Benedikt Franke ist stellvertretender Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz. Im Interview spricht er über das diesjährige Gipfeltreffen, mögliche Gespräche mit Russland – und seine Erwartungen an die neue Trump-Regierung.
Die bayerische Landeshauptstadt rüstet sich für ein globales Gipfeltreffen: Vom 14. bis 16. Februar findet dort die 61. Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) statt. Der Gesprächsbedarf ist riesig: Für die Ukraine spitzt sich die Lage im russischen Angriffskrieg zu. Der neue US-Präsident Donald Trump sorgt derweil mit Zoll-Drohungen für Aufsehen – und mit der Ansage, er wolle sich Grönland und den Panama-Kanal einverleiben.
In der internationalen Politik ist "Disruption" das Wort der Stunde: eine "einschneidende (meist zerstörerische) Veränderung" – so definiert sie der Duden.
Benedikt Franke ist stellvertretender Vorsitzender und CEO (Geschäftsführer) der Münchner Sicherheitskonferenz. Er ist der Meinung: Disruptionen können auch positive Veränderungen bringen.
Herr Franke, der neue US-Präsident hat Europa schon in seinen ersten Amtstagen in Aufruhr versetzt. Auf wie viel Chaos müssen wir uns einstellen?
Benedikt Franke: Wir werden unter der neuen Administration viel Disruption sehen, das ist richtig. Ich bin der Meinung: Disruption ist nicht immer schlecht. Komplett neue Ansätze können in festgefahrenen Konflikten zu einer neuen Dynamik führen. Ja,
Vielleicht schafft es ausgerechnet der Rechtspopulist Trump, die Ukraine und Russland an einen Tisch zu bringen. Aber womöglich zu einem hohen Preis für die Ukraine.
Ich kann mir vorstellen, dass Russlands
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Sie rechnen bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit einer hochrangigen Delegation der neuen US-Regierung. Möglicherweise kommt der neue Aussenminister Marco Rubio. Was würden Sie ihn fragen?
Mir würden drei Fragen einfallen. Die erste: Wie wird sich das Verhältnis zu Europa aus Sicht der neuen US-Administration gestalten, wenn Europa tatsächlich mehr für die eigene Verteidigung und für die Ukraine unternimmt – und damit ein stärkerer Partner wird? Die zweite Frage wäre: Hat die neue Regierung konkrete Pläne, um gewisse Äusserungen der letzten Zeit in die Tat umzusetzen?
Meinen Sie damit Trumps Ansage, er wolle sich Grönland einverleiben?
Zum Beispiel. Wir müssen die Sicherheitsbedenken der USA ernstnehmen. Was aber auch wichtig ist: Es gibt innerhalb der NATO, innerhalb der Staatengemeinschaft Kanäle, um geordnet damit umzugehen. Wenn die Amerikaner die Sorge haben, dass China den Panama-Kanal oder den Norden Grönlands kontrollieren will, gibt es Gremien, um darüber zu sprechen. Wie gesagt, ich stehe disruptiven Ansätzen auch in der Diplomatie durchaus offen gegenüber, wenn es darum geht, Verkrustungen aufzubrechen. Aber nicht immer ist der Weg über die Öffentlichkeit der beste.
Und die dritte Frage?
Mich interessiert, welche Vorschläge die Amerikaner für eine Reform der internationalen Architektur haben. Sie sind aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und aus der Weltgesundheitsorganisation ausgetreten – aber wie stellen sie sich denn eine Zukunft internationaler Organisationen vor? Geht es nur um den Austritt oder wollen sie Reformen anstossen? Für Letzteres gibt es Gesprächsmöglichkeiten.
Inwiefern?
Der Status Quo unseres internationalen Systems ist nicht perfekt. Im Gegenteil. Die Vereinten Nationen haben an Relevanz verloren und sind politisch oft blockiert. Sie sind auch nicht auf alle aktuellen Herausforderungen eingestellt. Wo ist denn die internationale Organisation oder Agentur, die sich um Künstliche Intelligenz oder andere disruptive Technologien kümmert? Die gibt es nicht. Der Reformdruck ist also da – und hier erhoffe ich mir durch die Disruptionen auch Veränderungen zum Positiven.
Das klingt, als machten Sie sich um die Zukunft des transatlantischen Bündnisses keine grossen Sorgen.
Ich mache mir Sorgen, dass wir als Europäer den Schuss immer noch nicht gehört haben. Ich habe gerade ein Buch fertiggestellt, das die spannendsten Reden der vergangenen 60 Jahre auf der Münchner Sicherheitskonferenz bündelt. Im Jahr 1963 waren die Reden unserer amerikanischen Verbündeten quasi wortgleich zu der, die der jetzige Vizepräsident J.D. Vance im vergangenen Jahr gehalten hat. Es ging schon damals um die Forderung an Europa, mehr für sich und die eigene Sicherheit zu tun. Ich glaube, das transatlantische Verhältnis wird besser, wenn wir das machen.
Dieses Versprechen hört man seit einigen Jahren überall. Die Frage ist, ob die europäischen Staaten es auch in die Tat umsetzen.
Ich hege die Hoffnung, dass wir nach vielen Weckrufen der vergangenen Jahre jetzt wirklich eine Zeitenwende sehen. Sie wäre jedenfalls nötig. Europa ist aus der Debatte in den USA praktisch verschwunden. Präsident Trump hat Europa in seiner Antrittsrede mit keinem Wort erwähnt.
Was muss aus Ihrer Sicht geschehen?
Zwei Dinge: Erstens müssen wir natürlich unsere Werte in der transatlantischen Allianz verteidigen. Zweitens müssen die Amerikaner uns als Gewinn und nicht als Risiko verstehen. Als Diplomat ist es gut, Optimist zu sein – deshalb glaube ich, dass das gelingen kann. Das heisst nicht, dass ich jede Äusserung zum Panama-Kanal, zu Grönland oder Kanada gut finde. Ich sehe aber auch viele Profis in der Trump-Mannschaft, die sich für das transatlantische Verhältnis einsetzen. Viele davon werden zur Münchner Sicherheitskonferenz kommen.
Worauf stellen Sie sich in diesem Jahr ein?
Es wird die hochrangigste Konferenz, die wir je hatten. Wir rechnen mit rund 60 Staats- und Regierungschefs und 150 Ministern. Ich muss einräumen: Dieses grosse Interesse liegt auch, aber nicht nur an uns. Die Welt ist in derzeit einem argen Zustand. Der Gesprächsbedarf ist extrem gestiegen. Wir ermöglichen Gespräche, die ohne uns nicht stattfinden würden. Das ist der Kern der Konferenz.
Sie haben vor kurzem in einem Interview gesagt, man dürfe auch den Gesprächsfaden zu Russland nicht abreissen lassen.
Eine grundsätzliche Antwort: Mit der russischen Seite zu reden, muss ja keineswegs bedeuten, dass man sich einig ist. Die Münchner Sicherheitskonferenz hat in den vergangenen sechs Jahrzehnten immer auch Andersdenkende eingebunden. Denken Sie an Wladimir Putins berühmte Rede 2007. Wir sind überzeugt, dass in der Diplomatie Dinge nicht unausgesprochen bleiben sollten.
Putins Rede bei der Sicherheitskonferenz 2007
- Am 10. Februar 2007 hielt Wladimir Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede, die für grosses Aufsehen sorgte. Er beklagte unter anderem eine monopolare Weltordnung mit den USA als einzigem Hegemon und bezeichnete die Nato-Osterweiterung als Provokation.
Allerdings wird es auch in diesem Jahr keine Gespräche mit der russischen Regierung geben, denn deren Vertreter sind nicht eingeladen.
Das ist richtig. Derzeit sehen wir die Grundlage für einen solchen konstruktiven Dialog auf der Konferenz nicht. Sobald sich konstruktive Ansätze in Russland erkennen lassen, bewerten wir das neu. Wie gesagt: Die MSC versteht sich nicht als Konferenz, auf der ausschliesslich Gleichgesinnte zusammenkommen. Wir wollen die wichtigsten sicherheitspolitischen Themen besprechen mit den relevanten Akteuren besprechen – aber konstruktiv. Es sind Personen aus Russland eingeladen, und zwar aus dem Exil, aber auch aus der russischen Zivilgesellschaft.
In diesem Jahr wird Christoph Heusgen das Amt des Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz an den früheren Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg abgeben. Wird er die Konferenz verändern?
Die Münchner Sicherheitskonferenz hat sich in ihrer Geschichte immer weiterentwickelt. Und auch Jens Stoltenberg wird sie weiterentwickeln. Man darf Jens Stoltenberg übrigens nicht auf die Zeit als Nato-Generalsekretär reduzieren. Er ist ein europäischer Sozialdemokrat, war einer der erfolgreichsten und langjährigsten Premierminister Norwegens. Er war Wirtschafts-, Finanz- und Energieminister, hat die globale Allianz für Impfungen und Immunisierungen mitgegründet. Er war Klimaschutzbeauftragter der Vereinten Nationen. Jens Stoltenberg wird eigene Akzente setzen, aber er wird den von Botschafter Heusgen eingeschlagenen Weg der globalen Öffnung der Konferenz sicher fortsetzen. Die Münchner Sicherheitskonferenz ist schon lange nicht mehr die Wehrkundetagung der 60er und 70er Jahre.
Es wird allerdings auch das erste Mal sein, dass kein Deutscher an der Spitze der Konferenz steht.
Ich glaube, das ist überhaupt kein Problem. Seine Prominenz, seine weltweite Sichtbarkeit – das wird uns sehr helfen, diplomatische Aktivitäten zu fördern. Wir als Team freuen uns auf ihn. Jens Stoltenberg ist bekennender Europäer – und das zählt für uns.
Über den Gesprächspartner
- Dr. Benedikt Franke hat in Cambridge, Washington und Bologna studiert. Er arbeitete als persönlicher Referent des ehemaligen UNO-Generalsekretärs und Nobelpreisträgers Kofi Annan sowie als Beauftragter für Strategiefragen der CSU-Landesleitung. 2014 ging er zur Münchner Sicherheitskonferenz, wo er inzwischen stellvertretender Vorsitzender und CEO (Geschäftsführer) ist.
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