Sebastian Kurz gilt als politisches Wunderkind. Mit nur 31 Jahren ist er Kanzler geworden, sein Aufstieg sucht seinesgleichen. Doch die rechte Vergangenheit seines Koalitionspartners macht Kurz zu schaffen. Das zeigte sich auch jetzt wieder bei seiner Reise nach Deutschland. Heikel wird es, wenn Österreich in einigen Monaten den EU-Vorsitz innehaben wird.
Auf einem der Bilder aus den späten 1980er-Jahren sieht man einen jungen Mann im Tarnanzug mit Gleichgesinnten. Er steht leicht abseits der Gruppe und beobachtet einen Kameraden, der mit einem Gewehr hantiert.
Ein anderes Bild zeigt denselben Mann in einem Wirtshaus. Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand abgespreizt: eine Geste, die unter Neonazis als Kühnengruss bekannt und in Deutschland strafbar ist.
Viele Jahre später wird der junge Mann von einst die Szene mit dem Gewehr als harmloses "Paintballspiel" bezeichnen, die verbotene Geste als Versuch, beim Kellner drei Bier zu bestellen.
Der junge Mann von einst ist heute 49 Jahre alt, Chef der FPÖ und Vizekanzler von Österreich. Dass Heinz-Christian Strache vor 30 Jahren wenig Berührungsängste mit der extremen Rechten hatte, ist in Österreich schon lange kein Geheimnis mehr. Strache hat sich inzwischen davon distanziert.
Doch ausserhalb Österreichs war die Vergangenheit des stellvertretenden Regierungschefs bisher weniger bekannt. Gemeinsam mit – gelinde gesagt – ungeschickten Äusserungen einiger FPÖ-Politiker (jüngst etwa das Plädoyer des neuen Innenministers Herbert Kickl, Flüchtlinge an einem Ort zu "konzentrieren") sorgt
Deutsche Journalisten bohren nach
Diese Besorgnis europäischer Partner wird zunehmend zum Problem für den konservativen Bundeskanzler
Das zeigte sich auch bei seinem Berlin-Besuch diese Woche. Die prominente Talkshowmoderatorin Sandra Maischberger hatte Kurz ins Studio eingeladen – zur kritischen Befragung.
Erst parlierte der Kanzler gekonnt mit der Moderatorin über die europäische Aussenpolitik und die seltsamen Tweets von US-Präsident Donald Trump. Doch als sie ihn auf Straches Vergangenheit ansprach, kam Kurz ins Trudeln: Eine "Jugendsünde" sei das. Mehr fiel ihm dazu nicht ein.
Dass die rechtsextreme Vergangenheit seines Koalitionspartners die Achillesferse des Bundeskanzlers ist, hatte sich schon vor einigen Wochen in einem Interview mit dem Hamburger "Spiegel" gezeigt. Damals wand sich Kurz mit der Aussage, er sei damals noch gar nicht auf der Welt gewesen, heraus. Ein Satz, der ihm viel Häme einbrachte.
Hoffen, dass alles gut geht
Sind die Rechtspopulisten ein Klotz am Bein des ehrgeizigen und talentierten Spitzenpolitikers, der mehr als seine Vorgänger die europäische Bühne sucht? "Auf jeden Fall", meint die Klagenfurter Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle. "Aber die FPÖ war seine einzige Chance, Kanzler zu werden."
Das Nasenrümpfen der europäischen Partner sei der Preis dafür, dass Kurz seine Ambitionen verwirklichen konnte. "Die SPÖ hätte ihn kaum zum Kanzler gemacht", glaubt Stainer-Hämmerle.
"Nun bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass alles gut geht." Soll heissen: Dass ihn sein Koalitionspartner nicht durch extreme Ausfälle unmöglich macht – und Kurz womöglich die Karriere verhagelt.
EU-Ratsvorsitz wird zur Nagelprobe
Das grösste Risiko ortet Stainer-Hämmerle beim freiheitlichen EU-Abgeordneten Harald Vilimsky, dem Stellvertreter und engen Vertrauten der französischen Nationalistin Marine Le Pen in der rechten EU-Fraktion "Europa der Nationen und der Freiheit" (ENF). Le Pen hat sich nichts weniger als die brutale Zerschlagung der EU zum Ziel gesetzt. Sollten von Vilimsky demnächst ähnliche Töne kommen, hätte Kurz ein grosses Problem.
Denn im zweiten Halbjahr 2018 hat Österreich die EU-Ratspräsidentschaft inne. Dann werden alle Augen auf Kurz gerichtet sein: Hat er die Rechtspopulisten – die in der Vergangenheit mit einem EU-Austritt zumindest geliebäugelt hatten – im Griff?
"Man wird sehen, ob Kurz es schafft, den EU-Ratsvorsitz so zu orchestrieren, dass die FPÖ europafreundlich erscheint", sagt Stainer-Hämmerle. Denn ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union ist für die ÖVP die rote Linie. Selbst wenn Kurz den einen oder anderen Ausfall tolerieren würde: Viele in seiner Partei würden das definitiv nicht tun.
Die Chancen für einen reibungslosen Ablauf der Ratspräsidentschaft stünden aus heutiger Sicht gut. "Auch die FPÖ möchte, dass die Koalition erfolgreich ist und hält", sagt Stainer-Hämmerle. "Also wird sie mitspielen."
Halten alle Reihen in der FPÖ still?
Was aber, wenn Teile der FPÖ nervös werden, weil ihnen der Kurs der Parteiführung gegenüber dem Koalitionspartner zu sanft erscheint? Wie schnell eine Koalition mit den Rechtspopulisten platzen kann, musste schon ein früherer ÖVP-Kanzler erfahren: Wolfgang Schüssel.
2002 formierte der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider binnen weniger Tage Widerstand gegen die FPÖ-Regierungsmitglieder in Wien – die ihm zu wenig prinzipientreu waren. Der "Putsch von Knittelfeld" beendete die erste schwarz-blaue Koalition.
"Noch sehe ich keinen potenziellen Sprengmeister", sagt die Politologin. "Niemand in der FPÖ will Strache schaden." Was aber, wenn die kommenden Landtagswahlen für die Freiheitlichen nicht gut ausgehen – und der eine oder andere Landesparteichef nervös wird?
Dann könnte der Kuschelkurs der Koalition in Wien bald zur willkommenen Ausrede werden. "Die Frage ist, ob die zweite und dritte Reihe der FPÖ auf Dauer stillhalten kann", sagt Stainer-Hämmerle. "Die Partei hat die Oppositionsrolle über Jahre verinnerlicht. So schnell gehen die Reflexe nicht weg."
Sebastian Kurz bleibt also nichts anderes übrig, als auf die Vernunft seines Koalitionspartners zu hoffen. Kein ungefährliches Spiel. Dass er gerne auf Risiko spielt, hat er schon in der Vergangenheit bewiesen. Bisher ist alles gut gegangen für den jungen Kanzler. Ob das so bleibt, wird sich zeigen.
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