Der ehemalige österreichische Kanzler Sebastian Kurz ist im Falschaussagenprozess in einem von drei Anklagepunkten schuldig gesprochen worden. Er will gegen das Urteil, welches noch nicht rechtskräftig ist, Berufung einlegen. Zwei Politikwissenschaftler sehen dennoch bereits jetzt weitreichende politische Folgen – vor allem für seine Partei ÖVP.
Der ehemalige österreichische Kanzler
"Selten war ein Fall der Falschaussage so klar gelagert", sagte Oberstaatsanwalt Gregor Adamovic am Freitag am Wiener Landgericht in seinem Schlussplädoyer. Kurz hatte sich vor dem Gericht für eine Aussage vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Juni 2020 verantworten müssen. Damals hatte er behauptet, er sei bei der Bestellung des Aufsichtsrats der Staatsholding ÖBAG nur informiert gewesen, habe aber nicht aktiv eingegriffen.
Anklage in mehreren Punkten
Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass der 37-Jährige grösseren Einfluss ausübte und dies aufgrund der Sorge vor schlechter Presse nicht hatte einräumen wollen. Oberstaatsanwalt Adamovic sprach von unerwünschter politischer und medialer Kritik wegen "offensichtlichen Postenschacherns". So hatte sich Kurz während seiner Regierungszeit ein allgemeines Veto- und Durchgriffsrecht bei Personalentscheidungen gesichert. Die ÖBAG ist für Beteiligungen des Staates an diversen Unternehmen zuständig.
In zwei weiteren Anklagepunkten wurde Kurz hingegen freigesprochen. Dabei ging es unter anderem um falsche Aussagen in Bezug auf die Berufung des ehemaligen ÖBAG-Chefs Thomas Schmid. In der Vergangenheit waren er und Kurz enge Vertraute gewesen, Schmid hatte sich aber später von ihm abgewandt und als Zeuge der Staatsanwaltschaft umfassend ausgesagt.
Berufung eingelegt
Der konservative Ex-Kanzler bezeichnete das Urteil als "ungerecht" und kündigte an, Berufung einzulegen. Er sei optimistisch, in der zweiten Instanz Recht zu bekommen. Kurz, der inzwischen für mehrere internationale Unternehmen arbeitet, kritisierte den Prozess als politisch motiviert.
Das jetzige Urteil fällt vor dem Hintergrund grösserer Ermittlungen im Zusammenhang mit der sogenannten Ibiza-Affäre. Ein heimlich auf der spanischen Insel Ibiza gedrehtes Video hatte zu einem der grössten politischen Skandale Österreichs und dem Sturz der Regierung geführt. Darauf war zu sehen, wie der spätere Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) einer angeblichen russischen Oligarchennichte im Gegenzug für Wahlhilfe Staatsaufträge in Aussicht stellte.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere österreichische Politiker wegen Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung – auch gegen Ex-Kanzler Kurz. Ebenfalls laufen gegen den heute 37-Jährigen Ermittlungen im Zusammenhang mit der sogenannten Inseraten-Affäre. Finanzbeamte seiner Regierung sollen – in seinem Wissen oder sogar in seinem Auftrag – öffentliche Mittel genutzt haben, um gefälschte Umfragen und wohlwollende Berichterstattung zu kaufen.
Was bedeutet das Urteil nun für Kurz? Beobachter sind sich einig: Auch, wenn noch Berufung eingelegt werden kann – das Saubermann-Image von Kurz ist endgültig erschüttert. Kurz selbst nannte es "nicht lebensverändernd", da er nicht mehr in der Politik sei.
Weitreichende Folgen
Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sieht dennoch weitreichende politische Folgen – auch, wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. "Ein endgültiges Urteil ist bis zur Europawahl Anfang Juni unwahrscheinlich und auch bis zur Nationalratswahl Anfang September fraglich", sagt er. Dennoch habe es auch bereits jetzt Auswirkungen auf das "Superwahljahr 2024". In Österreich finden in diesem Jahr neben der EU- und Nationalratswahl auch zwei Landtagswahlen sowie zwei Wahlen in Landeshauptstädten statt.
"Die ÖVP ist weiterhin mit dem Thema des Prozesses gegen ihren Ex-Parteichef konfrontiert und muss nach dem Schuldspruch in erster Instanz ihre Kommunikationsstrategie ändern", meint Filzmaier. Das gelte auch für weitere Ermittlungen und allfällige Prozesse gegen Personen aus dem Umfeld von Kurz, der auch noch in anderen Fällen angeklagt werden könnte.
Belastung im Wahlkampf
"Die ÖVP man hat hier bereits im Herbst 2022 den Hauptbelastungszeugen Thomas Schmid als Lügner bezeichnet und aus der Partei ausgeschlossen. Nun jedoch hat ein Richter ihm hohe Glaubwürdigkeit zugestanden", merkt der Experte an. Weil die ÖVP bei aller Kritik an der Staatsanwaltschaft und den Medien stets ihren Respekt vor unabhängigen Gerichten beteuerte, könne sie Schmid daher nur bedingt weiterhin zum Sündenbock machen.
"Doch das Hauptproblem für die ÖVP ist, dass andere ÖVP-Wunschthemen in den Hintergrund treten – womöglich auch, weil Kurz selbst in seiner prozessbegleitenden Öffentlichkeitsarbeit noch mehr in den Medien präsent ist", analysiert der Experte. Eine Rückkehr von Kurz in die Politik im Wahljahr 2024 sei mit dem Urteil nun ausserdem endgültig ausgeschlossen.
Funktionierender Rechtsstaat
Auch Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch ist sich sicher, dass das Urteil und die Causa Kurz die Gerichte noch Jahre beschäftigen werden. "Die zentrale Aussage ist, dass in Österreich der Rechtsstaat funktioniert und eine Staatsanwaltschaft und unabhängige Gerichte ein Verfahren gegen den damals populärsten und wohl auch mächtigsten Politiker Österreichs der jüngeren Zeit zu Ende bringen und ihn auch in Teilen der Anklage für schuldig befinden können", sagt er. Das sei nicht mehr überall selbstverständlich, wenn man etwa in das benachbarte Ungarn blicke.
"Dies spricht gewiss für die Qualität der generell eher konservativen österreichischen Justiz, der man gewiss nicht vorwerfen kann, aus politischen Motiven heraus gegen einen ÖVP-Politiker vorgegangen zu sein", kommentiert Heinisch.
Damit sei auch gezeigt worden, dass nicht alles geht, nicht alles verhandelbar ist und dass es neben politischen Netzwerken und Techniken der Macht in der Demokratie auch faktische Grenzen und Konsequenzen für Fehlverhalten gibt. "Mittelfristig sehe ich kaum eine politische Zukunft für Kurz, doch wenn der Leidensdruck der ÖVP irgendwann in der Zukunft gross genug wird, ergeben sich vielleicht neue Optionen", schätzt er.
Über die Gesprächspartner:
- Prof. Dr. Peter Filzmaier hat eine Professur für Demokratiestudien und Politikforschung an der Universität für Weiterbildung Krems inne.
- Prof. Dr. Reinhard Heinisch ist Universitätsprofessor für Österreichische Politik in vergleichender Perspektive am Fachbereich Politikwissenschaft der Universität Salzburg.
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