsenz, vor allem durch seine gut ausgestattete Nordflotte, die zu den stärksten Marineverbänden der Welt gehört. In den vergangenen Jahren hat Russland dort zusätzlich neue Luftwaffenstützpunkte gebaut, Atom-U-Boote in der Region stationiert und das Radarsystem modernisiert, um seine Verteidigungsposition zu stärken. Ausserdem sind Überschallraketen vom Typ "Kinschal" dort stationiert worden, wie Russland-Experte Gestwa sagt.

Die Nato reagiert zunehmend auf diese Entwicklungen. Vor allem die USA und Kanada investieren in die Modernisierung ihrer arktischen Verteidigungsinfrastruktur. Erst jüngst kündigte die kanadische Regierung an, die U-Bootflotte aufrüsten zu wollen und hierfür 60 Milliarden kanadische Dollar zu investieren, wie "asiapacific.ca" berichtet. Die USA hatten bereits vor zwei Jahren beschlossen, auf Grönland ihre Luftwaffen-Basis Pituffik auszubauen.

Nato-Manöver in der Region wie das Grossmanöver "Trident Juncture" 2018, bei dem auch die Bundeswehr mit mehreren Schiffen beteiligt war, oder auch das Manöver "Nordic Response" Anfang dieses Jahres zielen darauf ab, die Wehrfähigkeit des Bündnisses in der Region zu demonstrieren. Dabei ist der Gegner klar benannt: Während "Nordic Response" etwa wurde ein Angriff Russlands auf Norwegen simuliert.

Verschärft wird dieser Rüstungswettlauf durch das russisch-chinesische "Zweckbündnis", erklärt Arktis-Kenner Gestwa: "Für die chinesischen Militärs ist die Arktis strategisch wichtig, um in der Zukunft die eigenen Flottenverbände vom Pazifik schnell in den Atlantik zu verlegen und die U-Boote gut versteckt in der Arktis operieren zu lassen."

Einfluss der Nato-Norderweiterung

Auch auf Seite der Nato tut sich etwas: Durch den Beitritt Finnlands und Schwedens 2023 und 2024 sind nun auch zwei weitere Anrainerstaaten der Arktis Nato-Mitglieder. Damit sind alle arktischen Länder mit Ausnahme Russlands Teil des Verteidigungsbündnisses. Die Nato holt damit gegenüber Russland auf. Gleichzeitig erhöht die Erweiterung die Spannungen mit Putin. Durch den Beitritt Finnlands wird die direkte Grenze zwischen Nato und Russland um 1.300 Kilometer verlängert.

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Eine Konfrontation durch Grenzverletzungen im Luft- oder Seeraum ist damit immer wahrscheinlicher. Auch, weil die GIUK-Lücke immer mehr in den Fokus der russischen Marine rückt.

Die Bedeutung der GIUK-Lücke

Die GIUK-Lücke (Grönland-Island-Vereinigtes Königreich, englisch: UK) ist eine strategische Meerespassage im Nordatlantik, die traditionell als Verteidigungslinie der Nato gegen maritime Bedrohungen aus dem Norden gilt. Diese Lücke ermöglicht den Zugang vom Nordpolarmeer in den Atlantik. Im Kalten Krieg war sie von entscheidender Bedeutung, um sowjetische U-Boote zu überwachen und daran zu hindern, in den Atlantik vorzudringen und weiter Richtung US-amerikanische Ostküste.

Heute ist sie von hoher strategischer Relevanz, da Russland über eine der grössten U-Bootflotten der Welt verfügt. Der verbesserte militärtechnische Zugriff auf die GIUK-Lücke habe zuletzt merklich an Bedeutung zugenommen, erläutert Gestwa, "weil der Kreml Russlands Nordflotte zu Beginn des Jahres 2021 den Status eines eigenständigen Militärbezirks zugewiesen hat". Damit verbunden war eine weitere Verstärkung der Nordflotte, unter anderem mit mehreren neuen Atom-U-Booten der Borei-Klasse.

Sollte Russland die Kontrolle über diese Passage erlangen, könnte Putin Nato-Schifffahrtsrouten bedrohen und die militärische Stabilität im Nordatlantik gefährden. Spätestens dann würde eine der unwirtlichsten Gegenden der Welt zu einem der wichtigsten Schauplätze eines weltweiten Konfliktes werden.

Über den Gesprächspartner

  • Klaus Gestwa ist Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört unter anderem die Polargeschichte.

Verwendete Quellen

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