Das Schweizer Parlament möchte die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlauben. Damit lassen sich bei einer künstlichen Befruchtung schwere Erbkrankheit und Behinderungen verhindern, indem nur gesunde Embryonen für die Schwangerschaft verwendet werden. Kritiker halten dieses "Auswahlverfahren" für moralisch nicht vertretbar. Jetzt soll das Volk entscheiden.

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Bei der Präimplantationsdiagnostik (PID) werden nach einer künstlichen Befruchtung die Embryonen genetisch untersucht. Dadurch lässt sich rechtzeitig erkennen, ob ein Embryo an einer schweren genetisch bedingten Krankheit leidet, noch bevor er in die Gebärmutter übergeben wird. Paare mit einer erblichen Vorbelastung können so verhindern, dass sie ein krankes Kind bekommen. Indem mehrere Embryonen gleichzeitig im Reagenzglas entstehen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest einer der Embryonen gesund ist.

Durch die PID lassen sich aber nicht nur Krankheiten, sondern auch Fehl- und Totgeburten vermeiden. Für manche Paare bedeutet sie die einzige Chance, überhaupt ein eigenes Kind zu bekommen. Auch wenn der Nutzen auf der Hand liegt, ist das Verfahren dennoch sehr umstritten. Gegner der PID kritisieren, dass dadurch zwischen wertvollem und weniger wertvollem Leben unterschieden wird.

Noch ist die PID verboten

Die PID ist bislang in der Schweiz verboten, soll nun aber eingeschränkt erlaubt werden. Das Parlament beauftragte dazu den Bundesrat, eine entsprechende Regelung zu verfassen. Dabei ging es vor allem um die Frage, wann die PID zum Einsatz kommen darf. Denn grundsätzlich kann man mit ihr auch Geschlecht oder Augen- und Haarfarbe des zukünftigen Kindes voraussagen, was Eltern weitreichende Entscheidungsspielräume offenbart. Dass es hier Einschränkungen geben muss und die Embryonen nicht nach beliebigen Kriterien ausgewählt werden dürfen, steht ausser Frage.

Unklar ist aber, wo genau die Grenze gezogen wird. In Deutschland etwa ist die PID nur dann erlaubt, wenn eine schwerwiegende Erbkrankheit oder eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich sind. In den USA hingegen darf die PID auch angewendet werden, um einen Embryo auszuwählen, der als Stammzellen-, Organ- oder Gewebespender einem kranken Geschwister helfen kann. Als eines der wenigen Länder weltweit erlauben die USA die PID sogar zur Bestimmung des Geschlechts des Embryos.

Der Vorschlag, der vom Bundesrat dem Parlament vorgelegt wurde, orientiert sich an dem deutschen Modell. Das Parlament will die Auflagen aber noch weiter lockern und allen Paaren die Möglichkeit geben, nach einer künstlichen Befruchtung die Embryonen auf Anomalien der Chromosomen untersuchen zu lassen. Denn diese können die Entwicklungs- und Überlebensfähigkeit gefährden - wie zum Beispiel Trisomie 21 (Down-Syndrom). In der parlamentarischen Diskussion wird die Anwendung der PID in diesen Fällen auch als eine logische Konsequenz der derzeitigen Bestimmungen zur Abtreibung gesehen.

Ständerätin Anita Fetz verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass 90 Prozent der Schwangerschaften mit einer Trisomie-21-Diagnose abgetrieben werden. Diese Situation müsse man anerkennen. Durch die PID könnten betroffenen Eltern die Belastungen einer Abtreibung erspart bleiben, da eine Anomalie erkannt wird, bevor es zu einer tatsächlichen Schwangerschaft kommt.

Diese Ausweitung stösst aber nicht nur bei generellen PID-Kritikerin auf Widerstand, sondern auch bei Parteien und Organisationen, die den ursprünglichen Entwurf des Bundesrates noch mitgetragen hätten. Die Gegnerschaft des neuen Gesetzes hat sich mit der Anwendungsausweitung vergrössert.

Ist Schweiz gerüstet für die PID?

Dr. Tanja Krones vom Ethikzentrum der Universität Zürich betrachtet die Lockerung zur Anwendung der PID weniger kritisch als die fehlenden Begleitmassnahmen, die sie im neuen Entwurf vermisst. "Was in der Diskussion um die PID viel zu sehr in den Hintergrund rückt, ist die Frage nach deren Umsetzung", so die Medizin-Ethikerin im Gespräch mit unserem Portal. Denn ganz entscheidend für einen verantwortlichen Umgang mit der PID ist eine angemessene Beratung der Paare durch Humangenetiker.

Eine solche Beratung ist notwendig, um zu vermitteln, welche Informationen man über den Embryo durch die PID überhaupt erhalten kann. Gleichzeitig werden die Paare über die Tragweite der Untersuchungen aufgeklärt und können so eine bedachte Entscheidung treffen, was sie wissen möchten und was nicht. In der Schweiz fehlt es aber bislang an Beratungsangeboten und einer angemessenen Vergütung der Mediziner. Die Anwendung der PID bei allen künstlichen Befruchtungen müsste daher von einem Ausbau der humangenetischen Beratung begleitet werden, so Krones.

Ob die PID nun nach den Vorstellungen des Parlaments erlaubt wird oder nicht, wird das Volk entscheiden. Voraussichtlich im Juni 2015 werden gleich zwei Volksabstimmungen stattfinden, da das neue Gesetz sowohl die Bundesverfassung, als auch das Fortpflanzungsmedizingesetz berührt. Und sollte die Verfassungsänderung tatsächlich angenommen werden, kann noch immer das Referendum gegen das neue Gesetz ergriffen werden.

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