China ist auf der Überholspur Richtung Weltmacht Nummer Eins. Das hat Folgen für andere Staaten, auch für die Schweiz, die als "kleine Freundin" des Reichs der Mitte gilt. Wie mit dieser Herausforderung umgehen? In der Schweiz werden die Stimmen lauter, die Bern zu grosse Kompromissbereitschaft vorwerfen. Innenpolitisch, wirtschaftlich und aussenpolitisch.

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Nationalrätin Barbara Gysi ist besorgt. Einige ihrer Kollegen und Kolleginnen im Parlament wollten diesen Frühling ihr Postulat nicht unterschreiben. Aus Angst vor China. "Sie fürchteten ein Telefonat der chinesischen Botschaft in Bern oder wollten es sich nicht mit Peking verscherzen", erzählt die Sozialdemokratin. Das gebe ihr zu denken, schliesslich handle es sich ja lediglich um einen harmlosen Vorstoss.

Gysi fordert im Postulat eine Auswertung des Menschenrechtsdialogs, den die Schweiz mit China seit 1991 "im vertraulichen Rahmen" führt. Der Bundesrat solle die Auswirkungen dieses Dialogs evaluieren und in einem Bericht veröffentlichen.

Im Juni dieses Jahres fand die 16. Runde dieses Dialogs statt. In Medienmitteilungen des Aussendepartements ist dann jeweils zu lesen, dass diese Gespräche "eine offene und gegenseitig kritische Auseinandersetzung über internationale und nationale Menschenrechtsfragen" erlaubt hätten.

Der Erfolg dieser Gesprächsrunden ist umstritten. Nichtregierungs-Organisationen fordern seit längerem mehr Angaben zum Inhalt des Austauschs. Von offizieller Seite wird gerne auf den Dialog verwiesen, beispielsweise im Fall von Kritik an den fehlenden Menschenrechts-Bestimmungen im Freihandelsabkommen, das die Schweiz und China 2013 abgeschlossen haben.

Druckversuche der chinesischen Botschaft, mit dem Ziel, Schweizer Parlamentarier und Parlamentarierinnen politisch zu beeinflussen? "Das kann vorkommen", sagt auch Christa Markwalder. Die Parlamentarierin der Freisinnigen hat das vor acht Jahren selbst erfahren: Sie war damals Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats. Es ging um eine einfache Interpellation. "Ich wurde telefonisch gebeten, den Vorstoss nicht zu traktandieren, worauf ich ihnen unser demokratisches System erklärt habe, das ganz anders funktioniert als in China."

Insbesondere wenn es um Tibet-Fragen geht, versteht China keinen Spass. Das hält auch der Schweizer Nachrichtendienst in seinem Lagebericht 2016 fest, der "dem Erstarken Chinas und seinem Aufstieg zu einem globalen Machtfaktor" einen Schwerpunkt widmete. Das "selbstbewusste und fordernde Verhalten" Chinas verspüre die Schweiz vor allem in Bezug auf die tibetische Exilgemeinschaft, heisst es.

"Offizielle Empfänge des Dalai Lama werden von China in keiner Weise mehr geduldet und mit verschiedenen Massnahmen rückwirkend geahndet."

China und die Frage des Schweizer Rechtsstaats

Chinas Einfluss auf Schweizer Boden kriegen nicht nur Politiker und Politikerinnen zu spüren: Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und Tibet-Organisationen haben kürzlich eine Petition eingereicht, in der sie die Schweizer Regierung und das Parlament dazu auffordern, die Rechte von Tibeterinnen und Tibetern in der Schweiz besser zu schützen.

In einem im Frühling veröffentlichten Bericht hatten die Nichtregierungs-Organisationen die Auswirkungen des Freihandelsabkommens auf die tibetische Gemeinschaft analysiert. Der Befund: Die tibetische Gemeinschaft in der Schweiz bekomme "Chinas Machtgebaren" seither zunehmend und direkt zu spüren.

So zum Beispiel im Herbst 2014 in Basel. China feiert das Mondfest. Während einer Begrüssungsrede der damaligen chinesischen Botschafterin wollen rund ein Dutzend Mitglieder des Vereins Tibeter Jugend in Europa gegen die Besetzung des Tibets durch China protestieren. Doch chinesische Sicherheitskräfte reissen den Aktivisten Plakate aus den Händen, eine Frau drücken sie zu Boden.

Man habe das Fest nicht stören und deshalb still protestieren wollen, wird eine Organisatorin der Aktion in dem Bericht der GfbV zitiert. Ziel sei es gewesen, "ein klares Signal auszusenden und unsere Botschaft kundzutun, dass hier chinesische Kultur zelebriert wird, während die tibetische systematisch ausgelöscht wird".

Für Angela Mattli von der GfbV ist klar: "Wir haben es hier mit einer klaren Verletzung der Meinungsäusserungsfreiheit und einem diplomatischen Übergriff zu tun, der im Schweizer Rechtsstaat nicht geduldet werden darf." Der Bericht dokumentiert auch Fälle von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und des Rechts auf Privatsphäre.

Chinas Einkaufslaune und die Frage der Abhängigkeit

China übt auch wirtschaftlich Einfluss in der Schweiz aus. Über 80 Schweizer Firmen sind bereits in chinesischer Hand, 46 Milliarden Franken war den Chinesen die Schweiz bisher wert. Eindrücklichstes Beispiel dabei ist die Übernahme des Basler Saatgutkonzerns Syngenta durch den chinesischen Staatskonzern ChemChina 2016 für knapp 44 Milliarden Franken.

Dieser wachsende Einfluss des chinesischen Staats auf das Schweizer Wirtschaftsleben sorgt in der Politik zunehmend für Kritik. Im Gegensatz zu anderen Ländern wie Deutschland oder den USA kennt die Schweiz kein Vetorecht, mit dem Übernahmen von strategisch wichtigen Infrastrukturen wie zum Beispiel die Stromversorgung verhindert werden könnten. Mehrere Vorstösse im Parlament wollen das jetzt ändern.

Sauer stösst Politikern aber auch auf, dass es für Schweizer Firmen weiterhin administrativ schwierig ist, in China Fuss zu fassen. China schotte seinen Heimatmarkt für ausländische Käufer ab, während die Tore der Schweiz chinesischen Investoren weit offen stünden, lautet die Kritik.

Der Schweizer Nachrichtendienst stellt in seinem Lagebericht 2016 fest: "Durch die Übernahme von Schweizer Unternehmen und vermehrt auch von Schweizer Hotels versucht China, erwünschtes Wissen abzuschöpfen und Schweizer Marken mitsamt ihrem guten Ruf zu erwerben. Die Zusammenarbeit mit China fusst jedoch nicht auf dem Prinzip der Reziprozität."

Chinas Banken und die Frage der Verantwortung

Dabei geht es nicht nur um Schweizer Firmen und Hotels, sondern auch um den Schweizer Finanzplatz: Paolo Bernasconi hat sich unter anderem im Kampf gegen die Geldwäscherei einen Namen gemacht. Der ehemalige Tessiner Staatsanwalt hat Chinas Banken im Fokus, die sich in Genf und Zürich niedergelassen haben. Die Schweiz sei besonders interessant, weil sie zu den westlichen Staaten gehöre, aber weder Mitglied der EU noch der NATO sei und auch nicht US-Präsident Trumps Politik Folge leisten müsse, sagt er.

"Peking braucht die Schweiz als Hub für seine Banken. Hier können sie den Handel Chinas mit Europa in chinesischer Währung abwickeln", so Bernasconi. Er fragt sich, wie die Schweiz diese "grössten Dinosaurier der Welt" kontrollieren wolle.

Weil Chinas Banken dem Staat gehören, seien die Verantwortlichen sogenannte politisch exponierte Personen (PEP). Eine erfolgreiche Aufsicht und allfällige strafrechtliche Verfolgung solcher Personen, beispielsweise wegen Verdacht auf Geldwäscherei, hängt stark von der Zusammenarbeit mit dem Herkunftsstaat ab. Bernasconi sieht hier deshalb Probleme auf die Schweiz zukommen.

Chinas Seidenstrasse und Schweizer Investitionen

Bleibt der Blick auf die Aussenpolitik. Es gibt Stimmen im Parlament, die auch hier befürchten, die Schweiz könnte ihre Agenda Chinas Interessen anpassen, insbesondere mit Blick auf das knapp 1000 Milliarden Franken schwere Projekt "One Belt, One Road", von dem sich die Schweizer Wirtschaft ebenfalls ein Stück abschneiden möchte.

Der Sozialdemokratische Nationalrat Carlo Sommaruga, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission, formuliert es so: Wolle die Schweiz ihren Firmen die Möglichkeit offenlassen, sich an dem Projekt der Seidenstrasse durch Investitionen in beteiligten Ländern zu beteiligen, "muss der Bundesrat Fragen über Menschenrechte und Demokratie gegenüber diesen Ländern von der Tagesordnung nehmen".

Als Beispiel nennt Sommaruga Pakistan. "Ich stelle mir die rhetorische Frage, ob es sein kann, dass China Druck auf den Bundesrat ausübt, um zu verhindern, dass die Schweiz Asylsuchende aus Belutschistan aufnimmt", sagt er. Weshalb die Schweiz dem Druck Pakistans nachgeben sollte, ist für ihn nicht nachvollziehbar. "Ich glaube, hier hat China die Finger im Spiel."  © swissinfo.ch

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