Eine Helmpflicht für Bobby-Cars, ein Importverbot für Delfine und ein 80-seitiges Fahnenreglement – in der Schweiz werden jährlich rund 5.000 neue Gesetze und Vorschriften erlassen, die wirklich jeden Lebensbereich regeln. Doch warum eigentlich?
Zwei Unfälle mit Bobby-Cars in städtischen Kinderkrippen liessen besorgte Eltern auf die Barrikaden gehen: Sind ihre Kinder in der Tagesstätte wirklich sicherer als draussen auf der Strasse? Die Stadt Zürich reagierte prompt mit einer neuen Verordnung. Die ursprünglich geforderte Helmpflicht für die kleinen Rennfahrer wurde zwar nicht durchgesetzt, dafür sind in städtischen Betreuungseinrichtungen jetzt nur noch Plastikautos zulässig, die der EU-Norm 71 für Spielzeugsicherheit entsprechen. Das schützt die Kinder zwar nicht vor Verletzungen, die Krippen aber vor Schadensersatzansprüchen.
Ebenfalls dem Kinderschutz dient ein Gesetz aus dem Kanton Bern zur Hundehaltung. Demnach dürfen Berner nämlich höchstens noch drei Hunde gleichzeitig an der Leine führen. Anlass für diese Gesetzesneuerung war der Angriff dreier Kampfhunde auf einen sechsjährigen Jungen. Warum die Maximalzahl der zulässigen Hunde dann nicht konsequent auf zwei statt drei begrenzt wurde, wissen wohl nur die Gesetzgeber selbst. Professionelle Hundesitter sehen sich durch die Regelung dennoch ihrer Existenzgrundlage beraubt, da Ausnahmen nur für besonders ausgebildete Hundehalter möglich sind. Über die Art der erforderlichen Ausbildung sind sich die zuständigen Behörden allerdings selbst noch nicht im Klaren.
In der Schweiz essen sie Hunde
Doch nicht nur der Mensch muss vor dem Hund geschützt werden, sondern auch der Hund vor dem Menschen. Im Gegensatz zum benachbarten Ausland ist in der Schweiz nämlich der Verzehr von Hunde- und Katzenfleisch erlaubt – sofern er allein dem Eigenbedarf dient. Wer also die Nachbarn sonntags zum gemütlichen Hundebraten-Essen einlädt, verstösst im Grunde schon gegen das Gesetz. Tierschützer fordern längst ein generelles Verzehrverbot für Hunde und Katzen, das Parlament lehnt eine gesetzliche Regelung der Essgewohnheiten der Schweizer jedoch ab. Einigkeit besteht aber immerhin darüber, dass zumindest die Tötungsmethoden für diese Tiere vorgeschrieben sein müssten: Anders als Schweine oder Rinder können Hunden und Katzen auf nahezu jede Art geschlachtet werden. Das ist nicht nur quälerisch für die Tiere, sondern birgt auch Gesundheits- und Hygienerisiken beim Verzehr.
Ebenfalls diskutiert wird derzeit auch ein Importverbot für Robbenprodukte, das der tierquälerischen Seehundjagd ein Ende setzen soll. Der Nationalrat hat dem Gesetzesentwurf bereits mit grosser Mehrheit zugestimmt, der Ständerat widersetzt sich noch. Während die Gegner das Gesetz aus handelsrechtlicher Sicht für problematisch halten und Klagen durch die Welthandelsorganisation WTO befürchten, sieht der Nationalrat die Gefahr, dass die Schweiz durch das bestehende Importverbot in der EU zur Drehscheibe für den internationalen Handeln mit Robbenprodukten werden könnte.
Bereits beschlossen ist dagegen ein Einfuhrverbot für Delfine. Da es sich bei den letzten beiden Delfinen in der Schweiz um zwei männliche Jungtiere handelt, für die nun kein paarungswilliges Delfin-Weibchen mehr importiert werden darf, besiegelt dieses Gesetz gleichzeitig das Ende der Delfinhaltung in der Schweiz und macht eine Abstimmung über ein generelles Haltungsverbot somit unnötig. Immer wieder war es im Freizeitpark Conny-Land in Lipperswil TG in den vergangen Jahren zu tödlichen Zwischenfällen bei den Delfinen gekommen.
Grosse Sorge um die Swissness
Mehr Sorgen um den Export Schweizer Qualitätsprodukte macht sich dagegen das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten(EDA). Es verabschiedete unlängst eine Motion zur Imageförderung der Schweizer Weinproduktion. Demnach sollen bei offiziellen Veranstaltungen der Schweizer Auslandsvertretungen bevorzugt Schweizer Weine serviert werden. Zur Vereinfachung der administrativen Abläufe wurde eine enge Zusammenarbeit mit dem Verband Schweizer Weinexporteure aufgebaut. Botschaftsmitarbeiter können nun aus einer umfangreichen Palette Schweizer Weine wählen, den Transport in die Auslandsposten übernimmt und finanziert das EDA.
Bei feierlichen Anlässen mit ausländischer Beteiligung muss aber nicht nur auf die Weinqualität, sondern auch auf die protokollgemässe Beflaggung geachtet werden. Zu diesem Zweck wurde vor einiger Zeit das Reglement 51'340, "Der Umgang mit Fahnen, Standarten und Fanions" zusammengestellt. Auf 80 Seiten mit vielen farbig illustrierten Beispielen finden sich hier erstmals alle erforderlichen Informationen zum richtigen Umgang mit Fahnen und Standarten bei militärischen Feierlichkeiten sowie zur Beflaggung mit Kantons- und Gemeindefahnen.
Doch auch militärisch korrekte Beflaggung und edler Wein können mitunter nicht verhindern, dass die Schweizer Reglementierungswut die internationalen Beziehungen beeinträchtigt. Londons Bürgermeister Boris Johnson warnte beim Weltwirtschaftsforum 2010 in Davos britische Banker eindringlich davor, in die Schweiz abzuwandern, da sie sich dort ungeahnten Risiken aussetzen würden. Schliesslich gebe es dort Regionen, in denen man nach 22 Uhr aus Lärmschutzgründen weder die Toilettenspülung betätigen noch im Stehen seine Blase entleeren dürfe. Dass es sich hierbei keineswegs um ein Gesetz, sondern um eine – wohl selten durchgesetzte – Klausel im Schweizer Mustermietvertrag handelt, wusste der englische Politiker wohl nicht.
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