In Schottland und Katalonien sollen zwei Referenden über deren Unabhängigkeit entscheiden. Doch geht es für die Schotten wirklich ohne England und dürfen die Katalanen überhaupt abstimmen? Was bedeutet das für den Rest Europas? Die wichtigsten Fragen.

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Das schottische Unabhängigkeitsreferendum am 18. September hat grosse Sprengkraft. Sollten die Separatisten gewinnen, könnte das auf andere europäische Länder übergreifen - so die Befürchtungen. Vor allem die Katalanen schauen gespannt auf das schottische Unabhängigkeitsvotum. Denn auch viele Katalanen fordern die Unabhängigkeit. So haben am Donnerstag Hundertausende Menschen in Barcelona für die Unabhängigkeit ihres Landes demonstriert. Auch Katalonien will ein Referendum abhalten - am 9. November. Und sollten die Schotten tatsächlich für die Unabhängigkeit votieren, könnten weitere Bevölkerungsgruppen in Europa folgen. Was passiert, wenn sich Europas Grenzen verschieben - und wie bedrohlich sind die Separatisten?

Wieso wollen Schotten und Katalanen unabhängig sein?

Schottland: Die Britische Krone und Schottland schlossen 1707 ein Abkommen. Sie fusionierten zum Vereinigten Königreich. Schottland fühlte sich vor allem aus Geldnot dazu bewegt. 300 Jahre später haben die Schotten ein höheres Pro-Kopf-Einkommen und streben nun die Unabhängigkeit an.

Eines der wichtigsten Argumente der Regierung für eine Abspaltung sind die Finanzen – spätestens seit in den1960er und 1970er Jahren das erste Öl vor der schottischen Küste gefunden wurde. Die These der Nationalpartei SNP: Schottland kann mithilfe der Öl-Einnahmen locker auf eigenen Füssen stehen. Sollten die Schotten am 18. September für eine Abspaltung von England stimmen, will Parteichef Alex Salmond nach norwegischem Modell einen Teil der Steuereinnahmen in einen Öl-Fonds stecken. Der soll die Zukunft kommender Generationen finanzieren.

Katalonien: Im spanischen Erbfolgekrieg wurde Barcelona am 11. September 1714 von den Truppen Königs Philipp V. eingenommen. Die Katalanen verloren ihre Macht an die spanische Krone. Unter Diktator Franco, der anfangs des 20. Jahrhundert regierte, litten die Einwohner besonders. Er verbot jegliche regionale Identität. So war es sogar untersagt, die vier spanischen Regionalsprachen zu sprechen – darunter Katalan. Weitreichende Autonomie erhielt das Land 1978. "Nation" darf sich das Land aber bis heute nicht nennen.

Mit 7,6 Millionen Einwohnern ist Katalonien für Spanien eine wichtige Region. Rund ein Fünftel des gesamten Bruttoinlandsproduktes des Landes wird in der autonomen Gemeinschaft erwirtschaftet. Insgesamt muss die Zentralregierung acht Prozent des katalanischen Bruttoinlandproduktes abführen – rund 16 Milliarden Euro im Jahr. Dies leistet den Separatisten Vorschub. Zudem fühlen sich viele Einheimische bis heute in kultureller Hinsicht mit dem Rest des Landes nicht verbunden.

Ist eine Abspaltung rechtlich überhaupt möglich?

Schottland: Ja. Die Abspaltung könnte am 18. September beschlossene Sache sein. Denn vor zwei Jahren gestand die Cameron-Regierung dem Nachbarland das Recht auf ein Referendum zu. Das bedeutet: Die Schotten dürfen selbst bestimmen, ob sie ihr Heil in der Unabhängigkeit suchen.

Katalonien: Nein. Eine Abspaltung ist nicht möglich. Zwar soll auf Betreiben des katalanischen Regierungschefs Artur Mas am 9. November über eine Unabhängigkeit abgestimmt werden. Doch ob ein solches Referendum zustande kommt, ist fraglich. Es "darf und wird auch nicht stattfinden", sagte Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy im Juli. Es sei illegal und könne politische Instabilität auslösen. Daran wird sich die katalanische Regierung sicher halten.

Was sagen die Umfragen?

Schottland: Bei den Schotten wird es ein enges Rennen zwischen "Yes" und "No" zur Unabhängigkeit geben. Aktuellen Umfragen sehen ganz knapp Befürworter der Unabhängigkeit vorn: 51 zu 49 Prozent.

Katalonien: Bis vor Kurzem waren die Separatisten noch in der Minderheit. Lediglich knapp 20 Prozent waren für eine Unabhängigkeit. Das hat sich seit 2012 geändert: Damals erklärte das Madrider Verfassungsgericht mehrere Passagen in der katalanischen Landesverfassung für illegal. Die Folge: Viele Katalanen empfanden dies als Demütigung. Die Separatisten erhielten starken Zulauf. So demonstrierten am Donnerstag Tausende Menschen im Zentrum Barcelonas. Zur Demo anlässlich des 300. Nationalfeiertages der Region im Nordosten Spaniens hatten sich nach Angaben der Organisatoren mehr als 500.000 Menschen angemeldet. Gekommen waren nach Schätzungen der städtischen Polizei etwa 1,8 Millionen. Ob allerdings die Mehrheit für eine Unabhängigkeit votieren würde, ist fraglich. Die Ergebnisse von Umfragen schwanken zwischen 35 und 55 Prozent.

Welche Währung würden die unabhängigen Staaten haben?

Schottland: Die Schotten wollen beim britischen Pfund bleiben. Doch ohne politische Union gibt es keine gemeinsamen Finanzen, verkündeten die drei grossen Parteien in London – Konservative, Labour und Liberale – einmütig. Will Salmond dennoch beim Pfund bleiben, ist er auf den guten Willen der Bank of England angewiesen. Die Royal Bank of Scotland und die Bank of Scotland, beide mit Sitz in Edinburgh, würden ihren Zugang zur britischen Notenbank verlieren. Deshalb haben mehrere Grossbanken nun ihren Umzug nach England angekündigt, sollte es zur Abspaltung kommen.

Die Einführung des Euros dagegen gilt als unwahrscheinlich: Zum einen ist der Euro in Schottland verpönt, zum anderen bedürfte es der Zustimmung aller EU-Mitglieder, auch Spaniens – und das gilt als unwahrscheinlich. Der Grund: Spanien befürchtet, dass eine Abspaltung Schottlands die Unabhängigkeitsbewegungen der Katalanen und Basken beflügelt. Logische Konsequenz wäre dann eine eigene schottische Währung.

Katalonien: Die Frage ist: Können die Katalanen beim Euro bleiben? EU-Kommissionspräsident José Manuel Durao Barroso stellte diesbezüglich klar: "Ein neuer unabhängiger Staat würde zu einem Drittland in Bezug auf die EU". Sollte Katalonien einen Aufnahmeantrag in die EU stellen, so müsste dieser einstimmig von den 28 Mitgliedsstaaten akzeptiert und von allen Staaten ratifiziert werden.
Auch Rajoy verweist auf die Verfassung und darauf, dass eine Abspaltung den Katalanen gravierende Nachteile wie den Ausschluss aus der EU und aus dem Euro bringen würde. Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte kürzlich bei einem Spanien-Besuch, dass sie diese Argumentation für logisch halte und daher unterstütze.

Blieben Spanien und England EU-Mitglied?

Ja. Ein Referendum ändert vorerst nichts an dem Status. Eine Abspaltung der Regionen von einem EU-Staat wäre ein Präzedenzfall. Welche politischen Konsequenzen sich daraus ergeben, ist noch nicht abzusehen. Eine Abspaltung Schottlands könnte allerdings den Austritt der Briten aus der Union bewirken. Denn im Vergleich zu den Engländern sind die Schotten recht EU-freundlich. Bei einer möglichen Abstimmung über ihre EU-Mitgliedschaft in 2017 könnten den Pro-Europäern dann die nötigen schottischen Stimmen fehlen.

Wären Schotten und Katalanen automatisch Mitglied der EU?

Es gibt kein Musterbeispiel dafür, was passiert, wenn sich eine Region von einem EU-Staat lossagt. Die schottische Regierung argumentiert, dass sie nach Artikel 48 des EU-Vertrags selbst aushandeln könnte, ab März 2016 übergangslos ein selbstständiges Mitglied zu sein. London sieht das anders: Schottland müsse sich neu bewerben, wie es Artikel 49 vorsieht. So sieht es wohl auch EU-Kommissionspräsident Barroso. Im Februar sagte er, ein EU-Beitritt werde "sehr schwierig, wenn nicht unmöglich" für Schottland, weil alle Mitglieder zustimmen müssen – auch die Briten. Ausserdem müssten Schottland und Katalonien nachweisen, dass sie den Stabilitätspakt erfüllen können. Allerdings dauert so ein Prozess Jahre.

Gäbe es für Europa weitere Folgen?

Aus verschiedenen Ecken Europas schauen Bevölkerungsgruppen, die selbst gern unabhängig wären, gespannt nach Edinburgh. Neben den Katalanen und Basken in Spanien auch die Korsen in Frankreich. Nationalbewegungen könnten ordentlich Auftrieb bekommen, wenn die Schotten "Yes" sagen zur Unabhängigkeit. Auch die Republikaner in Nordirland könnten ein Referendum fordern über die Vereinigung mit Irland. Möglich wäre sogar, dass im Nordirland-Konflikt wieder Gewalt ausbricht.

In Belgien schwelt dagegen seit Mitte des 19. Jahrhunderts ein Streit zwischen Bevölkerungsgruppen. Flämische Nationalisten streben ein unabhängiges Flandern an. Im Juni 2010 wurde die Partei N-VA zur politisch stärksten Kraft und verhinderte monatelang die Bildung einer Zentralregierung in Brüssel. Erst 2011 einigten sich die Parteien und verhinderten so die Aufspaltung Belgiens. 2014 wurden die Separatisten erneut stärkste Kraft und sollen nun erstmals Belgien mitregieren.

(mit Material der dpa)
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