Am 21. März findet jedes Jahr der Internationale Tag gegen Rassismus statt. Weshalb es auch in Zeiten der Coronavirus-Krise wichtig ist, über fremdenfeindliche Ressentiments und rechten Terror zu sprechen, erklärt Kabarettist und Autor Serdar Somuncu - und richtet dabei deutliche Worte an die Politik.
Herr
Serdar Somuncu: Das ist sehr schwer zu sagen. Ich habe ganz unterschiedliche Gedanken, ganz unterschiedliche Eindrücke und noch kein Ergebnis.
Wir erleben gerade etwas, was unbekannte Ausmasse und Auswirkungen hat. Es geht nicht um ein Virus, das uns alle umbringen könnte. Es geht eher um die Frage, wie wir damit umgehen. Dabei gibt es zahlreiche Faktoren, die uns mal in die eine und mal in die andere Richtung beeinflussen. Zum einen spüren wir jetzt die Auswirkungen der Globalisierung. Zum anderen gibt es immer mehr Medien, die nicht nur über das berichten, was ist, sondern auch kommentieren. Und manchmal ist das verantwortungslose Panikmache.
Was man allerdings jetzt schon sieht, ist, wie unterschiedlich Privatpersonen mit der Krise umgehen: Beispielsweise gibt es ja die Toilettenpapierhorter, die dafür sorgen, dass andere vor leeren Regalen stehen. Was hat denn der GröHaZ ("Grösste Hassias aller Zeiten", Somuncus Kunstfigur) dazu zu sagen?
Dass das natürlich übertrieben ist, aber dass es auch übertrieben ist, wie darüber berichtet wird, ist doch klar. Leute gehen einkaufen und haben offenbar Angst vor einer Not. Das ist ja auch ok und irgendwo verständlich. Ich sehe da die Verantwortung eher bei Politik und Medien, auf die Menschen nicht verunsichernd, sondern beruhigend zu wirken. Und das tun sie gerade nicht.
Wichtig wäre auch, den Menschen klar zu machen, weshalb die Politik so reagiert, wie sie es tut. Nämlich, damit ein Gesundheitssystem, das massiv heruntergeschraubt wurde, nicht kollabiert und auf einmal mehr Leute krank werden, als Betten da sind.
Zu diesem Zweck eine Kette von Massnahmen in Gang zu setzen, die Leute in eine derart fundamentale Panik versetzt, und damit zu riskieren, dass der volkswirtschaftliche Schaden am Ende grösser ist als der gesundheitliche Nutzen, das halte ich im Augenblick für mindestens fragwürdig. Ohnehin macht die Kanzlerin einen sehr geschwächten Eindruck auf mich. Sie verkündet mehr, als dass sie entscheidet.
Und dass man den Menschen, die jetzt ihre Existenz verlieren, Kredite anbietet, die sie in die Arme der Banken treiben, wird den Konflikt nicht entschärfen. Wir brauchen einen nationalen Plan zur Abfederung der Schäden, der regelt, dass finanzielle Hilfe schnell und unkompliziert verteilt wird. Beispielsweise aus den Steuerüberschüssen der letzten Jahre.
Der eigentliche Anlass unseres Interviews ist ja der Internationale Tag gegen Rassismus am 21.03.
Wen interessiert denn jetzt Rassismus? (lacht)
Genau meine Frage: Warum ist es wichtig, dass wir uns trotz der aktuellen Lage mit diesem Thema weiter auseinandersetzen?
Und es ist eine gute Frage, denn der Rassismus ist auch ein Teil des Puzzles, das ich gerade versuche zusammenzusetzen.
Neben all den anderen Aspekten, die ich schon genannt habe, wird ja gerade auch die europäische Idee infrage gestellt. Denn Europa scheint im Augenblick handlungsunfähig und fällt in der Stunde der Not auf den nationalstaatlichen Gedanken der vermeintlich sicheren Grenzen zurück. Länder schotten sich ab, weil sie offensichtlich kein Vertrauen haben in das Krisenmanagement der Europäischen Union.
Das werden Populisten und Nationalisten ausnutzen. Die werden sagen: "Seht ihr, jetzt kommen Dinge ins Land, die wir nur dann von uns weghalten können, wenn wir die Grenzen schliessen." Und das wird dazu führen, dass diese Parteien, AfD und sonstige Populisten, bei den nächsten Wahlen Stimmen gewinnen.
Wenn dann noch dazu kommt, dass Leute eine materielle Not haben, weil sie sechs Wochen nicht arbeiten konnten, und nun die Miete nicht zahlen und nicht mal mehr einkaufen können, dann werden fremdenfeindliche Ressentiments noch schneller wachsen, als man sich das vorstellen kann.
Also auch da entstehen gerade Brandherde, die wir in den nächsten Jahren in unserer Gesellschaft nur sehr schwer werden löschen können.
Und es kommt ja noch etwas dazu: Die Epidemie ist ja noch nicht in der dritten Welt angekommen. Wenn es so weit kommt, dass Afrika und andere arme Länder auf der südlichen Halbkugel von Corona getroffen werden, wo die Menschen überhaupt keine medizinische Versorgung haben, dann werden Menschen versuchen hierher zu kommen in das ohnehin schon abgeschottete Europa. Und dann weiss ich nicht, was passieren wird.
Ich kann zusammenfassend sagen: Es besteht die Möglichkeit, dass ein Schnupfen den dritten Weltkrieg auslöst.
Die Brandherde, von denen Sie sprechen, gibt es in Deutschland ja schon längere Zeit. Der Anschlag von Hanau ist gerade einmal vier Wochen her und droht jetzt schon in Vergessenheit zu geraten.
Das Schlimme ist ja, dass wir schon eine hysterische Gesellschaft waren, bevor die Corona-Panik noch dazu kam. Das ist die Fläche, auf der dieser Hass gedeihen kann. Wir haben einen sehr fruchtbaren Boden und das, was wir gerade draufschütten an Panikmache, ist Dünger für diese seltsamen Blüten, die daraus gedeihen. Ob es sich dabei um Rassismus, Intoleranz, Antisemitismus oder prinzipiell Ressentiments gegen alles, was fremd ist, handelt.
Da kommt in jedem Fall noch vieles auf uns zu, und wie und wann, was wir da gesät haben, wächst und wie gross und gefährlich es wird; ob es etwas wird, was wir nicht mehr beherrschen können, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin kein Zukunftsforscher.
Wie ist denn Ihr Empfinden, von Corona mal abgesehen: Ist die Pflanze des rechten Terrors in den vergangenen Jahren nicht ohnehin schon zu einer grösseren Bedrohung geworden?
Wir sind auf dem rechten Auge nach wie vor blind. Wir sehen gerne bei Attentaten steigende Zahlen islamistischer Gewalttäter und rechnen sie hoch, geraten dann in diese Konjunktiv-Angstspirale und erwarten, dass hinter jeder Ecke ein Islamist steht, der uns abmurksen will.
Aber wenn die Straftaten rechtsextremer Gewalttäter in einem Jahr über 20 Prozent steigen (so geschehen in NRW im ersten Halbjahr von 2019, Anm.d.Red.), dann tun wir das ab als normal und sagen, das ist alles ein Problem der Ostdeutschen, damit haben wir in Deutschland nichts zu tun.
Was kann denn jetzt jeder Einzelne tun um diese Brandherde, diesen Rassismus zu bekämpfen?
Gute Frage. Wenn es einen positiven Nebeneffekt der Corona-Krise geben kann, dann ist es, dass wir wieder lernen solidarischer zu sein. Dass wir den Blick nicht nur auf uns richten und egoistisch sind und Angst davor haben, dass wir uns den Hintern nicht mehr abwischen können, sondern, dass wir uns auch um die anderen Gedanken machen.
Die Flüchtlinge, die jetzt gerade an den Grenzen stehen, haben überhaupt kein Gesundheitssystem. Und was da passiert, wenn Corona ausbricht, das kümmert niemanden.
Wir müssen in Zukunft einfach lernen, uns auch um die anderen Gedanken zu machen, damit wir in solchen Situationen wie jetzt einordnen können, was gerade mit uns passiert. Momentan können wir das noch nicht. Das trifft uns gerade mit einer Gewalt, mit der wir nicht gerechnet haben und deshalb reagieren wir auch so über.
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