Die SPD ackert und rackert in der grossen Koalition – doch auch ein halbes Jahr nach deren Start geht es für die Partei einfach nicht bergauf. Im Gegenteil: In jüngsten Umfragen werden die Sozialdemokraten von AfD und Grünen überholt. Der Druck auf Parteichefin Nahles wächst.

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Andrea Nahles hat die SPD-Bundestagsabgeordneten am Donnerstagabend in Clärchens Ballhaus in Berlin-Mitte zum geselligen Fraktionsabend geladen. Doch Wegtanzen lässt sich die Krise der Partei nicht.

Zuletzt verschlechterten sich die Sozialdemokraten laut einer Insa-Umfrage im Auftrag der "Bild"-Zeitung um einen halben Prozentpunkt auf 16 Prozent – damit wäre die SPD nur noch drittstärkste Kraft im Bund. Und bei den Landtagswahlen in den wichtigen Bundesländern Bayern und Hessen droht diversen Erhebungen zufolge ein Debakel. In Bayern könnte es sogar nur Platz vier hinter CSU, Grünen und AfD werden.

Nahles steht zunehmend unter Druck

Für die zweitägige Fraktionsklausur mit geselligem Tanzabend als abendlichem Höhepunkt steht mal wieder der vielbeschworene Erneuerungsprozess ganz oben auf der Agenda.

Doch ein halbes Jahr nach dem erneuten Eintritt in eine grosse Koalition wächst der Druck auf die Vortänzerin Nahles, die Partei- und Fraktionschefin.

Ihre persönlichen Werte? Im Keller. Bei ihrer jüngsten Erhebung verzeichnete die Forschungsgruppe Wahlen bei Nahles leichte Ansehensverluste, sie belegt Platz neun der zehn wichtigsten Politiker. Vizekanzler Olaf Scholz erfreut sich auf Platz drei besserer Umfragewerte - und es ist kein Geheimnis, dass er sich eine Kanzlerkandidatur zutrauen würde.

Aber wenn man im Bund vielleicht nur noch Nummer vier ist – braucht man dann überhaupt noch einen Kanzlerkandidaten? So weit ist es schon gekommen mit der SPD, dass man diese Frage stellen kann. Immerhin zeigt sich die Partei derzeit geschlossen wie lange nicht mehr. Stabil ist sie aber nicht.

Die AfD ist eines der grössten Probleme der SPD

Das Parteienspektrum in Deutschland ist in Bewegung und die SPD gerät dabei zunehmend unter die Räder. Ihr fehlen mitreissende neue Köpfe und Ideen.

Die "Aufstehen"-Bewegung der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ist da noch das kleinste Konkurrenzproblem. Sie wird mit dem Hinweis weggewischt, die einzige linke Sammlungsbewegung sei seit 1863 die SPD. Das viel grössere Problem ist die AfD.

470.000 Wähler verlor die SPD bei der Bundestagswahl 2017 an die Rechtspopulisten. Die AfD ist für viele heute die Partei des "kleinen Mannes".

Die AfD eröffnet in den Innenstädten - gerade im Osten - Bürgerbüros, lädt zum Singen von Volksliedern ein, kümmert sich um Hilfe bei Rentenanträgen, während der SPD vielerorts die Leute fehlen – vor allem im Osten.

"Fürchte, SPD wird langsam implodieren"

Das GroKo-Versprechen lautete wie unter Sigmar Gabriel 2013: Gut regieren, dann vertrauen die Bürger wieder der SPD - und die Werte gehen nach oben. Dass diese Rechnung nicht stimmt, belegten die vergangenen Regierungsbeteiligungen, in denen die SPD Juniorpartner war.

Nach dem mit 20,5 Prozent schlechtesten Bundestagswahlergebnis aller Zeiten und dem Abservieren von Martin Schulz ging es nicht nach oben - sondern nur noch weiter nach unten, auf 16 bis 17 Prozent.

"Ich fürchte, die Partei wird langsam implodieren", meint ein einflussreicher Genosse. Ein früheres Präsidiumsmitglied sagt: "Das mit Nahles und Scholz geht nicht gut."

In der Flüchtlingsfrage ist die Partei gespalten zwischen Willkommenskultur und Abschottung. Zuletzt versuchte Scholz das linke Profil zu schärfen mit einer Rentengarantie auf heutigem Niveau bis 2040, aber ohne Finanzierungskonzept.

Zugleich sät sein Ministerium Zweifel, ob das SPD-Lieblingsprojekt einer stärkeren Besteuerung von Internetkonzernen wie Amazon, Apple und Google kommen wird - man fürchtet Gegenmassnahmen von US-Seite.

Nahles bringt mal Hilfen für die Türkei ins Spiel, dann möchte sie Leistungskürzungen für junge Hartz-IV-Bezieher abschaffen oder versucht sich mitten im Dürre- und Hitzesommer von den Grünen abzusetzen, indem sie beim Klimaschutz auf die Bremse tritt. "Für eine Blutgrätsche gegen die Braunkohle steht die SPD nicht zur Verfügung", sagt sie.

Es sind einige Testballons, die aufsteigen, dabei wollte man munteres Themenhopping wie im Wahlkampf 2017 eigentlich vermeiden.

Der SPD fehlt ein klares Profil - immer noch

Seit Jahren ist die Partei gefangen zwischen einem Mitte- und einem Links-Kurs, durch die grosse Koalition verschwimmen Positionen - das unklare Profil fördert nach Analyse von Demoskopen den Zuspruch zu der Partei nicht.

Der kurze Höhenflug des Martin Schulz Anfang 2017 fand statt, als es einen klaren Schwenk nach links gab - danach wurden der Kandidat und seine Positionen schnell vom Willy-Brandt-Haus glatt geschliffen. Es muss Nahles und Scholz zu denken geben, welchen Widerhall abservierte Genossen wie Gabriel und Schulz noch haben. Gerade an der Parteibasis.

Und es gehört zum Paradoxon der SPD dazu, dass sie bundesweit im Siechtum begriffen ist, aber in Dutzenden Grossstädten den Oberbürgermeister stellt - vor Ort wird auf bürgernahe, unideologische, pragmatische Politik gesetzt.

In spätestens einem Jahr will die SPD evaluieren, ob man die Koalition mit CDU und CSU fortsetzen will - und das ausschlaggebende Argument für eine Fortsetzung bis 2021 könnte das gleiche sein wie beim Mitgliedervotum über den Eintritt in die GroKo: Sie scheint vielen Genossen das kleinere Übel im Vergleich zu Neuwahlen - das gilt heute mehr denn je. (jwo/dpa/AFP)  © dpa

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