Im Netz verbreiten sich Gerüchte über United4Rescue, ein Bündnis für Seenotrettung im Mittelmeer. Dabei wird unter anderem angedeutet, persönliche Beziehungen hätten dafür gesorgt, dass Annalena Baerbock dem Verein "staatliche Finanzierung" in Millionenhöhe genehmigt habe. Ein Faktencheck.

Deutschland und die EU diskutieren seit Wochen über die Themen Migration und Asyl. Nun verbreitet sich auf WhatsApp eine Behauptung, die die Grünen bei dem Thema ins Visier nimmt. Angeblich, so heisst es, habe Annalena Baerbock acht Millionen Euro für die private Seenotrettung zur Verfügung gestellt. Der Verein, der das Geld erhalten soll, heisse United4Rescue und sei vom Lebensgefährten von Baerbocks Parteikollegin Katrin Göring-Eckardt gegründet worden. "Das ist das grüne, neue Deutschland", lautete das Fazit dazu im Netz.

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Bei genauer Betrachtung fehlt den Behauptungen jedoch relevanter Kontext. Weder wurden die Fördermittel zur Seenotrettung von Annalena Baerbock genehmigt, noch flossen sie bisher an United4Rescue.

Der Rahmen für staatliche Unterstützung wird im Bundeshaushalt gesetzt. Dieser wird jedoch vom Bundestag beschlossen – und nicht vom Auswärtigen Amt oder Annalena Baerbock. Das Auswärtige Amt wäre lediglich für die Auszahlung der konkreten Mittel zuständig. Doch die ab 2023 angedachten Fördermittel zur Seenotrettung sind bislang nicht an United4Rescue geflossen. Richtig ist, dass das Vorstandsmitglied des Vereins, Thies Gundlach, der Lebenspartner von Katrin Göring-Eckardt ist.

United4Rescue ist ein Bündnis für Seenotrettung im Mittelmeer

United4Rescue – Gemeinsam Retten e.V. ist ein Verein, dessen Gründung auf den Kirchentag im Juni 2019 in Dortmund zurückgeht. Dort beschloss die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), ein eigenes Rettungsschiff ins Mittelmeer zu schicken. Im Dezember stellte die EKD dann das Bündnis United4Rescue vor. Dieses verfügt aktuell über keine eigenen Schiffe, sondern unterstützt andere Seenotrettungsorganisationen durch Spenden. Thies Gundlach ist Teil des Vorstands von United4Rescue. Er ist Theologe im Ruhestand und es stimmt, dass er seit 2017 der Lebensgefährte von Katrin Göring-Eckardt ist.

Im November 2022 berichteten zahlreiche Medien darüber, dass für den Verein in den Jahren 2023 bis 2026 jeweils zwei Millionen Euro im Bundeshaushalt vorgesehen seien. Damit werde die zivile Seenotrettung erstmals staatlich gefördert. Auch der Verein selbst schrieb am 11. November 2022 in einer Pressemitteilung, man sei von der Entwicklung "überrascht" und "dankbar für die finanzielle Unterstützung".

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Bund zahlte bisher kein Geld an United4Rescue

Doch im Juli 2023 teilte der Verein in einer weiteren Pressemitteilung mit, man habe bisher keine Gelder erhalten: "Das Auswärtige Amt will entgegen des Bundestagsbeschlusses aus dem vergangenen Jahr keine Mittel an United4Rescue zur Förderung der zivilen Seenotrettung auszahlen", heisst es. Das Auswärtige Amt unter der Leitung von Annalena Baerbock, welches für die Vergabe der Mittel zuständig ist, habe die Gelder für die Seenotrettung sogar gekürzt.

"Das Geld ist nicht mehr ausschliesslich für die zivile Seenotrettung vorgesehen, sondern soll auch an humanitäre Projekte an Land fliessen. Das Auswärtige Amt bleibt damit hinter dem Bundestagsbeschluss zurück – und kürzt letztlich Gelder, die für die Seenotrettung bestimmt waren", schreibt der Verein.

Den Zweck der Mittel interpretiert das Auswärtige Amt nun offenbar breiter als ursprünglich vorgesehen war. So wurden mit den Mitteln, die für das Jahr 2023 vorgesehen waren, Organisationen gefördert, die Geflüchteten an Land und auf See helfen.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes schrieb uns dazu, eine Auszahlung der Mittel habe es an drei Projekte gegeben: "Es handelt sich dabei um ein Projekt der Nichtregierungsorganisation Sant'Egidio zur Versorgung von aus Seenot Geretteten in Italien an Land und jeweils ein Projekt der Nichtregierungsorganisationen SOS Humanity und Sea Eye zu Rettungsmassnahmen auf See. Der Umfang der Projektförderung liegt jeweils zwischen 300.000 und 800.000 Euro." Beide Organisationen unterstützt United4Rescue laut eigenen Angaben mit Spenden.

Geld wurde im Haushaltsplan der Bundesregierung eingeplant

Doch wie kam es dazu und was bleibt von der angeblichen "staatlichen Finanzierung" für United4Rescue übrig, von der online die Rede ist? Hat der Verein einen Anspruch auf die acht Millionen Euro, über die Medien berichteten? Und was hat Aussenministerin Annalena Baerbock damit zu tun?

Grundsätzlich sind solche Gelder Teil des Bundeshaushaltsplans. Dort werden jährlich die Einnahmen und Ausgaben des Bundes fürs Folgejahr festgelegt. Er wird von der gesamten Bundesregierung erarbeitet und im Bundesrat und im Bundestag diskutiert. Beschlossen wird er schliesslich durch ein Mehrheitsvotum im Bundestag. Eine einzelne Politikerin oder Ministerin kann in dieser Sache also nichts "genehmigen", wie es online heisst.

Aus dem für die Behauptung relevanten Bundeshaushaltsplan für das Jahr 2023 – beschlossen am 25. November 2022 – geht jedoch zunächst weder hervor, dass die Bundesregierung acht Millionen Euro für die zivile Seenotrettung eingeplant hat, noch, wer diese erhalten soll. Dennoch erklärte der FDP-Abgeordnete Christoph Hoffmann im Rahmen der Abstimmung über den Bundeshaushalt 2023 am 25. November 2022: "Ich unterstütze jedoch nicht, trotz meiner Zustimmung zum Haushaltsgesetz 2023, die Zuteilung an den Verein United4Rescue, die 2023 zwei Millionen Euro sowie Verpflichtungsermächtigungen von sechs Millionen Euro bis 2026 aus Kapitel 0504, Titelgruppe 01, 687 17-024 (46) vorsieht."

Auch Jamila Schäfer, Bundestagsabgeordnete der Grünen und Mitglied des Haushaltsausschusses, schrieb am 11. November 2022 auf X, ehemals Twitter: "Wir stärken die zivile Seenotrettung im Haushalt! In Zeiten, in denen Rettung kriminalisiert wird, unterstützen wir mit [sic] United4Rescue mit 2 Millionen €." Und die SPD-Bundestagsabgeordnete Derya Türk-Nachbaur schrieb am selben Tag auf X: "Mitbekommen? Wir unterstützen mit 2 Mio € die Seenotrettung."

Genaue Mittelverwendung wird im Haushaltsausschuss diskutiert

Wie lässt sich erklären, dass die Abgeordneten über geplante Ausgaben sprechen, die so im Bundeshaushalt nicht zu finden sind? Hoffmann von der FDP erklärte uns dazu auf Nachfrage, seine Aussage vom 25. November 2022 beziehe sich auf Vorgaben des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages. Der berät, bevor der genaue Bundeshaushalt beschlossen wird, über die Verwendung der Mittel.

Die betreffenden Fördermittel seien im Haushaltsgesetz unter dem Punkt "1.8 Sonstiges" auf Seite 45 (Einzelplan 5) zu finden, so Hoffmann. Dort ist eine Ausgabe von zwei Millionen Euro vermerkt. Wofür genau das Geld verwendet werden soll, geht daraus aber nicht hervor.

Auf der vorherigen Seite steht unter dem Punkt "Internationale Aktivitäten gesellschaftlicher Gruppen und deutsch-ausländischer Kultureinrichtungen im Inland und Ausland" zu welchen Zahlungen sich die Bundesregierung in den Folgejahren bis 2026 verpflichten will. Sowohl in den Jahren 2024, 2025 und 2026 sind mindestens Ausgaben von zwei Millionen Euro geplant. Ob sie an United4Rescue gehen sollen, geht auch in diesem Fall aus der Aufstellung nicht hervor:

Dazu erklärt Christoph Hoffmann weiter, die konkrete Mittelvergabe an United4Rescue sei durch einen "nicht-öffentlichen Massgabe-Beschluss am 8. November 2022 (Ausschuss-Drucksache 2893) des Haushaltsgesetzgebers vorgeschrieben, der den Abgeordneten des Deutschen Bundestages vorliegt." Wie der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages im Februar 2023 schrieb, ist der Begriff gesetzlich nicht definiert. Häufig seien damit aber Aufforderungen des Haushaltsausschusses an die Bundesregierung gemeint, bei denen es um den Vollzug des Haushaltes gehe. Allerdings, so der Wissenschaftliche Dienst, haben sie keine verbindliche Wirkung gegenüber der Exekutive, in diesem Fall der Verwaltung.

In der Drucksache 2893 seien die erwähnten sechs Millionen für die Jahre 2024 bis 26 festgeschrieben, so Christoph Hoffmann. Das entsprechende Dokument liegt CORRECTIV.Faktencheck vor. Darin heisst es zum Punkt "1.8 Sonstiges": Für den Verein United4Rescue seien zwei Millionen Euro vorgesehen sowie Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von sechs Millionen Euro für die Jahre 2024 bis 2026.

Ergänzend sei zudem ein weiterer Massgabe-Beschluss getroffen worden, so Hoffmann, in dem die Bundesregierung dazu aufgefordert worden sei, zum 1. September 2023 einen Bericht über die Umsetzung der Förderung für den Verein United4Rescue vorzulegen. Auch dieses Dokument liegt CORRECTIV.Faktencheck vor: Es enthält die von Hoffmann genannte Aufforderung.

Aus einem nicht-öffentlichen Protokoll der Sitzung des Haushaltsausschusses vom 10. November 2022, das CORRECTIV.Faktencheck ebenfalls vorliegt, geht zudem hervor, dass alle Parteien ausser der AfD dem Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Nummer 2893 zustimmten: also der Mittelvergabe an United4Rescue in Höhe von zwei Millionen Euro im Jahr 2023 sowie Verpflichtungsermächtigungen von sechs Millionen Euro in den Jahren 2024 bis 2026.

Auswärtiges Amt ist durch Bundeshaushaltsplan rechtlich nicht verpflichtet, United4Rescue zu fördern

Dennoch förderte das Auswärtige Amt United4Rescue wie bereits berichtet bisher nicht. Ein Sprecher erklärt: "Das Auswärtige Amt setzt derzeit eine vom Parlament beauftragte finanzielle Förderung um. Ziel ist es dabei, sowohl zivile Seenotrettung auf See, als auch Projekte an Land für aus Seenot Gerettete zu fördern."

Auf unsere Nachfrage, ob das Auswärtige Amt der Auffassung sei, dass United4Rescue zwei Millionen Euro Fördermittel im Jahr 2023 durch Beschluss des Bundestages zustünden, erhielt CORRECTIV.Faktencheck keine Antwort.

Wie aber kann es sein, dass sich das Auswärtige Amt offenbar durch den Entschluss des Bundestages und die Anträge im Haushaltsausschuss nicht dazu verpflichtet sieht, United4Rescue zu fördern? Das erklärt uns Henning Tappe, Professor für Öffentliches Recht, deutsches und internationales Finanz- und Steuerrecht an der Uni Trier, in einer E-Mail.

Er schreibt uns, die Ansätze des verabschiedeten Haushaltsplans seien lediglich Ausgabeermächtigungen. Das bedeutet, es dürfe durch die Festlegungen zwar Geld ausgegeben werden, das müsse aber nicht geschehen. Das gehe auch aus Paragraf 3 der Bundeshaushaltsordnung über die Wirkung des Haushaltsplan hervor. Dort heisst es: "Der Haushaltsplan ermächtigt die Verwaltung, Ausgaben zu leisten und Verpflichtungen einzugehen" und "durch den Haushaltsplan werden Ansprüche oder Verbindlichkeiten weder begründet noch aufgehoben."

Wenn Mittel durch den Haushaltsplan bereitgestellt würden, sei zwar anzuerkennen, dass der Gesetzgeber diese Mittel grundsätzlich als sinnvoll erachtet, so Tappe weiter. Das Geld gebe aber die Verwaltung, sprich die betreffenden Bundesministerien, aus und führe so den Haushaltsplan aus. "Man kann also schon sagen, dass es – im Rahmen der Zweckbestimmung im Haushalt, die unterschiedlich konkret sein kann – der 'Wille' des Gesetzgebers ist, Mittel für einen bestimmten Zweck zu verausgaben (die Mittel dürfen dann jedenfalls nicht für andere Zwecke ausgegeben werden, wenn das nicht entsprechend vermerkt ist)."

Fazit: Der Bundeshaushalt wird vom Bundestag beschlossen – und nicht vom Auswärtigen Amt oder Annalena Baerbock. Zwar waren darin für United4Rescue acht Millionen Euro durch den Haushaltsausschuss des Bundestages vorgesehen, davon zwei Millionen Euro im Jahr 2023, das Geld hat der Verein bisher aber nicht erhalten. Er hat darauf auch keinen rechtlichen Anspruch. Für die Vergabe der konkreten Mittel ist das Auswärtige Amt zuständig.

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Verwendete Quellen:

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