Seit mehr als einem Jahr herrscht Krieg im Sudan. Für immer mehr Sudanesen gibt es nur einen Ausweg: die Flucht. Oft führt ihr Weg über die Grenze nach Ägypten. Sebastian Herwig von der UN-Flüchtlingshilfe ist vor Ort, um den Menschen zu helfen. Doch ein Europa, das immer weiter nach rechts rückt, erschwert ihm die Arbeit.
Täglich überleben Millionen Menschen auf der Welt nur dank der Hilfe des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR). Doch die steigende Anzahl an Flüchtlingen bringt die Organisation zunehmend an ihre Grenzen.
Auch der Rechtsruck in Europa erschwert die Situation der Flüchtlinge. Was bedeutet das für das UNHCR und die Menschen, die Hilfe brauchen?
Sebastian Herwig erlebt hautnah, wie sich die aktuelle politische Situation auf die Flüchtlinge auswirkt. Zum Interview meldet er sich aus Ägypten, wo er für das UNHCR direkt an der Grenze zum Sudan den Flüchtlingsstrom koordiniert.
Herr Herwig, Sie erleben den Sudankonflikt von Ägypten aus aus nächster Nähe. Klingt herausfordernd.
Sebastian Herwig: Ist es auch. Vor allem damals, als der Konflikt im Sudan ausbrach. Da habe ich die erste UN-Mission an der Grenze geleitet, um den ankommenden Flüchtlingen zu helfen. Das war eine prägende Erfahrung. Es ging darum, schnell zu reagieren. Kurzfristige Hilfe wie Wasser und medizinische Versorgung direkt an der Grenze bereitzustellen und die Arbeit aller humanitären Organisationen vor Ort, auch der NGOs, bestmöglich in enger Zusammenarbeit mit der ägyptischen Regierung zu koordinieren.
Sudankrise zwingt Hunderttausende zur Flucht nach Ägypten
- Seit April letzten Jahres kämpfen im Sudan zwei rivalisierende Militärfraktionen um die Macht: die Sudanese Armed Forces (SAF) unter De-facto-Staatschef Abdel Fattah Burhan und die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) unter Burhans ehemaligen Stellvertreter Mohammed Hamdan Daglo. Laut den Vereinten Nationen haben die erbitterten Kämpfe bereits 16.000 Menschen das Leben gekostet, 33.000 wurden verletzt.
- Neun Millionen Sudanesen sind auf der Flucht, wobei Ägypten als Hauptaufnahmeland eine zentrale Rolle spielt. Etwa 60 Prozent der 725.000 Flüchtlinge in Ägypten stammen aus dem Sudan.
Wie wirkt sich das auf das Land aus?
Der Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung wird zunehmend problematisch und Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge sind extrem begrenzt.
Ich erinnere mich an einen Anruf eines älteren Mannes aus Darfur, der die Wüste überquert hatte, um nach Ägypten zu fliehen. Er war allein, litt an chronischen Krankheiten und hatte keine Dokumente. Ohne Registrierung konnte er kein Bankkonto eröffnen, keine SIM-Karte kaufen, konnte nicht ohne Weiteres in einem Krankenhaus medizinische Versorgung erhalten und nicht einmal mit seiner Familie kommunizieren. Das ist nur eine Geschichte von mehr als 11 Millionen Menschen, die Hälfte davon Kinder, die wegen des Krieges ihr Zuhause im Sudan verloren haben.
UNHCR steht vor grossen Herausforderungen
Was tut das UNHCR dagegen?
Wir übernehmen, anders als in Deutschland, die Verantwortung, alle Flüchtlinge in Ägypten zu registrieren und zu prüfen, ob sie rechtlich als Flüchtlinge anerkannt werden können. Das UNHCR bietet zudem psychologische und rechtliche Unterstützung für Opfer sexualisierter Gewalt sowie Hilfe für Kinder, die ohne Eltern oder Betreuer aus dem Krieg kommen. Wir arbeiten eng mit der ägyptischen Regierung zusammen, um den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge zu ermöglichen. Darüber hinaus knüpfen wir Kontakte zu Botschaften, Unternehmen und Privatpersonen, um die Finanzierung wichtiger Hilfsprogramme sicherzustellen. Unser Ziel ist es, nicht nur kurzfristig zu helfen, sondern nachhaltige Strukturen zu schaffen.
Stösst das UNHCR angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen derzeit an seine Grenzen?
Ja, absolut. Obwohl wir als führende Flüchtlingsorganisation agieren, können wir diese enormen Herausforderungen nicht allein bewältigen. Vor der Krise haben wir monatlich rund 4.000 Menschen registriert; heute sind es über 45.000. Wir müssen unser Netzwerk und unsere Initiativen stark erweitern, um den Anforderungen annähernd gerecht zu werden. Dennoch führt der exponentielle Anstieg der Flüchtlinge in Ägypten auch zu exponentiell wachsenden Bedürfnissen.
Was bedeutet das konkret?
Normalerweise helfen wir den Flüchtlingen mit Bargeld, damit sie ihre Grundbedürfnisse stillen können oder ihre Kinder die Schule besuchen können. Aber bei so vielen Neuankömmlingen reicht das Geld nicht für alle. Das zwingt uns zu äusserst schwierigen Entscheidungen. Oft müssen wir abwägen, wer Hilfe dringender braucht. Obwohl alle, die zu uns kommen, in verzweifelten Situationen sind - das ist schmerzhaft.
Solidarität in Zeiten eines Europas, das nach rechts driftet
Wie lässt sich die Situation verbessern?
Durch öffentliche Beachtung. Der Sudan erlebt gerade die grösste Kriegs- und Hungerkrise weltweit, erhält jedoch deutlich weniger Aufmerksamkeit als andere Konflikte. Wir versuchen gegenzusteuern. Etwa haben wir ein Abendessen mit UN-Generalsekretär Guterres und sudanesischen Flüchtlingen in Kairo organisiert, um die Berichterstattung zu fördern. Denn Krisen, die in den Medien präsenter sind, erhalten oft mehr Unterstützung - finanziell und politisch. Das ist für unsere Arbeit und unsere Projekte entscheidend und kann ein Faktor für Hilfe sein. Nicht zuletzt, weil dadurch ein Solidaritätsgefühl entsteht.
Gefährdet der Rechtsruck in Europa nicht eben diese Solidarität?
Es hat sich etwas verändert. Leider wird politischer Streit oft auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen und da gehören Flüchtlinge dazu. Wir spüren das leider und es ist schwieriger geworden, Hilfe für Flüchtlinge zu mobilisieren. Dennoch erleben wir tagtäglich in Europa Menschen, die Flüchtlinge unterstützen - sei es durch Begleitung zu Terminen, Hilfe bei Behördengängen oder das Anbieten von Unterkünften. Und so viele Deutsche spenden regelmässig für die Uno-Flüchtlingshilfe. Das macht Hoffnung und zeigt, dass viele Menschen ihre humanitäre Verantwortung ernst nehmen.
Einige Politiker, auch in Deutschland, fordern jetzt schon, das Recht auf Asyl spürbar aufzuweichen. Glauben Sie, Europa wird sich seiner Verantwortung entledigen?
Das ist schwer zu sagen, aber es macht uns auf jeden Fall Sorgen. Länder wie Ägypten, die direkt an den Krisenregionen liegen, können diese Herausforderungen nicht allein bewältigen. Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge erreicht Europa; tatsächlich bleiben drei Viertel der Flüchtlinge in den Nachbarländern in der Hoffnung, bald nach Hause zurückkehren zu können. Zahlen zeigen zudem, dass arme Länder mehr als doppelt so viele Flüchtlinge aufgenommen haben wie reiche Länder. Trotzdem sind wir natürlich Europa und insbesondere Deutschland für die Unterstützung enorm dankbar – und müssen zugleich als UNHCR verstärkt darauf hinweisen, wie wichtig das Recht auf Asyl ist. Es ist ein fundamentales Menschenrecht, das von allen Staaten anerkannt werden sollte. Denn die Menschen fliehen nicht aus Abenteuerlust, sondern aus existenzieller Not. Sie haben keine andere Wahl und riskieren dabei ihr Leben.
Über den Gesprächspartner
- Sebastian Herwig arbeitet seit zehn Jahren beim UNHCR. Er begann seine Laufbahn in Kenia und war danach in verschiedenen Ländern Afrikas tätig. Derzeit ist er in Ägypten tätig, wo er sich um Menschen kümmert, die durch Kriege ihre Heimat verloren haben, und für die Pflege der Aussenbeziehungen Ägyptens zuständig ist.
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