Steife Etikette liegt ihm nicht. Paul Seger (59), der neue Botschafter der Schweiz in Deutschland, sieht keinen Widerspruch zwischen Diplomatie und Humor. Die Redaktion traf ihn knapp 100 Tage nach seinem Wechsel von Myanmar nach Berlin zum Gespräch.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Ihr Begrüssungsvideo aus dem Garten der Berliner Botschaft hat Ihnen viel Aufmerksamkeit beschert. Darin bläst der Wind hinter Ihnen zunächst die deutsche, dann die Schweizer Fahne um. Sie brechen in schallendes Lachen aus. Was sagt diese Szene über Sie aus?

Ich nehme mein Amt durchaus ernst, aber mich selbst nicht so. Dass die Fahnen umfielen, war ja nicht geplant, aber als es passierte, konnte ich nicht anders als zu lachen. Ich habe das Video trotz der Panne online gestellt, um zu zeigen, dass Diplomaten Menschen sind, die durchaus über sich selbst lachen können. Häufig kommen wir im strengen Protokoll so distanziert daher. Das ist nicht mein Bild und mein Ansatz von Diplomatie. Für mich ist sie ein Instrument, um einander besser zu verstehen und Konflikte zu lösen. Humor kann dabei durchaus helfen.

Damit entsprechen Sie so gar nicht dem ernsten Klischee-Schweizer.

Die Schweiz und die Schweizer sind viel facettenreicher als es hier in Deutschland vielleicht wahrgenommen wird. Für mich spielt Humor im Alltag und Berufsleben eine wichtige Rolle. Möglicherweise korrigiert mein Video auch etwas das Bild vom trockenen und etwas behäbigen Schweizer. Eigentlich kennen wir Deutsche und Schweizer uns ja viel zu wenig, es gibt zu viele Stereotype.

Woran liegt das?

Vielleicht daran, dass man sich geographisch so nahe ist. Man glaubt, sich zu kennen und beschäftigt sich daher nicht richtig miteinander. Wir haben unterschiedliche Mentalitäten. Aber man sollte da nicht so sehr in Schemata denken.

Ihre Berufung geschah in Windeseile, nachdem Ihre Vorgängerin Christine Schraner Burgener im August zur UNO-Sondergesandten für Myanmar ernannt wurde. Wie überraschend kam der Wechsel für Sie?

Es ging schon alles schneller als gewöhnlich. Normalerweise gibt es eine Vorlaufzeit von sechs bis acht Monaten, bei mir waren es acht Wochen. Im Juni kam die Frage auf, ob ich mich bewerben soll. Am 25. August kam ich mit meiner Frau in Berlin an, drei Tage später habe ich dem deutschen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier dann bereits mein Beglaubigungsschreiben überreicht. Im Eishockey würde man das wohl einen fliegenden Wechsel nennen.

Ist Ihnen der Abschied aus Myanmar schwergefallen?

Die Dinge kommen, wie sie kommen. In Myanmar habe ich gelernt, sie mit einer gewissen Gelassenheit zu nehmen. Eine gesunde Distanz zu sich selbst zu halten und zu dem Ort, an dem man sich befindet, das können die Burmesen sehr gut.

Für mich gab es zudem auch familiäre Gründe, nach Europa zurückzukehren. Hier lebt meine Mutter, unser älterer Sohn studiert Jura in Edinburgh, der Jüngere macht eine Ausbildung im Hotelfach in der Schweiz. Ausserdem kehre ich in das Land meines Grossvaters mütterlicherseits zurück. Er stammt aus dem südbadischen Zell im Wiesental und kam 1918 als Fleischermeister in die Schweiz.

Berlin hat Sie mit einem herrlichen Sommer empfangen.

Das kann man wohl sagen. Berlin und Deutschland haben uns einen Prachtempfang bereitet. Ich habe die Zeit bisher genutzt, um mich bekannt zu machen und ein Netzwerk aufzubauen.

Hilft Ihnen dabei, dass sie als gebürtiger Basler die deutschen Nachbarn gut kennen?

Ich denke schon. Sprache und geographische Nähe schaffen auf einer persönlichen Ebene eine Verbindung. Baseldeutsch und das südbadische Alemannisch sind sich ja sehr ähnlich.

Es geht in ihrer Position ja nicht nur ums Atmosphärische. Zu den inhaltlichen Streitpunkten zwischen Deutschland und der Schweiz gehört unter anderem der vom Zürcher Flughafen Kloten ausgehende Fluglärm, der die deutschen Nachbarn seit vielen Jahren auf die Barrikaden bringt. Noch immer hat die deutsche Seite den Staatsvertrag, der das Problem lösen soll, nicht unterzeichnet.

Das Fluglärm-Thema steht natürlich auf meiner Agenda. Es ist eine Dauer-Baustelle, an der wir weiterarbeiten müssen. Noch gibt es keine Fortschritte. Ich war bereits beim Antrittsbesuch beim deutschen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer.

Der erste Kontakt verlief sehr offen, positiv und vielversprechend. Man muss versuchen, die Thematik zu ent-emotionalisieren. Dann können wir zu einer Lösung kommen. Die Baustellen zwischen unseren Ländern sind ja nicht politischer Natur. Es sind nachbarschaftliche Probleme, keine Grundsatzfragen.

Die Grundsatzfragen werden eher zwischen der Schweiz und der EU verhandelt. Da tun sich ja dann doch einige Konfliktfelder auf, wie das von der EU gewünschte Rahmenabkommen mit Bern, das übergreifende Fragen zu den bilateralen Verträgen regeln soll. Welche Rolle spielt Deutschland in diesem Zusammenhang?

Deutschland ist nicht nur unser wichtigster Nachbar, sondern auch einer unserer wichtigsten Ansprechpartner, wenn es um europapolitische Fragen geht. Das ist ganz klar. Eine meiner Kernaufgaben als Botschafter ist es, bei unseren deutschen Freunden für unsere Anliegen und Überzeugungen Verständnis zu wecken. Ich spüre sehr viel Wohlwollen und Verständnis für unsere Positionen. Wir sollten nicht vergessen, worum es geht.

Die Schweiz hat 120 bilaterale Verträge mit der EU abgeschlossen, über die wir derzeit ein Dach spannen sollen. Wenn das klappt, ist das sehr gut, wenn nicht, sind die Verträge ja nicht hinfällig, Meine Botschaft an meine deutschen Freunde ist: So oder so bleiben wir euer Partner in Europa und für Europa, ein Nachbarstaat, mit dem ihr keine Probleme habt. Das ist ein Wert für sich. Mit uns hat man Gewissheit und Verlässlichkeit, was immer auch diese Verhandlungen ergeben.

Sind die parallelen Verhandlungen der EU mit London über den Brexit dabei förderlich oder hinderlich? Schliesslich geht es um ähnliche Fragen wie Personenfreizügigkeit und Binnenmarktzugehörigkeit.

Einige Kreise in der Schweiz haben die Brexit-Verhandlungen als grosse Chance betrachtet und gehofft, dass Zugeständnisse an London auch die Position der Schweiz stärken würden. Das würde ich heute mit einem grossen Fragezeichen versehen. Meiner Meinung nach hat der Brexit die Verhandlungen der Schweiz mit der EU eher verkompliziert.

Die direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild hat in Deutschland viele Fans, insbesondere innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD). Werden Sie in diesem Gebiet als Experte konsultiert?

Ja, ich werde häufig auf das Thema angesprochen. Ich weise dann immer wieder darauf hin, dass wir den Umgang mit der Direkten Demokratie über mehr als 150 Jahre gelernt haben. Bei uns ist Jede und Jeder ein "Genossenschafter" des gemeinsamen Ganzen, das sich Schweizerische Eidgenossenschaft nennt. Recht und Verantwortung gehen Hand in Hand. Weil wir mitbestimmen können, sind wir eben auch mitverantwortlich.

Die Schweizer nehmen diese Verantwortung ernst. Sie haben zum Beispiel 2012 deutlich gegen eine Ausweitung des Mindesturlaubs gestimmt, um die Wirtschaft nicht zu sehr zu belasten. Wegen dieser Mitverantwortung taugt die direkte Demokratie daher kaum als Heilmittel gegen Politikverdrossenheit oder weil man sich nicht verstanden fühlt von den Regierungsparteien.  © swissinfo.ch

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.