Nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen richten sich die Blicke auf das Mitgliedervotum der SPD. Doch ist diese Abstimmung mit der deutschen Verfassung vereinbar? Die teilweise Verneinung dieser Frage durch den Verfassungsrechtler Christoph Degenhart war es, die den live im ZDF ausgetragenen Streit zwischen SPD-Chef Sigmar Gabriel und ZDF-Moderatorin Marietta Slomka auslöste. Wir haben im Interview mit dem Hochschullehrer gesprochen, der Gabriel in Wallung brachte.

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Die SPD-Basis ist mit dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen aufgerufen, über die Annahme oder Verweigerung des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD abzustimmen. Der "zweite Urnengang" der SPD für die Bundestagswahl beginnt in der kommenden Woche. Vom 6. bis zum 12. Dezember sind alle SPD-Mitglieder aufgerufen, per Brief ihre Meinung abzugeben. Das Ergebnis soll am 14. Dezember verkündet werden.

Wenn sich die Mehrheit gegen eine Zusammenarbeit mit der Union ausspricht, sind die Koalitionsverhandlungen gescheitert - wie es danach mit der Bildung einer Regierung weitergehen könnte, ist ungewiss.

Kurz vor der Abstimmung werden Stimmen laut, die danach fragen, ob diese Abstimmung überhaupt mit der deutschen Verfassung vereinbar ist. Im ZDF musste sich SPD-Chef Gabriel einige kritische Fragen gefallen lassen. Etwa, warum nun die rund 475.000 SPD-Mitglieder über die Zukunft der 62 Millionen Wähler in der Bundesrepublik entscheiden dürfen. Wir haben den Verfassungsrechtler Christoph Degenhart von der Universität Leipzig nach seiner Einschätzung gefragt.

Herr Degenhart, halten Sie die Entscheidung der SPD, die Basis am Ende der Koalitionsverhandlungen über den Koalitionsvertrag und eine Regierungsbeteiligung abstimmen zu lassen, für verfassungswidrig?

Ich habe gewisse Bedenken über diesen Vorgang, er widerspricht dem Gedanken des Grundgesetzes. Aber für eine tatsächliche Verfassungsklage reicht das nicht aus - da ist schlicht das nötige "Level" nicht erreicht. Aus rein rechtlicher Sicht glaube ich deshalb nicht, dass gegen diese Entscheidung verfassungsrechtlich vorgegangen werden kann. Das sehen sicher auch die meisten meiner Kollegen so.

Welche Bedenken meinen Sie?

Für mich ist das ganz klar ein imperatives Mandat - das heisst, dass die Abgeordneten an die Vorgaben der SPD-Basis gebunden sind - und das geht in meinen Augen zu weit. Die Basis der Partei wird dadurch viel zu stark. Es ist äusserst bedenklich, wenn das Schicksal eines Landes und von so vielen Wählern von dem Willen von ein paar wenigen abhängig gemacht wird, wie es nun geschehen ist.

Die Basisentscheidung über das Eingehen einer Koalition ist bisher einmalig in der deutschen Geschichte. Gabriel hatte davon gesprochen, dass das Vorgehen der SPD beispielhaft sei und in Zukunft als sogar von anderen Parteien übernommen würde. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein, sicherlich nicht. Die SPD-Führung hätte gut daran getan, diese Mitgliederbefragung sein zu lassen. Aber ich glaube, das hat die SPD jetzt auch gemerkt, wenn sie ehrlich zu sich selbst ist.

Haben Sie die Debatte im Fernsehen verfolgt?

Ja, habe ich. Und besonders das Interview im "heute-journal" am Donnerstagabend fand ich sehr gut und sehr ermunternd. Das war endlich mal etwas anderes als dieser affirmative und immer zustimmende Journalismus. Es sollte öfter solche kontroverse Diskussion geben. Inhaltlich war ich dabei natürlich auf der Seite von Frau Slomka.

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