Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) hat heute die Volksinitiative "Schweizer Recht statt fremde Richter" eingereicht. Diese will die Bundesverfassung über das Völkerrecht stellen. Welche Konsequenzen hätte eine Annahme dieser "Selbstbestimmungsinitiative" für die Schweiz?
Die Schweizer Stimmbevölkerung kann dank der direkten Demokratie regelmässig die Verfassung ändern. Da kommt es vor, dass neue Verfassungsbestimmungen völkerrechtlichen Verträgen widersprechen.
Beispielsweise hat sich das Stimmvolk 2014 für die Beschränkung der Zuwanderung ausgesprochen, während ein Freizügigkeits-Abkommen mit der EU die schrankenlose Zuwanderung vorsieht. Seither streitet die Politik über die Umsetzung der Initiative.
Die SVP hat nun mit 116'709 Unterschriften eine Volksinitiative eingereicht, die solche Konflikte zugunsten des Landesrechts lösen will. Die Volksinitiative "Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)" sieht unter anderem vor:
- Die Bundesverfassung soll dem Völkerrecht grundsätzlich vorgehen, nicht aber dem zwingenden Völkerrecht wie beispielsweise dem Verbot von Folter, Sklaverei oder Angriffskriegen.
- Bund und Kantone dürfen keine völkerrechtlichen Verpflichtungen eingehen, die der Bundesverfassung widersprechen.
- Bei einem Widerspruch zwischen Verfassung und Völkerrecht soll die Schweiz die völkerrechtlichen Verträge ändern oder kündigen.
Wichtig ist den Initianten auch die demokratische Legitimation: So sollen völkerrechtliche Verträge, die in der Schweiz dem Referendum unterstanden haben, für die Gerichte weiterhin massgebend sein.
Imageschaden vs. Rechtssicherheit
Was heisst das nun konkret für die Schweiz? Die breite Gegnerschaft der Initiative ist der Meinung, dass die SVP es auf eine Kündigung der EMRK abgesehen hat. Eine Kündigung der EMRK hätte laut Gegnern einen erheblichen Imageschaden für die Schweiz zur Folge.
Nicht nur das: Konkret würde eine Kündigung bedeuten, dass Urteile des Bundesgerichts – der höchsten richterlichen Instanz der Schweiz – nicht mehr an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) weitergezogen werden könnten.
Die Gegner interpretieren die Initiative zudem dahingehend, dass die Schweiz gegenüber anderen Staaten vertragsbrüchig werden dürfe, was ihrer Meinung nach die Stabilität, Rechtssicherheit und damit auch den Wirtschaftsstandort Schweiz gefährden würde.
Die SVP sieht das anders. Sie will mit ihrer Initiative nach eigenen Angaben Rechtssicherheit schaffen, indem das Verhältnis zwischen Landesrecht und internationalem Recht geklärt wird. Eine Kündigung der EMRK sei nicht das Ziel.
Mit der Initiative solle die Demokratie gestärkt werden, da das Recht durch das Schweizer Volk und Parlament geschaffen werden solle und nicht von internationalen Organisationen oder ausländischen Gerichten.
Volk oder Richter – das ist hier die Frage
Anlass zur Initiative hat laut SVP ein umstrittenes Bundesgerichtsurteil gegeben, wonach jede völkerrechtliche Vereinbarung – und nicht bloss das zwingende Völkerrecht – dem Landesrecht vorgeht. Die Stimmbevölkerung hat über diese eigenmächtige Interpretation des Bundesgerichts jedoch nie abstimmen können.
"Hintergrundproblem der 'Selbstbestimmungsinitiative' ist die Vorstellung, dass eine Bestimmung nicht als 'richtig demokratisch' gilt, wenn nicht das Volk darüber entschieden hat", erklärt der Völkerrechtsprofessor Oliver Diggelmann von der Universität Zürich.
Seiner Meinung nach ist es jedoch wichtig, dass Gerichte und politische Behörden bei der Bestimmung des Verhältnisses zwischen Landes- und Völkerrecht im konkreten Fall über gewisse Spielräume verfügten.
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