- Die Mitgliedstaaten der EU haben ein Öl-Embargo gegen Russland beschlossen. Es ist Teil eines sechsten Massnahmenpaketes, welches am Mittwoch (1. Juni) auf den Weg gebracht wurde.
- Sind damit alle Sanktionen ausgeschöpft? Michèle Knodt sagt: Nein, aber ein weiteres Paket wird trotzdem so schnell nicht kommen.
- Sie erklärt, warum und macht deutlich, wann man das nächste Paket lieber ganz fallen lassen sollte.
Die Europäische Union erhöht den Druck auf Russland weiter: Die EU-Staaten haben sich am Mittwoch (1. Juni) auf ein weiteres Sanktionspaket geeinigt. Kern ist ein Öl-Embargo. Mehr als zwei Drittel der russischen Öl-Lieferungen in die EU sollen von dem Einfuhrverbot betroffen sein, Russland könnte das mehrere hundert Millionen pro Tag kosten.
Das EU-Mitgliedsland Ungarn hatte wochenlang gebremst und auf seine Abhängigkeit von russischen Öl-Lieferungen verwiesen. Die Kompromisslösung sieht nun vor, zunächst nur Öl-Lieferungen über den Seeweg zu unterbinden und per Pipeline erfolgende Transporte weiterhin zu ermöglichen. Deutschland und Polen haben allerdings bereits erklärt, dass sie von der Ausnahme für Pipeline-Öl keinen Gebrauch machen wollen.
Ungesehene Politik
Mit dem jetzigen Paket setzt die EU eine ungesehen scharfe Sanktionspolitik fort. Das erste Sanktionspaket war bereits Ende Februar, kurz vor der Invasion auf den Weg gebracht worden. Damals hatte Putin die zwei nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete Donezk und Luhansk in der Ostukraine als unabhängige Gebietseinheiten anerkannt und russische Truppen entsendet.
Im ersten Massnahmenpaket waren unter anderem Vermögenswerte von Mitgliedern der Staatsduma eingefroren, Reiseverbote verhängt sowie Handels- und Investitionsbeschränkungen beschlossen worden. Seitdem zielen immer weitere Sanktionen darauf ab, Putin und dem Kreml das Leben schwer zu machen.
Zahlreiche Handelsverbote
Manche Massnahmen zielen direkt gegen Einzelpersonen, beispielsweise gegen Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates, hochrangige Beamte, Militärangehörige und prominente Geschäftsleute. Über 1.000 Personen stehen bereits auf der Sanktionsliste.
Zu den Wirtschaftssanktionen zählen zahlreiche Handelsverbote. Beispielsweise ist die Ausfuhr von in der Luft- und Raumfahrtindustrie verwendeten Gütern und Technologien nach Russland verboten.
Kommt bald ein siebtes Paket?
Ausserdem hat die EU russische Banken aus dem SWIFT-Verfahren ausgeschlossen und die Ausstrahlung von "Sputnik" und "Russia Today" ausgesetzt. Mit dem jetzt beschlossenen Paket wird auch die "Sberbank", die grösste russische Bank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk ausgeschlossen. Weitere TV-Sender sollen verboten werden: Rossija 24, RTR Planeta und TV Centre.
"Auch diesmal darf man sich keine falschen Hoffnungen machen: Die Sanktionen wirken alle nur mittelfristig – sie können nicht kurzfristig den Krieg beenden", sagt Politikwissenschaftlerin Michèle Knodt. Dass dem sechsten Paket bald ein siebtes folgt, hält die Expertin für unwahrscheinlich. "Die ersten fünf Pakete gingen relativ reibungslos über die Bühne, beim sechsten Paket hat man aber jetzt schon gemerkt: Das, was einstimmig getragen wird, ist so langsam abgeräumt", beobachtet Knodt.
Gas-Embargo steht an
Jetzt kämen die wirklich kritischen Bereiche. "Es gab schon Streit mit Ungarn, denn nun geht es an die Bereiche, die den Mitgliedstaaten wirklich weh tun", meint sie. Wie fragil die Einigungen über die Sanktionen sind, zeige das erneute Veto Ungarns nach Strafmassnahmen gegen Patriarch Kirill. Beim nächsten Mal dürfte es Deutschland weh tun: "Das siebte Paket müsste folgerichtig ein Gas-Embargo beinhalten", erinnert Knodt.
Die baltischen Staaten fordern das bereits, auch in Deutschland wird ein solcher Schritt immer wieder diskutiert. Knodt aber ist sich sicher: "Bei Gas wird man sich noch schwerer tun als beim Öl." Ihre Vermutung daher: Vor allem Deutschland wird versuchen, das Thema auf die lange Bank zu schieben.
Signal der Schwäche
"Deutschland wird versuchen zu verhindern, dass das Thema überhaupt auf die Tagesordnung kommt", schätzt die Expertin. Denn in diesem Fall müsse sich Deutschland positionieren – "und im Grunde genommen dagegen aussprechen", meint Knodt. Aus ihrer Sicht hätte es fatale Folgen, wenn hierzulande im Winter Gas nicht in ausreichender Menge vorhanden sei.
"Wenn bei einer Sanktion nicht alle mitmachen, wird das von Putin als Schwäche ausgelegt", warnt sie. Eine "Koalition der Willigen", bei der sich nur Teile der Mitgliedstaaten an Sanktionen beteiligen oder ein Massnahmenpaket mit Ausnahmen für manche Staaten spiele Putin in die Hände. "Er versucht bereits jetzt ständig, die EU zu spalten", erinnert Knodt.
Jetzt wird es schmerzhaft
Wenn Deutschland nicht mitmache, sei es schwierig, überhaupt von einer Sanktion zu sprechen, die Putin trifft. "Deutschland verbraucht schliesslich das meiste russische Gas, sitzt daher am stärksten Hebel", betont Knodt.
Zwar gäbe es weitere denkbare Sanktionen – ein Embargo gegen weitere Rohstoffe aus Russland wie zum Beispiel Nickel, Palladium und Chrom– aus Knodts Sicht bleibt aber ein Problem: "Von diesen Stoffen sind wiederum andere Länder abhängig, irgendein stark leidendes EU-Land wird es bei den Sanktionen, die jetzt noch kommen, immer geben", meint sie.
Sanktion ohne Deutschland wäre fatal
Es habe schliesslich einen Grund, warum die Pakete in der Reihenfolge gekommen seien, wie sie es taten. "Das, was kritisch für manche Staaten ist, hat man versucht, aussen vor zu lassen", sagt sie. Ein Paket zu beschliessen, in dem eine weitere Bank und weitere Einzelpersonen auf der Sanktionsliste stehen, hält sie für nicht spektakulär genug. "Ich glaube auch nicht, dass die EU das macht", sagt Knodt.
Sie betont: "Das nächste Paket muss Gas enthalten, oder man legt es gar nicht erst auf. Wenn Deutschland bei einer solchen Sanktion nicht mitmachen würde, wäre das fatal." Dass ein solches Embargo gar nicht mehr kommt, hält sie allerdings nicht für ausgemacht.
Lange Übergangsfristen
"Wir müssen zunächst den nächsten Winter überstehen. Die EU und insbesondere Deutschland werden eine solche Sanktion deshalb lange hinauszögern und mit langen Übergangsfristen versehen", sagt die Expertin.
Deutschland versuche bereits seine Hausaufgaben zu machen und Flüssiggas einzukaufen. "Aber der Markt ist nicht unendlich, Transportkapazitäten und Terminals müssen erst aus- und aufgebaut werden", erinnert Knodt. Beim Energiesparen mangele es an Ressourcen wie Handwerkern, Energieberatern und Baumaterialien. Energieeffizienz brauche Zeit und Ressourcen. "Beides haben wir nicht", bilanziert sie.
Verwendete Quellen:
- Europäischer Rat: EU-Sanktionen gegen Russland: ein Überblick. Stand 1. Juni 2022
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