odeDie SPD dümpelt in Umfragen seit Monaten an der 20-Prozent-Marke vor sich hin. Die Partei wirkt konzeptlos, es mangelt an Visionen und an überzeugendem Führungspersonal. Haben die Sozialdemokraten noch eine Zukunft oder stecken sie in einer Dauerkrise?

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Mehr als eine Million Bundesbürger besassen zur Kanzlerschaft von Willy Brandt in den 70er Jahren das Parteibuch der SPD. Doch die goldenen Zeiten sind nur noch eine blasse Erinnerung. Die 1875 in Gotha gegründete Partei befindet sich in einer Abwärtsspirale, die auch die aktuelle Führungsspitze um SPD-Chef Sigmar Gabriel und Aussenminister Frank-Walter Steinmeier nicht stoppen kann.

1990 hatte die SPD noch 943.000 Mitglieder, 2015 waren es nur noch 445.534 - ein neuer Tiefstand. Die Chance, nach der Bundestagswahl 2017 den Regierungschef zu stellen, gelten trotz der schwächelnden Union als gering. Warum musste die SPD so viele Federn lassen? Warum wirkt sie so zertreut? Welchen Plan haben die Sozialdemokraten für die Zukunft?

Agenda 2010 als "Verrat"

Die Ursachen - innere wie äussere - für den Niedergang der SPD sind vielfältig. Zum einen ist es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihrem zweimaligen Regierungspartner (2005-2009, 2013 bis heute) das Leben schwer macht. Unter Führung der ostdeutschen Pastorentochter ist die Union weiblicher, offener und liberaler geworden.

Manche nennen das Sozialdemokratisierung der CDU. Die SPD "büsste damit die kulturelle Hegemonie ein, die Treibstoff ihrer Erfolge war", heisst es in der TAZ. Die Partei verblasste neben der nach links gerückten CDU zusehends.

Zum Anderen brechen die traditionellen Wählermilieus immer mehr auf. Die Arbeiterschaft, einst stolzer Rückhalt der SPD, gibt es so in dieser Form kaum noch.

Schliesslich kann sich die SPD einen gehörigen Anteil an ihrer derzeitigen Schwäche selbst zuschreiben: Sie hat bis heute unter der Agenda 2010, den Wirtschafts- und Sozialreformen von Bundeskanzler Gerhard Schröder, zu leiden. Gewerkschaften und viele Arbeitnehmer bekämpften sie als Angriff auf die kleinen, schwachen Leute. Damit bürdete die SPD-Spitze dem Milieu Lasten auf, dem sie selber entstammte.

Ein Teil ihrer Klientel verzeiht ihr diese Politik bis heute nicht. "Die Agenda symbolisiert den Verrat des Aufsteigers, der, oben angekommen, mit Verachtung auf die Zurückgebliebenen schaut", kommentiert die TAZ. "Dass sich Schröder im Brioni-Anzug und mit Cohiba fotografieren liess, passte perfekt in dieses Bild." Der Aufstieg der Linkspartei resultierte direkt aus Schröders Agenda-Politik.

Spätere Versuche, den Kurs zu korrigieren - mit dem Mindestlohn und der Rente bis 63 - wirkten auf viele Wähler unglaubwürdig. Sie fragen sich: Wofür steht die SPD eigentlich und wie will sie ihre Glaubwürdigkeit zurückgewinnen?

Innere Zerrissenheit der SPD

Der Mann, der diese Fragen beantworten müsste, heisst Sigmar Gabriel. Der Parteichef gilt als schlagfertiger Instinktpolitiker, ist rhetorisch begabter als seine parteiinternen Kontrahenten. Er kann gegenüber der Putzfrau den Kumpel geben, er kann wortgewandt für soziale Gerechtigkeit und das Gute streiten.

Er kann aber auch als Vizekanzler knallharte wirtschaftliche Interessen vertreten. Etwa die Unterstützung des bei vielen Genossen umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP. Der Glaubwürdigkeit dienen solche Manöver nicht, sie versinnbildlichen vielmehr die innere Zerrissenheit der Partei. "Vertrauen zurückgewinnen mit Sigmar Gabriel? Wirklich? Der Glaube daran war ohnehin nie sonderlich ausgeprägt. Nun ist er vielen Sozialdemokraten gänzlich abhandengekommen", analysiert Majid Sattar in der "FAZ".

Im ARD-Deutschlandtrend befürworteten kürzlich 58 Prozent der Befragten Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidaten, aber nur 31 Prozent Gabriel. Unter SPD-Mitgliedern ergibt sich ein ähnliches Bild. An der Basis brodelt es. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz will nicht Kanzlerkandidat werden, EU-Kommissionspräsident Martin Schulz soll allenfalls zaghafte Ambitionen haben.

Egal, an welcher Stelle das Kandidatenkarussell stoppt, ein charismatischer Gewinnertyp wird nicht aussteigen. Auch jüngere SPDler wie Justizminister Heiko Maas oder Generalsekretärin Andrea Nahles sind mehr Funktionär denn Hoffnungsträger. Eine überzeugende inhaltliche Vision bietet niemand von ihnen an.

Publizist: Neue Partei gründen

Insgeheim rechnen viele Genossen trotz der ebenfalls strauchelnden Union und der ungeklärten Kanzlerkandidatur Angela Merkels 2017 mit der nächsten Pleite. "Es geht zu Ende", schreibt der Publizist und Sozialdemokrat Christian Nürnberger in der "Zeit". SPD-Mitglieder seien zu alt für eine Rebellion, unter den Jungen befänden sich sehr viele Karrieristen, für eine Selbstreformation fehle die Kraft. "Wir werden vermutlich auf die Gründung einer neuen Partei hoffen müssen, in der die alte Idee der Sozialdemokratie zu neuem Leben erweckt wird", so Nürnbergers Idee.

Doch womöglich wäre es zu früh, die SPD abzuschreiben. In neun Bundesländern, darunter bei den Schwergewichten Nordrhein-Westfalen und Berlin, stellt sie aktuell den Regierungschef. Selbst wenn der kommende Kanzler nicht aus ihren Reihen kommt: Ohne SPD-Beteiligung wird rein rechnerisch kaum eine Koalition möglich sein.

Schon gar nicht, wenn es die AfD ins Parlament schafft - was als ziemlich sicher gilt. Ein Dreierbündnis mit den Grünen und der Linkspartei könnte vielleicht doch zur ernstzunehmenden Machtoption für 2017 werden. Dafür müsste sich die SPD in Umfragen allerdings erholen und an der 30-Prozent-Marke kratzen.

Derzeit deutet wenig darauf hin. Die Krise der SPD geht weiter.

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