Während in den USA die Kongresswahlen anstehen, wächst auf der anderen Seite des Atlantiks die Besorgnis über Desinformationskampagnen, die den demokratischen Prozess untergraben. Ist die Schweiz im Vorfeld der Parlamentswahlen im kommenden Jahr gerüstet gegen Fake-News-Kampagnen?
Es ist inzwischen ein häufiges Szenario, zuletzt sichtbar im Vorfeld des Referendums in Mazedonien, bei dem die Bevölkerung über eine Änderung des Ländernamens abstimmte: Internet-Trolle, falsche Benutzerkonten und automatisierte Verteiler streuten Falschinformationen in den sozialen Medien und riefen zum Boykott des Referendums auf. 50% Wahlbeteiligung wären für die Gültigkeit der Abstimmung erforderlich gewesen. Am Ende waren es 34%. Das Ergebnis – ein überwältigendes Ja – war damit null und nichtig.
Seit den umkämpften US-Präsidentschaftswahlen vor zwei Jahren ist das Problem in aller Munde: Fake News und manipulative Wahlbeeinflussung beschäftigen Politiker, Medien und die gewöhnlichen Bürger gleichermassen.
Selbst in der Schweiz, die für ihre Politik der Kompromisse und schwachen Polarisierung bekannt ist, sind Abstimmungen nicht immun gegen Manipulation. Aber während in Nachbarländern mit neuen Gesetzen und speziellen Behörden experimentiert wird, um die Online-Desinformation zu bekämpfen (siehe Infobox), verfolgt die Schweiz einen anderen Ansatz: erst einmal beobachten. Die Schweiz kann es sich auch leisten, zumindest vorerst.
Was "Fake News" sind und was nicht
Als
Auch in der Schweiz habe sich die Diskussion um das Phänomen intensiviert, sagt Linards Udris, Medienexperte am Forschungsinstitut für Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich (fög). Doch der Begriff werde noch immer von vielen falsch verwendet. In einer Umfrage des Reuters-Instituts von 2018 sagten die Hälfte der befragten Schweizerinnen und Schweizer, dass sie besorgt seien über Fake News, aber nur 13% von ihnen waren in der Woche zuvor solchen Fake News begegnet.
Udris definiert Fake News als komplett erfundene Geschichten. Doch viele Menschen würden den Begriff viel umfassender verwenden: "Für viele sind Fake News Falschaussagen von Politikern und Journalisten oder schlicht das Gegenteil von dem, was sie selbst glauben", sagt Udris.
Vor allem in den USA dient das Label dazu, politische Gegner und Journalisten anzugreifen, die einem nicht passen. Es ist eine ansteckende Rhetorik, die auch für die Medienindustrie schädlich sein kann.
"Das Problem ist die Verbindung, die gemacht wird zwischen einer Falschaussage eines Politikers und den Medien: Statt dem Politiker zu sagen 'du lügst' wird das Ganze als Fake News bezeichnet", so der Medienexperte.
Trotz der Bedenken zu Fake News ist das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Medien hoch. Die Realität ist, dass fabrizierte Nachrichtenseiten, also Portale, die Fake News verbreiten, selten sind. Die Gründe dafür sind die geringe Grösse der Schweizer Wählerschaft, die vergleichsweise schwache Polarisierung, die Vielfalt der grossen Schweizer Medien sowie der Umstand, dass politische Diskussionen in den sozialen Medien noch immer selten sind.
2017 entschied die Schweizer Regierung, dass keine neuen Vorschriften zur Bekämpfung von Desinformation erforderlich seien. Sie betonte aber, dass sie die Entwicklungen in der Schweiz und im Ausland genau beobachten werde. Vorerst gebe es keinen konkreten Plan auf Bundesebene, um Desinformation und Einmischungen bei den nächsten Parlamentswahlen zu verhindern, hat die Bundeskanzlei gegenüber swissinfo.ch bestätigt.
Inszenierte Kampagnen
Dieser Ansatz sei nicht völlig fehl am Platz, denn Fake News im engeren Sinn hätten die politischen Kampagnen in der Schweiz bislang kaum beeinflusst, sagt Udris.
Politische Gespräche auf Facebook fänden zudem in einem kleinen Rahmen statt, sodass nur weniger Wähler irreführenden Inhalten ausgesetzt seien. Und so genannte Filterblasen, also bestimmte Foren oder Gruppen in den sozialen Medien, wo nur Menschen mit ähnlichen politischen Einstellungen diskutieren und Fake News tendenziell florieren, seien nicht die vorherrschende Form der Debatte.
Dies bestätigt eine Untersuchung des Kommunikationswissenschaftlers Stefan Gürtler. Er und sein Team untersuchten Tausende von Tweets die während des Abstimmungskampfs zu No Billag gestreut worden waren.
"Die Debatte war vielleicht nicht immer höflich, aber die ideologischen Kontrahenten tauschten sich aus", sagt der Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW). "Dies ist ein Zeichen dafür, dass die digitale Kommunikationskultur in der Schweiz anders ist."
Dennoch war die Diskussion über die "No Billag"-Initiative nach Schweizer Standards stark polarisiert und diejenigen, die Einfluss auf die Wähler nahmen, schöpften aus dem Vollen. In den zwei Monaten vor der Abstimmung stellte das FHNW-Team fest, dass täglich bis zu 1000 automatisierte Nachrichten auf Twitter versandt wurden. Nur fünfzig User erzeugten dank so genannten Bots – das sind Computerprogramme, welche bestimmte Aufgaben automatisch ausführen – die Hälfte der Debatte zu No Billag. Die Befürworter der Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren hatten einen Anteil von 55%.
Es sei unwahrscheinlich, dass bei jeder Schweizer Wahl- und Abstimmungskampagne eine solche Grössenordnung erreicht werde, sagt Gürtler.
Gleichzeitig glauben sowohl er als auch Udris, dass die politischen Parteien die sozialen Medien im Vorfeld der Parlamentswahlen stärker nutzen werden. Gürtler weist darauf hin, dass Facebook kürzlich einen Workshop für Schweizer Politiker durchführte, in dem die Teilnehmenden ihre Social-Media-Fähigkeiten verbessern konnten. Er erwartet für die Wahlen vor allem eine höhere Zahl an Beiträgen auf diesen Plattformen.
Mehr Gespräche – mehr Manipulation
Da sich immer mehr Menschen im Internet austauschen, dürfte allgemein das Mass an manipulativen Botschaften grösser werden. Heute kann jeder im Internet innert 30 Minuten eine Anleitung für die Programmierung eines Bots finden, mit dem solche Inhalte schnell verbreitet werden.
"Die Technologie der Manipulation schreitet viel schneller voran als die Technologie der Manipulationserkennung", warnt Gürtler.
Er behauptet auch, dass "einige Parteien Software gekauft haben, um Follower zu organisieren". Und diese Software könne auch für psychometrisches Targeting verwendet werden. Dabei werden die Social-Media-Daten der Nutzer verwendet, um Wählerprofile für zielgerichtete Nachrichten zu erstellen.
Es ist zwar unklar, ob Aktivisten zunehmend diesen Weg gehen, doch der Fall der Beratungsfirma Cambridge Analytica, die Daten von Millionen von Facebook-Nutzern missbraucht hat, um Wähler in den USA und Grossbritannien zu beeinflussen, lässt die Alarmglocken läuten.
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB) hat eine Expertenarbeitsgruppe eingerichtet, die sich ausschliesslich auf die Wahrung der Privatsphäre der Wähler während des Wahlkampfes 2019 konzentrieren wird. Der Sprecher des EDÖB, Hugo Wyler, sagte gegenüber swissinfo.ch, dass die Gruppe ein Dokument herausgeben wird, das Tech-Unternehmen, politische Parteien und Strategen über die relevanten Aspekte des Schweizer Rechts im Umgang mit den Wählern aufklärt. Die Expertengruppe wird auch die Öffentlichkeit über mögliche Verstösse während der Kampagne informieren.
Inzwischen arbeiten Gürtler und sein Team daran, Echtzeit-Monitoring von Online-Diskussionen einzurichten, "damit die Leute sehen können, welche Themen oder Kandidaten besonders anfällig für Manipulationen sind". Die Idee ist es, die Bürger mit Wissen auszustatten, sodass sie selbst entscheiden können, welche Inhalte sie konsumieren wollen.
Es ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die Tech-Firmen selbst nicht annähernd genug unternehmen, um Fake News und Desinformation auf ihren eigenen Plattformen einzudämmen. Und das, obwohl sie in den letzten zwei Jahren von allen Seiten dazu gedrängt worden sind.
Twitter hat ebenso wie andere Social-Media-Konzerne klare Nutzerregeln. Dennoch habe Twitter während der No-Billag-Kampagne nur eine Handvoll problematischer Accounts deaktiviert, fügt Gürtler hinzu. "Wenn die Social-Media-Unternehmen ihre eigenen Vorschriften besser befolgen würden, könnte sich das stark auf die Art und Weise auswirken, wie in den sozialen Medien kommuniziert wird. Und es würde sicher auch die Kontrollen vereinfachen."
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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