Die Schweizer haben am Sonntag gegen mehr Zuwanderung gestimmt und Europa damit noch weiter in die Krise gestürzt. Ist der europäische Gedanke jetzt am Ende?

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Knapp ist das Ergebnis, aber die Folgen könnten verheerend sein. Mit einer hauchdünnen Mehrheit von 50,3 Prozent haben sich die Eidgenossen am Sonntag gegen mehr Zuwanderung aus anderen Ländern der Europäischen Union (EU) ausgesprochen. Die jährliche Einwanderung soll künftig zahlenmässig eingeschränkt werden. Die Regierung in Bern muss das Anliegen nun innerhalb von drei Jahren umsetzen. Doch das widerspricht dem Prinzip der Freizügigkeit, weshalb auch prompt auf Seiten der EU Kritik am Ergebnis aufkam.

Der Wirtschaft schwant Schlimmes

Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), erinnerte daran, dass mit einer Mitgliedschaft im europäischen Binnenmarkt nicht nur Vorteile, sondern auch Verpflichtungen einhergehen. In den Verträgen mit der EU hat sich die Schweiz als Partnerstaat bereit erklärt, freien Personenverkehr zu ermöglichen. Misslingt eine Umsetzung des Abstimmungsergebnisses in eine für die EU akzeptable Form, könnten die Abkommen mit dem wichtigsten Handelspartner platzen – aus Sicht der exportorientierten Schweizer Wirtschaftsvertreter kommt schon allein die Vorstellung an ein Scheitern einer Hiobsbotschaft gleich.

Die Schweizer Bevölkerung sieht das offenbar anders. "Gegen Masseneinwanderung" lautete der Slogan der nationalkonservativen "Schweizerischen Volkspartei" (SVP), die zur Volksabstimmung aufgerufen hatte. Tatsächlich hat die Schweiz nach Angaben des Bundesamts für Migration bei rund acht Millionen Einwohnern einen recht hohen Ausländeranteil von fast 25 Prozent, wobei Italiener und Deutsche die beiden grössten Einwanderungsgruppen darstellen. Allerdings zeigt sich auch anderorts ein Trend in Sachen nationaler Abschottungspolitik.

"Die Angst vor Überfremdung hat beispielweise in Frankreich eine hitzige Debatte losgetreten, deren Anlass die Abschiebung von Roma-Familien war", sagt die Berliner Politologin Sabine von Oppeln. "Rechtsextreme Parteien profitieren von sozialen Ängsten, die sich auch im Mittelstand stark verbreiten – in manchen Ländern mehr, in anderen weniger." Bei der Europawahl Ende Mai, fürchtet von Oppeln, könnte etwa die rechtsextremistische Partei "Front National" (FN) die stärkste Kraft in Frankreich werden. In der Nationalversammlung sitzen immerhin schon zwei Politiker des FN.

Rechtsparteien auf dem Vormarsch

In den Niederlanden ist die "Partei für die Freiheit" des Rechtspopulisten Geert Wilders bereits 2006 ins niederländische Parlament eingezogen und heute drittstärkste Kraft, deren vorrangiges Ziel die Verteufelung des Islam ist. In Ungarn regiert seit vier Jahren das rechtskonservative "Fidesz"-Bündnis von Ministerpräsident Viktor Orban. Seitdem sind Meinungs- und Pressefreiheit gefährdet, während antisemitische Haltungen in der Bevölkerung zuzunehmen scheinen. Und Grossbritanniens Premier David Cameron ist die Bewegungsfreiheit aller EU-Bürger ohnehin schon lange ein Dorn im Auge.

Auch hierzulande, wo der Ausländeranteil gerade einmal neun Prozent beträgt, konnten Konservative wie der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer mit ihrer Panikmache vom "Sozialtourismus" aus Rumänien und Bulgarien punkten. Politikwissenschaftlerin von Oppeln versteht das. "Frustrierten Bevölkerungsteilen muss der Sinn der Freizügigkeit erklärt werden." Drohen die politischen Kräfteverhältnisse in bestimmten Ländern, das europäische Gemeinschaftsprojekt zu beenden? "Ich hoffe, dass es noch nicht soweit ist. Wir sind in Europa vielfältige Gesellschaften und müssen mit dieser Vielfalt leben."

Linke: Schwarzgeld darf auch nicht zuwandern

Wenn die Schweiz ihre Grenzen für Menschen schliesse, forderte unterdessen Parteichef Bernd Riexinger der ansonsten eher EU-skeptischen Linkspartei im "Handelsblatt", dann sei es nur gerecht, wenn auch das Geld von Steuerflüchtigen draussen bleibe. Ob die Schweizer dieser Forderung auch zustimmen würden, ist fraglich.

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