Wie viele andere UNO-Mitgliedstaaten hat die Schweiz den im letzten Jahr von der UNO-Generalversammlung verabschiedeten Vertrag für ein Atomwaffenverbot noch nicht unterzeichnet und ratifiziert. Wieso nicht? Am Donnerstag wird sich das Parlament mit der Frage befassen.

Mehr aktuelle News

Beatrice Fihn, die Direktorin der internationalen Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), bekräftigte letzten Samstag in einem Beitrag des Westschweizer Radio und Fernsehens (RTS): "Wenn die Schweiz diesen Vertrag nicht unterzeichnet, wird das Fragen zu ihrem Status als Verfechterin des humanitären Völkerrechts und der Abrüstung aufwerfen. Ich denke, es würde ihre Glaubwürdigkeit in diesem Bereich untergraben."

Die ICAN mit Sitz in Genf wurde 2017 mit dem Friedensnobelpreis für ihre führende Rolle bei der Verabschiedung des Vertrags über ein Atomwaffenverbot ausgezeichnet, der Artikel 6 des Atomwaffen-Sperrvertrags (NPT) von 1968 stärken soll.

Teilt das Schweizer Parlament die Ansicht von Beatrice Fihn? Der Nationalrat (grosse Kammer) wird sich am Donnerstag mit der Frage befassen. Der Rat wird über eine Motion des sozialdemokratischen Abgeordneten Carlo Sommaruga debattieren, in welcher der Bundesrat (Regierung) ersucht wird, "so schnell wie möglich den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen und diesen umgehend dem Parlament zur Genehmigung für die Ratifikation vorzulegen".

Die Zweifel Berns

Botschafterin Sabrina Dallafior, die Vertreterin der Schweiz bei der Abrüstungskonferenz in Genf, verteidigt die Ernsthaftigkeit der von der Regierung vertretenen Position. "Die Schweiz hat sich an den Verhandlungen und den Vorbereitungsarbeiten für den Vertrag beteiligt. Und am 7. Juli letzten Jahres stimmte sie dem Verhandlungsergebnis zu, weil die Schweiz den Wunsch nach einer Welt ohne Nuklearwaffen teilt und auch unterstützt, dass die katastrophalen humanitären Auswirkungen eines Atomwaffeneinsatzes im Vertrag erwähnt werden."

Aber es wird noch einige Monate dauern, bis klar sein wird, ob Bern bereit sein wird, das Abkommen zu unterzeichnen und zu ratifizieren. "Eine interdepartementale Arbeitsgruppe in Bern analysiert den Text, um zu evaluieren, ob er technisch einwandfrei ist, und ob dies wirklich die beste Art und Weise ist, zu einem Verbot zu kommen", präzisiert die Botschafterin.

In der Tat versteckt die Regierung nicht, dass sie mit Blick auf das Abkommen eine gewisse Skepsis hat. "Wir sind nicht sicher, dass dieser Vertrag wirklich ein Schritt in Richtung Abschaffung der Kernwaffen ist, weil die Länder, die Nuklearwaffen besitzen, nicht dabei sind – wir aber überzeugt sind, dass sie und ihre Verbündeten mit einbezogen werden müssten", erklärt Sabrina Dallafior weiter. Ein Verbotsvertrag sollte sich nicht gegen die Atomwaffenstaaten richten, sondern diese einbinden.

Beatrice Fihn lässt sich von dieser Argumentation nicht erschüttern. "Abrüstung ist etwas, das langfristig geschieht. Wir werden sämtliche Nuklearwaffen verbieten und abschaffen können. Die einzige Frage, die sich stellt, ist: Werden wir es jetzt tun, oder nachdem sie eingesetzt worden sind?", fragte die Aktivistin im gleichen Beitrag von RTS.

Schwieriger Kompromiss

Marc Finaud, Berater am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCPS), weist seinerseits auf die Schwierigkeiten der Schweizer Position hin: "Bern will alle Auswirkungen des Vertrags unter die Lupe nehmen. Das ist logisch und rechtlich gerechtfertigt. Aber was die Schweiz zu tun hofft, nämlich die Kluft zwischen Gegnern und Befürwortern des Vertrags zu überbrücken, gleicht der Quadratur des Kreises. Entweder man ist dabei oder nicht. Praktisch ist kaum ein Kompromiss möglich."

"Die Staaten, die Kernwaffen besitzen, und jene befreundeten Länder, mit denen sie bilaterale Verteidigungsabkommen geschlossen haben, zählen noch immer auf diese Waffen und wollen an ihnen festhalten", erklärt der Experte für Weiterverbreitung von Waffen beim GCSP weiter.

"Sie wollen nicht, dass diese Waffen als illegal oder unrechtmässig qualifiziert werden, denn dies würde ihre Verteidigungsabkommen in Frage stellen. Aber die überwiegende Mehrheit der Staaten dieser Welt steht heute hinter dem Vertrag für ein Atomwaffenverbot (122 Staaten haben das Abkommen angenommen, 57 haben es bisher unterschrieben und 5 ratifiziert). Es geht um einen wachsenden Trend und eine neu entstehende Norm. Und dann werden alle Länder eine Entscheidung treffen müssen. Für die Schweiz wird es sehr schwierig werden, an einer Kompromissposition festzuhalten."

Tatsächlich zeigt der Vertrag ein wieder erwachtes Bewusstsein, was die erneuten Bedrohungen durch Atomwaffen angeht.

Vielschichtige Bedrohungen

So bleibt etwa das Risiko in Nordkorea sehr real. Auch wenn die spektakuläre Ankündigung eines möglichen Treffens zwischen US-Präsident Donald Trump und Nordkoreas Führer Kim Jong-Un, der sich bereit erklärt haben soll, über die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel zu verhandeln, für den Moment zu einer leichten Entspannung geführt hat.

Doch eine Tatsache bleibt bestehen. Nordkorea sieht sich nun neben den acht bisherigen Staaten mit Nuklearwaffen (China, Frankreich, Grossbritannien, Russland, USA, Israel, Indien und Pakistan) als neue Atommacht.

Die Gefahr der Proliferation ist also noch lange nicht ausgeschlossen, zumal US-Präsident Trump weiter damit droht, aus dem internationalen Nuklearabkommen mit Iran auszusteigen, das genau darauf abzielt, zu verhindern, dass Iran zu einer weiteren Nuklearmacht wird.

Risiko für bestehende Verträge

Und dies ist nur ein Teil der Bedrohung, die von der nuklearen Aufrüstung ausgeht. "Seit mehreren Jahren beobachtet die Schweiz mit grosser Sorge den Trend zur Aufrüstung statt Abrüstung. Die Zahl der Kernwaffen hat zwar abgenommen, ihre Qualität ist jedoch gestiegen. Alle Staaten mit Nuklearwaffen haben Modernisierungsprogramme", erklärt Sabrina Dallafior.

Ein Sorge, die António Guterres teilt. Bei einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrats am 18. Januar 2018 über die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen betonte der UNO-Generalsekretär diesen Punkt nachdrücklich: "Die Besorgnis über Kernwaffen hat weltweit den höchsten Stand seit dem Ende des Kalten Kriegs erreicht. Und dies vor dem Hintergrund steigender Militärbudgets und einer Überakkumulation von Waffen." Der Wachstum des Waffenhandels wurde auch im jüngsten Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (Sipri) dokumentiert.

Der UNO-Generalsekretär wies vor allem auf Washington und Moskau hin: "Das Vertrauen in der Nuklear-Frage und anderen Fragen zwischen den Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation sinkt weiter. Die wesentlichen Massnahmen zur Reduktion der strategischen Waffen, die während und nach dem Kalten Krieg ergriffen wurden, sind bedroht. Es scheint, dass kein Interesse mehr daran besteht, neue Abkommen über die Reduktion des Kernwaffenarsenals auszuhandeln, nachdem der Vertrag über Massnahmen zur weiteren Verringerung und Begrenzung der strategischen Offensivwaffen 2021 abläuft."

Wiederbeleben der Abrüstungskonferenz

Ob relevant oder irrelevant, der Vertrag über ein Verbot von Atomwaffen ist bei weitem nicht die einzige Antwort, um der nuklearen Bedrohung entgegenzutreten. Und in Genf könnte die Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament, CD), die sich nach 20 Jahren Lähmung auf eine neue Arbeitsmethode geeinigt hat, weitere Antworten beitragen, falls sich die Bereitschaft ihrer Mitglieder, voranzukommen, bestätigt.

Sabrina Dallafior, die Schweizer Vertreterin bei der Abrüstungskonferenz, sagt in dem Zusammenhang: "Ich verweise darauf, dass dieser Entscheid im Konsens getroffen wurde, was vorher bei der CD unmöglich zu sein schien. Es geht um Nuklearthemen, aber auch um andere Entwicklungen in der Rüstungsindustrie. Die Abrüstung ist in sich etwas Ganzes."


(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

  © swissinfo.ch

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.