Das russische Militär lässt die Muskeln spielen und der ins Exil geflohene Präsident Janukowitsch gibt sich nicht geschlagen: Steht die jahrhundertelang umkämpfte Krim erneut vor einer mörderischen Auseinandersetzung - oder sind die Drohgebärden Russlands nur Säbelrasseln?
"Auf der Krim sind die Entwicklungen derzeit nicht prognostizierbar", sagt die Ukraine-Expertin Anna Veronika Wendland vom Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung in Marburg. "Es könnte aber durchaus sein, dass die Eskalation in sich zusammenbricht, wie das auch in der Ost-Ukraine der Fall war." Selbst im Herzland von Janukowitschs Partei hätten die Aufrufe des Ex-Präsidenten nicht zu Aufständen gegen die Revolutionäre geführt. Der Schlüssel für die weiteren Entwicklungen sei aber nach wie vor Moskau.
"Vor allem auf dem flachen Land, ausserhalb der Städte wünschen sich die Menschen auf der Krim vor allem eines: Stabilität", sagte Wendland. Die aktuellen Konflikte würden vor allem von einer kleinen, bewaffneten Minderheit vorangetrieben, die bisher aber keinen grossen Rückhalt in der Bevölkerung habe. Die Haltung Russlands sei derzeit jedoch schwer einzuschätzen. Immerhin gehe es auch um ganz handfeste geopolitische Interessen.
Entsprechend ernst nehmen auch die deutschen Aussenpolitiker die Entwicklungen. Am Freitagmorgen warnte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der auch Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages ist, in einem Interview vor den möglichen Folgen einer militärischen Auseinandersetzung auf der Krim. Die Situation sei "nah an der Kante" der Eskalation. Wichtigster Schritt sei es, die Wirtschaft des Landes zu stützen und keine politischen Massnahmen zu unterstützen, die den Konflikt noch verschärfen könnten.
Am Donnerstag hatte sich auch Aussenminister
So bleibt abzuwarten, wie ernst es Russland mit der Ankündigung ist, die Rechte seiner Landsleute kompromisslos verteidigen zu wollen - eine Option, die die russische Verfassung ausdrücklich zulässt. "Russland wird aber sicherlich genau abwägen, ob eine Eskalation in Europa den russischen Interessen dienlich ist", sagte Wendland. "Der Kreml hat sich in dieser Sache aber bisher auffällig selten geäussert."
Dass Russland im Ernstfall auch ein militärisches Eingreifen nicht scheut, zeigt der Georgienkrieg von 2008, der in der Abtrennung von Südossetien und Abchasien endete. Die ehemaligen Teilrepubliken sehen sich bis heute als selbstständige Staaten. Obwohl sie völkerrechtlich noch offiziell zu Georgien gehören, hat die georgische Regierung de facto keine Kontrolle mehr über diese Regionen.
Weil die Ukraine aber in Europa liege, seien die Vorzeichen in diesem Fall doch ganz anders, sagte Wendland. So sei es fraglich, ob sich Russland tatsächlich eine solche Auseinadersetzung aufhalsen wolle. Zumal die Versorgung der Krim-Halbinsel vom russischen Festland äusserst schwierig und teuer sei. Energie, Wasser und Lebensmittel müssten von ukrainischem Gebiet aus in die Region transportiert werden.
"In dieser Situation hilft nur eines: Konsequente Deeskalation", sagte Wendland. Mit dem Ruf nach Vermittlung durch die UNO habe die Ukraine genau den richtigen Schritt gemacht. Dadurch werde der Konflikt von einer bilateralen Auseinandersetzung zu einer internationalen Angelegenheit.
Nach Ansicht von Wendland wird der aktuelle Konflikt oft grundsätzlich falsch wahrgenommen. "In der Ukraine geht es keineswegs um einen Bürgerkrieg der russischsprachigen Bevölkerung gegen die Ukrainischsprachige, das sollte man nicht vergessen", sagte Wendland. Diesen Eindruck versuche vor allem die russische Führung mit einem wahren Propagandafeldzug der russischen Medien zu vermitteln. "Im Prinzip geht es darum, dass sich ein Land vom vielleicht 40 Personen umfassenden, zutiefst korrupten Regime befreit hat, das sich den Staat angeeignet hatte. Deshalb sind jetzt auch alle Kassen leer."
Wenig Chancen gibt die Wissenschaftlerin Wendland dem Ex-Präsidenten Janukowitsch. "Er hätte jetzt die letzte Chance, in die Geschichte einzugehen, indem er anerkennt, dass er verloren hat", sagte Wendland. "Danach sieht es aber derzeit nicht aus." Auch die weitere Unterstützung durch Russland sei fraglich. So sei es bezeichnend, dass die Pressekonferenz Janukowitschs nicht im Kreml in Moskau, sondern in der "südrussischen Provinz" stattfinde. Es sei unwahrscheinlich, dass er in Zukunft noch eine grosse historische Rolle spielen werde. "Allenfalls als Dauergast in russischen Hotels oder als Angeklagter in Den Haag."
Zur Erinnerung: Nach den monatelangen Demonstrationen gegen das System Janukowitsch auf dem zentralen Maidan-Platz hatten sich die Ereignisse in den vergangenen Tagen überschlagen: Am Sonntag hatte das Parlament Präsident Janukowitsch abgesetzt, danach war er untergetaucht. Erst am Freitag wurde bekannt, dass er in Russland Unterschlupf gefunden hatte.
Auf der Krim besetzten Bewaffnete das Regionalparlament in der Hauptstadt Simferopol und kurzzeitig auch den dortigen Flughafen. Die Besetzer kündigten für den 25. Mai, den Tag der neuen Präsidentschaftswahl, eine Volksbefragung über die Zukunft der Region an. Kurz zuvor hatte das russische Militär seine Truppen an der ukrainischen Grenze in Alarmbereitschaft versetzt. Präsident Vladimir Putin hatte angekündigt, den Schutz der ebenfalls auf der Krim stationierten Schwarzmeerflotte zu verstärken und Manöver abzuhalten. Die ukrainische Übergangsregierung kritisierte diesen Schritt scharf und rief die UNO als Vermittler an.
Historisch gesehen ist die Krim bereits seit Jahrhunderten Zankapfel der verschiedenen Interessen der Grossmächte. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert unter Katharina der Grossen wird die Krim von vielen Russen als Teil des Landes angesehen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurde die Ukraine autonom. Heute besteht der grösste Teil der Bevölkerung auf der Krim aus Russen und Ukrainern. Drittgrösste Bevölkerungsgruppe sind die etwa 200.000 muslimischen Krimtataren, die auch an den Protesten gegen Janukowitsch beteiligt waren und die sich in der Vergangenheit immer wieder gegen den russischen Einfluss auf der Krim zur Wehr gesetzt hatten.
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