Die Russen sprechen von haltlosen Anschuldigungen, die die Amerikaner erheben. Es geht darum, ob der Kreml gegen einen der wichtigsten Abrüstungsverträge verstösst. Droht ein gefährliches Wettrüsten wie zu Zeiten des Kalten Krieges?
Im Streit um einen der wichtigsten Abrüstungsverträge mit den USA hat Russland nachgelegt und will sich ebenfalls aus dem Abkommen zum Verzicht auf atomar bewaffnete Mittelstreckenwaffen zurückziehen.
"Die amerikanischen Partner haben die Aussetzung ihrer Teilnahme an dem Vertrag erklärt, und wir setzen ihn ebenfalls aus", liess Präsident
Weitere Verhandlungen mit den USA solle es zu dem Thema vorerst nicht geben, fügte der Kremlchef bei einem Treffen mit Aussenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu hinzu.
Putin will neue Raketen entwickeln
Das Abkommen aus dem Jahr 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion untersagt den Bau und Besitz landgestützter, atomar bewaffneter Raketen oder Marschflugkörper mit einer Reichweite von 500 bis 5.500 Kilometern. Die USA und Russland werfen sich gegenseitig vor, den Vertrag gebrochen zu haben.
Untersagt sind auch die Produktion und Tests solcher Systeme. Die Abkürzung INF steht für "Intermediate Range Nuclear Forces", auf Deutsch: nukleare Mittelstreckensysteme.
"Wir wollen warten, bis unsere Partner reif genug sind, um mit uns einen gleichwertigen und sinnvollen Dialog über dieses wichtige Thema zu führen", fügte Putin hinzu. Er kündigte an, dass Russland nun auch an neuen, landgestützten Hyperschall-Mittelstreckenraketen arbeiten werde. Moskau werde aber nur dann Mittelstreckenraketen aufstellen, wenn Washington dies tue.
"Gleichzeitig wollen wir nicht in ein teueres Wettrüsten hineingezogen werden", sagt der Staatschef. Regierungschef Dmitri Medwedew sicherte alle finanziellen Mittel zur Entwicklung neuer Raketen zu.
Russland sieht Schuld bei den USA
US-Präsident
Bis der INF-Vertrag endgültig ausläuft, bleiben aber - zumindest theoretisch - noch sechs Monate Zeit für eine Beilegung des Streits.
Aussenminister Lawrow betonte, die USA würden den Vertrag seit 1999 verletzen. Zudem verstosse Washington mit dem Einsatz von Raketenabwehrsystemen in Europa gegen das Abkommen.
Russland habe alles unternommen, um den Vertrag zu retten und den Dialog mit den USA mehrfach gesucht, sagte der Chefdiplomat. "Die Amerikaner haben jegliches Interesse verloren."
Alles deute darauf hin, dass die USA sich schon vor vielen Jahren zu dem Schritt entschlossen habe, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit. "Und erst später hat die US-Regierung ihre haltlosen Anschuldigungen veröffentlicht", hiess es.
Nato steht geschlossen hinter USA
Die chinesische Führung forderte die USA und Russland dazu auf, ihren Streit zu überwinden. "Die chinesischen Seite lehnt den US-Rückzug ab und drängt die Vereinigten Staaten und Russland, ihre Differenzen durch einen konstruktiven Dialog beizulegen", sagte der Sprecher des chinesischen Aussenministeriums, Geng Shuang, in Peking.
Die Nato-Partner stellten sich geschlossen hinter die Forderung der Amerikaner an Russland, einzulenken und die Vertragsbedingungen bis spätestens August einzuhalten.
Die Amerikaner und die Nato werfen den Russen seit langem vor, mit ihren Raketen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen die Vorgaben des Vertrags zu verstossen.
Der russische Aussenpolitiker Leonid Sluzki lobte die Ankündigung Putins als richtig und "gesund". Die USA hätten Russland keine andere Option gelassen, als so zu reagieren, sagte der Vorsitzende des Aussenausschusses in der russischen Duma.
"Niemand wird sagen können, dass Russland dieses Wettrüsten provoziert hat." Putins Entscheidung entspreche Russlands Interessen, sagte der Aussenpolitiker Konstantin Kossatschow.
Sorge über mögliches atomares Wettrüsten
In vielen Teilen der Welt löste die Ankündigung aus Washington Sorge vor einem neuen atomaren Wettrüsten aus. Die Nato hat nach den Worten von Generalsekretär Jens Stoltenberg keine Absicht, neue Atomwaffen bodengestützter Art in Europa zu stationieren.
"Wir müssen aber klarmachen, dass wir eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung haben - in einer Welt auch ohne INF-Vertrag", sagte Stoltenberg am Freitagabend im ZDF-"heute journal".
Er kündigte eine "angemessene Reaktion" an, die "defensiver" Natur sein "und im Verhältnis stehen" werde. Die russische Entscheidung wollte die Nato am Samstag auf Anfrage nicht kommentieren. Man beobachte die Situation weiter aufmerksam, hiess es.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock forderte Europa auf, das Abkommen zu retten. Es gehe vor allem um die Sicherheit Europas, sagte Baerbock der Deutschen Presse-Agentur.
Aufgabe der Bundesregierung sei es daher jetzt, daran mitzuwirken, dass es einen Sondergipfel der Aussen- und Verteidigungsminister der EU gibt. Dabei müsse Europa ein sicherheitspolitisches Konzept definieren und Vorschläge präsentieren, "wie man gegenseitiges Vertrauen wieder herstellen kann".
Weil sieht Parallelen zum Kalten Krieg
FDP-Aussenexperte Alexander Graf Lambsdorff glaubt, dass Moskau "nie wirkliches Interesse hatte, reinen Tisch in Bezug auf sein Raketensystems 9M729 zu machen und den INF-Vertrag zu erhalten".
Dies gelte umso mehr, da Putin die Entscheidung gleichzeitig mit der Ankündigung verband, Russland werde mit der Entwicklung neuer Raketen beginnen.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) betonte, dass ein neues Wettrüsten muss unbedingt verhindert werden müsse.
"Wahrscheinlich brauchen wir eine neue Friedensbewegung", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Frieden sei keine Selbstverständlichkeit. Er sehe, wie 30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges die alten Geister wieder hoch kämen.
Der frühere Aussenminister Sigmar Gabriel (SPD) warf den USA auf Twitter vor, niemanden an ihren Aufrüstungsentscheidungen zu beteiligen und Gefolgschaft zu verlangen. "Wir aber sind Partner und keine Vasallen. Unser Weg muss Rüstungskontrolle und Abrüstung sein." © dpa
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