Peter Brandt ist Historiker, SPD-Mitglied und einer von drei Söhnen eines der wichtigsten Politiker der deutschen Nachkriegsgeschichte: Willy Brandt. Wir sprachen mit Peter Brandt über sein neues Buch zu seinem berühmten Vater, die grosse Koalition und das Vermächtnis von Willy Brandt, der am 18. Dezember 100 Jahre alt würde.
Herr Prof. Brandt, Sie haben zum 100. Geburtstag Ihres Vaters ein Buch geschrieben mit dem Titel "Mit anderen Augen: Versuch über den Politiker und Privatmann
Brandt: Sie werden da nichts Sensationelles finden. Ich bezeichne das selber auch nicht als Biographie, sondern im klassischen Sinne als biographischen Essay. Es ist eine Mischung aus Erinnerungen und Reflexion mit der Perspektive des professionellen Historikers. Ich mache das auch nicht mit dem Gestus, ich sage euch jetzt mal, wie es wirklich war. Das ist ein Deutungsangebot.
Können Sie da ein konkretes Beispiel nennen?
Klischees haben immer einen wahren Kern, der oft sehr klein ist. Da gibt es etwa das, er sei depressiv gewesen und einmal im Jahr ausgefallen. Ich kann das aus meiner Erfahrung in der Berliner Zeit nicht bestätigen, die Ehefrauen für die Zeit danach sehr wohl. Aber wenn man genauer hinschaut, ist das masslos übertrieben. Depression im medizinischen Sinne ist eine ernste Krankheit, da können Sie nicht einen der anspruchsvollsten Jobs der Welt machen. Wenn würde man eher von depressiven Verstimmungen sprechen wie sie viele Menschen haben. Das sind so Beispiele wo ich versuche, das eine oder andere zurechtzurücken.
Ihrem Vater wird folgendes Zitat zugeschrieben: "Es hat keinen Sinn, eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein". Wie glauben Sie würde er vor diesem Hintergrund die wohl kommende grosse Koalition sehen?
Der Unterschied zwischen 25,7 Prozent und der Mehrheit ist ja beträchtlich. Also da ist noch Spielraum. Aber im Ernst. Auf solche Fragen sage ich immer: Wir wissen es nicht. Ich masse ich mir nicht an, mit der Autorität der Biologie zu verkünden, was er gemacht hätte und ich weiss es auch nicht. Es ist schlicht sinnlos, sich darüber gross den Kopf zu zerbrechen.
Was sagt denn das SPD-Mitglied Peter Brandt zu der grossen Koalition?
Es ist ja unverkennbar, dass es in der Sozialdemokratie keine begeisterte Welle gibt, möglichst schnell eine grosse Koalition zu machen. Nicht nur die Basis, sondern auch die breitere Führung sieht dem nicht gerade mit Enthusiasmus entgegen. Wenn wäre es eher nach dem Motto: Uns bleibt nichts anderes übrig. So ein Mitgliederentscheid ist nicht so ohne ...
Wie realistisch ist es, zu glauben, man hat einen ausgehandelten Koalitionsvertrag und die SPD-Mitglieder sagen dann: Stopp, wir wollen nicht?
Ich würde im Moment keine Wette eingehen, wie der Mitgliederentscheid ausgeht. Wenn man so etwas macht, ist das eben nie hundertprozentig kalkulierbar.
Kann man denn nicht in der SPD auch diskutieren über Rot-Rot-Grün?
Das kann man. Es kommt aber jetzt nicht in Betracht, weil man nicht im Wahlkampf etwas ausschliessen kann und es dann doch machen. Das geht nicht. Was 2017 ist, wissen wir aber nicht. Ausserdem ist es nicht nur eine Frage von Parteienkonstellationen, sondern auch gesellschaftlichen Prozessen. Man hätte sich durchaus vorstellen können, dass bei umgekehrten Vorzeichen – also wenn Rot/Grün knapp unterhalb der Mehrheit gewesen wäre – die Diskussion noch einmal aufgekommen wäre. Zudem darf man ja auch nicht vergessen, dass dieser Block Rot-Rot-Grün seit 2002 deutlich Stimmen verloren hat, also gesellschaftlich schwächer ist als vor vier oder acht Jahren.
Weder Sie, noch Ihr Bruder – der Schauspieler Matthias Brandt - sind in die politischen Fussstapfen des Vaters getreten. Waren diese einfach zu gross?
Ich war immer politisch aktiv, nur ich bin nicht Berufspolitiker geworden. Mein Vater hat das weder unterbunden noch forciert. Für ihn war völlig klar, dass jeder sein eigenes Leben lebt. Er hat auch akzeptiert, dass seine Verwandten einschliesslich seiner Söhne zu anderen Werteentscheidungen kommen. Jedenfalls wollte ich mit acht Jahren deutscher Kaiser werden. Das habe ich dann irgendwie verstanden, dass das nicht geht. Und aus Frustration bin ich Geschichtsprofessor geworden.
Sie haben einmal gesagt, dass es Ihnen lästig gewesen sei, Sohn eines derart grossen Vaters zu sein. Warum?
Natürlich hat mich das genervt, das fing schon als Kind mit den Fotografen an. Aber es hat mich vor allem gestört, als ich fast schon erwachsen war und meinen eigenen Weg gehen wollte. Mit 20 Jahren ist das schon eine grosse Last. Andererseits ist der Name Brandt ja auch nicht so selten. Der Gedanke, quasi durch Erbfolge ein herausgehobener Mensch zu sein, war mir fremd. Das haben mir meine Eltern auch nie vermittelt. Ich bin der erste, der in der Familie ein Universitätsstudium abgeschlossen hat.
Gab es politisch grosse Meinungsverschiedenheiten zu Ihrem Vater?
Wir hatten zum Beispiel massive Konflikte über den Vietnamkrieg. Er war als Berliner Bürgermeister der Meinung, er könne sich nicht gegen die Amerikaner stellen. Ich war da dezidiert anderer Meinung. Ab 1967 wohnten wir sowieso nicht mehr unter einem Dach, aber vorher haben wir schon gelegentlich diskutiert. Vielleicht haben wird das aber nicht genug getan, wir hätten vor allem persönlicher diskutieren sollen. Das beziehe ich auch ausdrücklich auf mich.
Inwiefern?
Willy Brandt ist ja als jemand wahrgenommen worden, der offen war, vor allem für die junge Generation. In gewisser Weise stimmt das, aber trotzdem sage ich, dass wir mehr miteinander hätten reden sollen. Das war aber dann relativ früh eine resignative Tendenz und man hat sich damit abgefunden, dass jeder eben seine Position hat. Wir haben später sehr viel diskutiert, vor allem in den späten 1970er und 1980er Jahren und da waren wir uns dann näher, wenn auch nicht ganz auf einer Linie.
Etwa beim Thema deutsche Einheit, die Sie nach eigenen Angaben mit gemischten Gefühlen gesehen haben?
Er hat ja vom Einigungsprozess ausser den ersten Stufen nicht mehr so furchtbar viel mitbekommen. Ich war immer für die Einheit. Aber nicht als Angliederung des einen Staates an den anderen, sondern als Folge eines gemeinsamen Prozesses. Die gemischten Gefühle kommen davon, dass im Ergebnis die Linken in Deutschland geschwächt waren. Die übergeordnete Frage ist, ob man die deutsche Einigung nach dem Motto "Ihr dürft dazukommen, wir freuen uns auch drüber" begreift oder als gemeinsames Projekt. Das hätte eben auch eine neue Verfassung beinhaltet und damit den Geburtsfehler des Grundgesetzes beseitigt, dass es weder von einer Nationalversammlung noch einer Volksabstimmung akzeptiert wurde.
In diesen Tag werden viele Vergleiche zwischen der Guillaume-Affäre und der NSA gezogen. Wie kommentieren Sie dies?
De facto hatte er ja nur ein einziges Dokument, das wirklich problematisch war. Und er hat nicht so viel Schaden angerichtet, wie man hätte vermuten können. Aber zur NSA: Ich neige dazu, dass alle Geheimdienste zu allen Zeiten alles gemacht haben, was sie konnten. Dazu zählt auch das Abhören befreundeter Staaten – wenn es denn so etwas wirklich gibt. Von daher halte ich diese moralische Empörung für schwierig. Problematisch sind natürlich die technischen Möglichkeiten, die es heute gibt. Viele sind deshalb so empört, weil sie im Ernst dachten, ein Freund tut so etwas nicht. Das ist mir völlig unbegreiflich.
Also hätte Merkel mit dem Abhören ihres Handys rechnen müssen?
Aus meiner Sicht sollte man in der Position immer damit rechnen, von allen Seiten ausgespäht zu werden. Ich bin da kein Experte, würde aber immer davon ausgehen: Wer das kann, macht es auch. Kürzlich habe ich mit Egon Bahr geredet und er hat mir erzählt, er sei immer davon überzeugt gewesen, dass er ausspioniert werde und zwar von allen. Das hat ihn aber weder moralisch empört noch erschüttert.
Welche Konsequenzen sind denn daraus zu ziehen?
Es macht zunächst einmal Sinn, die Beziehungen von Staaten auf Interessen zurückzuführen. Die eine Denkrichtung ist dabei Cyberwar, die andere Wirtschaftsspionage der Amerikaner. Wir sollten unsere Energie darauf verwenden, uns mittel- und langfristig Gedanken über die Konsequenzen zu machen. Wir brauchen ein Gegengewicht, damit beim Thema Internet die amerikanischen Unternehmen wie Apple, Google und Microsoft nicht beliebig mit den Partnern umgehen können, wie sie wollen. Das wäre ein Grund, auf europäischer Ebene einmal zu Potte zu kommen und Kontra zu geben.
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