Marie-Claire Graf ist Gründerin der Klimastreikbewegung in der Schweiz und hat am Klimagipfel in New York teilgenommen. Die 23-jährige Studentin ist sehr entschlossen und hat klare Ideen: Um den Planeten zu retten, und damit uns selbst, braucht es einen radikalen Wandel. "swissinfo.ch" hat die junge Frau getroffen.
Wir treffen Marie-Claire Graf in einem Park in Zürich, ganz in der Nähe des Hauptbahnhofs. Die Studentin fährt nur mit dem Velo oder mit dem Zug. Anfang dieses Jahres war sie in die Türkei zu einer Konferenz über Nachhaltigkeit gereist. 35 Stunden war sie mit dem Zug bis nach Istanbul unterwegs. Danach nahm Sie den Bus und ein Schiff, um Izmir zu erreichen. "Es war schon ein wenig anstrengend und kompliziert, aber am Ende eine tolle Sache", sagt sie.
Die Schweizer Aktivistin ist überzeugt, dass sich die Welt "mitten in einer gravierenden Krise" befindet und Handeln nötig ist. "Wir können nicht den wirtschaftlichen Profit höher werten als die Gesundheit des Planeten und der Menschen", sagt sie und fordert einen radikalen Wandel. Zu radikal vielleicht? "Auch die Zerstörung des Planeten ist etwas Radikales", lautet ihre Replik.
Marie-Claire hat für ihr eigenes Leben wichtige Entscheide getroffen. Sie ist beispielsweise Veganerin und verzichtet – fast gänzlich – auf Flugreisen. Es nervt sie, dass sie sich für ihren "nachhaltigen Lebensstil" häufig rechtfertigen muss, beispielsweise wenn sie mit Freunden ins Restaurant geht oder Einladungen für ein Kurzwochenende in einer europäischen Stadt ablehnt. Ins Flugzeug setzt sie sich nur, wenn es keine Alternativen gibt. "Nach London, Paris oder Berlin zu fliegen, ist absurd."
Eine einschneidende Erfahrung
Marie-Claire Graf ist 23 Jahre alt und in Gelterkinden, einem Ort im Kanton Basel-Land, aufgewachsen. Nach der Matura mit Schwerpunkt Biologie und Chemie studierte sie ein Jahr lang Natur- und Umweltwissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Inzwischen absolvierte sie ihr letztes Jahr im Bachelor-Studiengang für Politikwissenschaften an der Uni Zürich.
Als leidenschaftliche Berggängerin hat sie die Auswirkungen der globalen Klimaerwärmung selbst erlebt. "In der Schweiz ist das sehr gut sichtbar", betont sie. "Schon als Kind ging ich häufig mit meinen Eltern in die Berge. Ich hatte vom Klimawandel gehört und einige Dinge darüber gelesen. Doch erst am Morteratsch-Gletscher bin ich mir des Problems so richtig bewusst geworden", erzählt sie. Denn sie sah, wie sich der Gletscher jedes Jahr weiter zurückzog.
Vielfältiges Engagement
Die Gletscher-Erfahrung war der Auslöser für ihr Umwelt-Engagement. Inzwischen setzt sich Marie-Claire Graf in unterschiedlichen Organisationen für Klimaschutz und Nachhaltigkeit ein. Sie ist Präsidentin des Schweizer Verbandes studentischer Organisationen für Nachhaltigkeit (VSN) und Mitbegründerin der Nachhaltigkeitswoche, einer 2017 lancierten Initiative, an der zurzeit 14 Schweizer Städte teilnehmen.
Sie ist auch Vizepräsidentin von "Swiss Youth for Climate", einem 2015 gegründeten Verband, um die Jugend in die Debatte um den Klimawandel einzubeziehen. Zudem nimmt sie regelmässig an internationalen Klimakonferenzen teil. "Meine Agenda ist ziemlich voll", sagt sie mit einem Lächeln.
Seit sie begann, sich für die Klimastreik-Bewegung zu engagieren, ist die Agenda noch voller geworden. Sie liess sich von der jungen schwedischen Aktivistin
Die Idee, junge Menschen für Demonstrationen auf der Strasse zu mobilisieren, kam ihr nach dem "doppelzüngigen Diskurs" der Schweiz. Während der damalige Bundespräsident Alain Berset bei der COP24 die Länder der Welt aufforderte, ihr Möglichstes zu tun, um ihre Emissionen zu reduzieren, beschloss der Nationalrat in der Schweiz, kein internes Reduktionsziel festzulegen. Zudem wurde wenige Tage später die Revision des CO2-Gesetzes abgelehnt. "Ich war betrübt, frustriert und irritiert", sagt Marie-Claire Graf. Die Schweiz als eines der reichsten Länder der Erde müsste ihrer Meinung nach viel mehr für den Klimaschutz tun.
"Situation völlig ausser Kontrolle"
Mit ihren Klimastreiks fordern die Jungen die Länder auf, den Klimanotstand auszurufen und bis zum Jahr 2030 emissions-neutral zu sein. "Das bedeutet konkret, die Bevölkerung adäquat zu informieren, was es bedeutet, die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen", sagt die Aktivisten. Jedes Gesetz müsse nicht nur auf seine Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Aussenpolitik, sondern auch auf Klima und Umwelt untersucht werden.
Verkehr, Freizeit, Ernährung und der Lebensstil ganz allgemein: Marie-Claire Graf ist überzeugt, dass die gesellschaftlichen Mechanismen grundsätzlich hinterfragt werden müssen: "Ich verlange nicht, dass alle Vegetarier werden und aufs Auto verzichten. Doch über unsere Produktions- und Konsumgewohnten sollten wir nachdenken. Denken wir nur an die intensive Viehzucht oder an die Low-Cost-Flüge. Die Situation ist vollkommen aus dem Ruder gelaufen." Obwohl sie prinzipiell keine Anhängerin der Beschneidung individueller Rechte sei, komme man wohl kaum umhin, über bestimmte Verbote – etwa von Kurzstreckenflügen – nachzudenken.
Die Schweizer "Greta"
"Ich wurde schon öfter mit Greta Thunberg verglichen. Sie ist eine fantastische Person, aber wir beide sind verschieden und verfolgen unterschiedliche Ansätze. In der Schweiz wollen wir keine Idole schaffen, sondern die Vielfalt der Bewegung aufzeigen", hält Marie-Claire Graf fest.
Der Klimastreikbewegung wird immer wieder vorgeworfen, inkohärent zu sein. Für das Klima auf die Strasse zu gehen, aber gleichzeitig doch das neuste Smartphone haben zu wollen oder auf Ferien mit dem Flugzeug nicht zu verzichten. Marie-Claire Graf erwidert: "Wer die Bewegung unterstützt, macht dies in der Sorge um das Klima." Sie selbst habe nie ein neues Smartphone gekauft und nutze ein altes IPhone, das ihr ein Freund geschenkt habe.
Gewisse Widersprüchlichkeiten seien Folgen eines Systems, das von der älteren Generation geschaffen worden sei: "Ist es unserer Schuld, wenn es heute günstiger ist zu fliegen als mit dem Zug zu fahren?"
Einen Vorwurf lässt sie allerdings gelten: Die geringe Beteiligung von jungen Menschen an Wahlen und Abstimmungen. Das sei ein Problem. "In Hinblick auf die Eidgenössischen Wahlen vom 20.Oktober werden wir versuchen, die Jungen zu mobilisieren, insofern sie überhaupt schon wahlberechtigt sind."
"Bewusstsein geschaffen"
Fast ein Jahr nach dem ersten Klimastreik in der Schweiz verändern sich gemäss der jungen Aktivistin einige Dinge: "In den Medien, in den Familien und in der Politik ist das Thema angekommen. Wir haben Bewusstsein geschaffen. Doch nun sind konkrete Schritte nötig."
Beim Youth Climate Summit am vergangenen 21. September in New York war Marie-Claire Graf als einzige Vertreterin der Schweiz eingeladen. "Es gab einen sehr interessanten Austausch. Schade nur, dass man sich am Ende nicht auf eine Resolution einigen konnte."
Am Montag verfolgte die junge Baslerin dann die UN-Weltklimakonferenz. "Es gab einige Aktionspläne, die in die richtige Richtung weisen", bilanziert die junge Frau. Doch man müsse noch weiter gehen. Darauf hofft Marie-Claire Graf, wenn sie im Dezember die Schweizer Delegation zur Weltklimakonferenz COP25 nach Chile begleitet. Schweren Herzens wird sie das Flugzeug besteigen, um dorthin zu kommen, auch wenn sie nicht ausschliesst, Südamerika mit dem Schiff zu erreichen und dann per Bus weiterzureisen.
© swissinfo.ch
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.