Der FPÖ-Spitzenkandidat in Niederösterreich hat sich aus der Affäre um die Nazi-Lieder seiner Burschenschaft gezogen. Doch für Bundeskanzler Sebastian Kurz könnte der Skandal Auswirkungen auf EU-Ebene mit sich bringen.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Wolfgang Rössler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Wenn ein Politiker in Erklärungsnot gerät, gilt üblicherweise die Faustregel: Je lauter das Dementi, desto grösser die Nervosität. So gesehen lagen nicht nur bei Udo Landbauer, dem Spitzenkandidaten der FPÖ in Niederösterreich, die Nerven blank.

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Als der "Falter" Dienstagabend enthüllte, dass in Landbauers Burschenschaft, der Wiener Neustädter "Germania", Liederbücher mit holocaustverherrlichenden Texten auflagen, hagelte es nahezu im Halbstundentakt Solidaritätsadressen von hochrangigen Parteifreunden.

Landbauer will mit umstrittenen Passagen nichts zu tun haben

"Der linksextreme Falter will untadeligen FPÖ-Kandidaten anpatzen", schimpfte der blaue EU-Abgeordnete Harald Vilimsky. Parteichef Heinz-Christian Strache: "Jeder, der Udo Landbauer kennt, weiss, dass er mit Totalitarismus und Antisemitismus nichts am Hut hat."

Landbauer selbst erklärte in zahllosen Stellungnahmen, mit den umstrittenen Passagen nichts zu tun zu haben. Als diese 1997 gedruckt worden waren, sei er erst elf Jahre alt gewesen. Auch er teilte gegen den "Falter" aus, den er als "linksextremes Nischenmedium" bezeichnete.

Doch nicht nur die linksliberale Wiener Stadtzeitung sieht einen Skandal. Auch die konservative "Presse" ging klar auf Distanz. Der Fall bestätige alle braunen Vorurteile gegenüber Burschenschaften, konstatierte ein Kommentator.

Und die Korrespondentin der "Neuen Zürcher Zeitung" schrieb, dass es zwar "denkbar" sei, dass Landbauer von den üblen Passagen nichts wusste. "Sehr wahrscheinlich ist es aber nicht."

Für Landbauer, die 31 Jahre alte Zukunftshoffnung der FPÖ, kam der Skandal zum scheinbar ungünstigsten Zeitpunkt. Am Sonntag wird in Niederösterreich gewählt, der eloquente Jungpolitiker hofft darauf, das bescheidene Ergebnis seiner Partei von 2013 – knapp acht Prozent – mindestens zu verdoppeln.

Die Ausgangslage schien perfekt: Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ist erst seit gut einem halben Jahr im Amt, das in Niederösterreich zuletzt erfolgreiche Team Stronach ist zerbröselt. Dann platzte eine Bombe, die das Potenzial hatte, Landbauers politische Karriere zu beenden.

Dass SPÖ, NEOS und Grüne umgehend seinen Rücktritt forderten, kam wenig überraschend. Doch auch die konservative ÖVP – Koalitionspartner der Freiheitlichen im Bund – reagierte scharf. Kanzler Sebastian Kurz sprach von "absolut widerwärtigen" Passagen, "die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden."

Schwarz-Blau steht ohnehin unter Beobachtung

Für den neuen Regierungschef in Wien könnte die Angelegenheit höchst unangenehm werden. Dessen Mitte-Rechts-Regierung steht in Europa ohnehin unter Beobachtung.

Zu oft ist die FPÖ in der Vergangenheit mit Rechtsaussen-Sprüchen aufgefallen, nicht alle europäischen Staatschefs sind von deren Regierungsfähigkeit überzeugt. Kurz' deutsche Amtskollegin Angela Merkel hat ihre Bedenken ebenso deponiert wie der französische Präsident Emanuel Macron.

"Kurz ist mit dieser Koalition ein hohes Risiko eingegangen. Er kann nur hoffen, dass es gut geht", analysierte die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle unlängst im Gespräch mit unserer Redaktion.

Wird der Fall Landbauer die Sorgen des befreundeten Auslands beschädigen und das Ansehen des jungen Kanzlers ramponieren? Bundespräsident Alexander Van der Bellen sagte zumindest am Rand seines Besuches in Strassburg, "natürlich" müsse er Österreich nun im Europarat verteidigen.

Kurz forderte in einer Stellungnahme die "volle Härte des Gesetzes". "Es braucht volle und rasche Aufklärung. Es ist gut, dass die Staatsanwaltschaft bereits aktiv geworden ist", sagte er am Donnerstag der APA.

Mit seiner klaren Distanzierung hat der Kanzler Schadensbegrenzung betrieben. Noch hat die Angelegenheit international keine allzu grossen Wellen geschlagen, das kann sich allerdings noch ändern.

"Kurz wird sich bei seinem nächsten Termin in Brüssel wohl Fragen gefallen lassen müssen", sagt ein Insider aus dem Kanzleramt im Gespräch mit unserer Redaktion.

Viel mehr, als seine Abscheu vor den Nazi-Passagen kundtun, kann Kurz nicht machen. Als Kanzler hat er keine Handhabe gegen einen freiheitlichen Landespolitiker.

Ihm bleibt nur die Hoffnung, dass es sich bei diesem Extrembeispiel um einen Einzelfall handelt – und dass sein Koalitionspartner, FPÖ-Chef Strache, die eigene Truppe künftig besser im Griff hat.

Die Chancen dafür stehen gut, glaubt Politologin Stainer-Hämmerle: "Auch die FPÖ möchte, dass die Koalition hält."

Udo Landbauers Motto: "Jetzt erst recht"

Was aber heisst das für Landbauer? Nach Bekanntwerden der Affäre verwickelte sich der 31-Jährige in Widersprüche. Erst wollte er von den geschwärzten Passagen gewusst haben, dann wieder nicht.

Am Mittwochabend fand Landbauer im Interview mit "ZiB 2"-Moderator Armin Wolf zu einer Erklärung: Als miserabler Sänger habe er sich mit dem Liederbuch bisher nicht beschäftigt.

Nach Kenntnis der Vorwürfe habe er seine Mitgliedschaft in der Germania zurückgelegt. Dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen habe, begrüsse er.

Landbauers Anhängern auf Facebook genügte das: Sie beglückwünschten Landbauer zum Interview und zu seinem neuen Wahlslogan für die letzten Tage vor der Wahl: "Jetzt erst recht."

Landbauers nunmehrige Ex-Burschenschaft hat einen Verantwortlichen ausgemacht und suspendiert. Und FPÖ-Innenminister Herbert Kickl kündigte bereits an, es sei "ziemlich ausgeschlossen", dass Landbauer selbst zur Rechenschaft gezogen werde.

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