Ausgerechnet rund um seinen Jahrestag spürt Humza Yousaf den wohl schärfsten Gegenwind seiner kurzen Amtszeit. War der schottische Regierungschef sonst damit beschäftigt, die Feuer zu löschen, die ihm Vorgängerin Nicola Sturgeon bei ihrem überraschenden Rücktritt hinterlassen hatte, gilt er seinen Kritikern nun selbst als Brandstifter. Bei der britischen Parlamentswahl müsse Schottland "Tory-frei" werden, hatte der 38-Jährige kürzlich gesagt. Auch wenn die Attacke gegen die Konservative Partei erklärt werden kann mit Getöse vor der Wahl, bei der zwar nicht über Yousaf, aber über die schottischen Sitze im britischen Unterhaus abgestimmt wird: Ein Jahr nach seinem Amtsantritt am 28. März 2023 gilt der Regierungschef nicht mehr nur als der nette Kerl von nebenan.
Yousaf schreibt Geschichte
Für Schottland war es ein historischer Tag: Yousaf ist der jüngste "First Minister" der Geschichte im nördlichsten britischen Landesteil, der erste mit asiatischen Wurzeln und der erste Muslim. Wenn er im Sommer wieder Vater wird, will er zwei Wochen Elternzeit nehmen. Gleichzeitig galt Yousaf als Wunschkandidat von Sturgeon, in deren Kabinett er Gesundheitsminister war. Mit ihm entschieden sich die Mitglieder der seit 2007 regierenden Schottischen Nationalpartei (SNP), die für die Unabhängigkeit von Grossbritannien eintritt und die Rückkehr in die EU anstrebt, für Kontinuität.
Sturgeon war im Ausland für klare Worte und eine sehr liberale Politik bekannt, doch in Schottland galt sie schon seit Längerem als spaltende Persönlichkeit, die intern wie extern wenig Rücksicht nahm. Yousaf hinterliess sie ein schwieriges Erbe, wie die Politologin Katy Hughes im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur sagt.
So fiel Sturgeons abrupter Abgang mitten in eine erhitzte Debatte über ein äusserst liberales Gender-Gesetz, das auch in der breit aufgestellten SNP für Unmut sorgte. Die konservative Zentralregierung legte ein Veto gegen das Vorhaben ein, das Transmenschen den Weg zur Änderung ihres Geschlechtseintrags vereinfachen sollte. Dagegen klagte wiederum die Regionalregierung - und verlor. Yousaf liess das Thema, das monatelang den gesellschaftlichen Diskurs bestimmt hatte, daraufhin fallen.
Parteifinanzen als Damoklesschwert
Ein viel heiklerer Fall sind die Parteifinanzen. Es geht um eine mögliche Zweckentfremdung von rund 660 000 Pfund (rund 770 000 Euro) Spenden, die für die Unabhängigkeitskampagne der SNP vorgesehen waren. Sowohl Sturgeon als auch ihr Ehemann Peter Murrell, der jahrelang für die Parteifinanzen verantwortlich war, wurden vorübergehend festgenommen. Auch das Haus des Paares wurde durchsucht. Beide weisen die Vorwürfe zurück und kamen noch am selben Tag frei, ohne dass Anklage erhoben wurde.
Doch die Ermittlungen hängen wie ein Damoklesschwert über der SNP. Die Frage, ob noch vor der Wahl Anklage erhoben wird oder der Fall Schottland darüber hinaus beschäftigt, verunsichere die Wähler, sagt Expertin Hughes. Auch deshalb sei die Zustimmung für die lange unangefochtene SNP gesunken. Die Partei liefert sich nun ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Labour-Partei, wer bei der britischen Parlamentswahl, für die noch kein Datum feststeht, in Schottland die meisten Sitze holt.
Das Ergebnis dürfte auch Einfluss auf die Unabhängigkeitsdebatte haben. Gewinnt die SNP, will sie das als Mandat verstehen, mit der Zentralregierung über die Unabhängigkeit oder zumindest ein neues Referendum zu verhandeln. Tatsächlich ist die Unterstützung für eine Abspaltung vom Vereinigten Königreich in den Umfragen nicht gesunken, Gegner und Befürworter halten sich in etwa die Waage. Bei einem Labour-Sieg in Schottland aber dürfte das Thema vom Tisch sein - die Sozialdemokraten lehnen die Unabhängigkeit ab.
Kann der Feuerlöscher auch Strategie?
Als Feuerlöscher hat Yousaf gut funktioniert, attestiert ihm Politologin Hughes. Nun aber geht es darum, Menschen mitzureissen, und das dürfte ihm schwieriger fallen. Der "First Minister" habe keine Präsenz, urteilt der Politikwissenschaftler John Curtice, der in Grossbritannien als Umfrage-Guru gilt, in der Zeitung "The Herald on Sunday". Fällt die SNP bei den schottischen Wählern bei der britischen Parlamentswahl durch, könnte das bereits Yousafs Aus bedeuten - und eine charismatischere Persönlichkeit würde die SNP in die Wahl zum schottischen Regionalparlament im Mai 2026 führen. © dpa
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