Die SPD hat ein Problem: Martin Schulz ist führungsschwach. Und der Parteichef hat an Glaubwürdigkeit und Autorität verloren. Doch eine Palastrevolution wird es nicht geben – vorerst.

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Als Martin Schulz zum SPD-Kanzlerkandidaten ernannt wurde, schnellten die Umfrageergebnisse der Partei nach oben. Doch der Schulz-Effekt verpuffte, die SPD kam lediglich auf 20,5 Prozent der Stimmen.

Gründe dafür gab es viele: Die Ernennung Schulz' zum Kanzlerkandidaten kam zu spät. Die Mann-vom-Volk-Attitüde war schnell verbraucht. Schulz konnte sein Profil nicht schärfen, auch nicht das der SPD. Für das Wahlprogramm war zu wenig Zeit.

Innerparteilich geschadet hat dies Schulz zunächst nicht. Noch am Wahlabend schloss er eine neue Grosse Koalition vehement aus. Den Kurs für die SPD gab Schulz klar vor: den in die Opposition. Offensiv und führungsstark – so präsentierte sich der SPD-Vorsitzende an jenem Abend.

Die Genossen jubelten frenetisch, doch lange hallte der Jubel nicht nach. Denn nach dem Scheitern von Jamaika entschied sich Schulz für eine Kehrtwende.

Aus dem kategorischen Nein zur GroKo ist ein verhaltenes Ja geworden. Die SPD wird nun Koalitionsverhandlungen führen.

Ein Affront für viele Genossen, die sich nun grundlegende Fragen stellen: Wie verlässlich ist Martin Schulz als Parteivorsitzender? Wie viel Führungskraft besitzt er? Kann er überhaupt die SPD in eine Grosse Koalition führen? Was wird aus der SPD?

Martin Schulz hat ein Glaubwürdigkeitsproblem

Das Kernproblem ist Schulz' Glaubwürdigkeit. "Ein Teil der Delegierten und ein Teil der Mitglieder nimmt ihm die Kehrtwende sehr übel. Da hat er sehr viel Vertrauen verloren", erklärt Politikprofessor Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserer Redaktion.

Und nach den Sondierungsgesprächen habe Schulz ähnliche Fehler gemacht. Er hat "das Ergebnis vorschnell als ausgezeichnet gepriesen, nur um danach im Leitantrag des Parteivorstandes deutlich zu machen, dass das Ergebnis doch nicht so hervorragend ist".

Zudem steht Schulz nun vor der Frage, ob er einen Posten in der Regierung annehmen will oder nicht. Das hat er bisher mehrfach ausgeschlossen. "Wenn er hier auch die Kehrtwende macht, verliert er den Rest seiner Glaubwürdigkeit. Dass er momentan dieser Frage ausweicht, zeigt, dass er mit dem Gedanken liebäugelt."

Damit befindet sich Schulz in einem Dilemma. Würde er auf einen Ministerposten verzichten, müsste er sich die Macht in der Partei teilen. In diesem Fall bekäme er eine sehr mächtige Fraktionsvorsitzende neben sich und einen Vizekanzler.

Was aber tun? Da sind selbst Experten ratlos. "Für Schulz gibt es keinen Königsweg", meint Niedermayer.

Ist Schulz' Führungsstil gescheitert?

Schulz hat viele Fehler gemacht, Kritiker sehen auch im Führungsstil des Würseleners selbst einen.

Schulz ist in vielem anders als seine Vorgänger. Er ist kein Haudrauf wie Sigmar Gabriel, kein Visionär wie Willy Brandt, kein Medien- und "Basta"-Politiker wie Gerhard Schröder.

Schulz wollte einen komplett neuen Führungsstil etablieren, einen ohne "Basta"-Entscheidungen. Und er wollte keine einsamen Entscheidungen treffen.

"Im Prinzip ist sein Ansatz nicht schlecht, aber er kann einen schnell in eine Situation bringen, in der man zu wenig führt. Das ist jetzt der Fall. Schulz' Autorität ist schwer angeschlagen", sagt Niedermayer.

"Schröder hat seine Person stark in den Vordergrund gestellt, als sichtbares Zeichen der Modernisierung seiner Partei", erklärt Josef Schmid, Politikprofessor von der Universität Tübingen im Gespräch mit unserer Redaktion.

"Ihm ist es gelungen, ein Signal der Stärke und der Geschlossenheit seiner Partei nach aussen zu tragen."

Schulz falle all dies deutlich schwerer, so wie er überhaupt Schwierigkeiten damit habe, sich öffentlich zu inszenieren. Er lasse sich viel Zeit damit, ein strategisches Konzept sei nicht erkennbar.

Das war auch bei seinem Ja für die GroKo zu erkennen. Seine Entscheidung wirkte halbherzig.

Eine Führungskraft aber müsse moderieren, leiten und lenken, erklärt Motivationstrainer Dirk Schmidt, der Führungskräfte coacht.

Gefühlslage der Deligierten treffen

Wie die Dinge momentan stehen, machte der SPD-Parteitag mehr als deutlich. Schulz hatte zwar eine sehr gute Rede gehalten, begeistert waren die Delegierten aber nicht.

Normalerweise, so Niedermayer, erhalte ein Parteivorsitzender immer Applaus mit stehenden Ovationen. Nicht so bei Schulz. "Das zeigt das Misstrauen gegen ihn." Dass es dennoch zu einem Ja für Koalitionsverhandlungen kam, geht nicht auf Schulz' Konto.

Es war Andrea Nahles, die die Zitterpartie für die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit ihrer emotionalen Rede entschied.

Gerade auf einem Parteitag müsse man emotional werden, um die Gefühlslage der Delegierten zu treffen, betont Niedermayer.

Das sieht Motivations-Coach Schmidt ähnlich: "Im Gegensatz zu seinem Vorgänger meidet Schulz direkte und klare Ansagen und scheint es jedem recht machen zu wollen. Dabei agiert er nach aussen emotionslos und kann nicht begeistern."

Schulz müsse Vision und Ziele klar benennen und andere leidenschaftlich davon überzeugen, gemeinsam für die Sache zu kämpfen, sagt Schmid.

Braucht die SPD eine "Basta"-Führung?

Gerade an Andrea Nahles offenbaren sich Schulz' Schwächen. So hat der Parteivorsitzende innenpolitisch viel weniger Erfahrung als die 47-Jährige, die schon vor ihrem Fraktionsvorsitz verschiedene Führungspositionen innehatte: als Generalsekretärin und Ministerin.

"Schulz fehlen das Feintuning und die Netzwerke", sagt Politikwissenschaftler Schmid. Bei Bedarf wichtige Kontakte nutzen zu können, sei entscheidend. "Führung hat viel mit Kommunikation zu tun." Oft sei es gar nicht nötig, den "starken Max" heraushängen zu lassen.

Niedermayer stimmt dem zu. Es habe sich schon im Wahlkampf gezeigt, dass er niemanden in der Zentrale habe, auf den er bauen könne.

Emotionale Reden, gute Netzwerke – das allein reiche nicht. Schulz brauche endlich auch einen Plan, wohin er die Partei führen und wie er sie erneuern wolle. "Den hat er offenbar nicht. Sprüche, wie 'ein Weiter so' dürfe es nicht geben, reichen nicht mehr."

Der SPD fehle eine klare Vision, sagt auch Kommunikationsexperte Schmidt. "Die Wähler wissen nicht mehr, wofür die SPD steht. Sie wirkt in sich zerstritten." Und: "Es muss einen geben, der diese Vision voranträgt, das Team darauf einschwört und motiviert. Führung funktioniert nur in den seltensten Fällen als Gemeinschaftsaufgabe."

Braucht die Partei also eine "Basta"-Führung? Ein SPD-Vorsitzender muss immer einen Balance-Akt hinlegen, meint Niedermayer.

"Die SPD braucht keine ‚Basta'-Führung eines Gerhard Schröders." Dafür sei sie viel zu programmatisch und ideologisch – und sehr diskussionsfreudig. Das bedeute jedoch nicht, alles einfach laufen zu lassen, nur um zu sehen, was am Ende dabei herauskommt. "Das ist der falsche Weg. Auch die SPD braucht eine Führung, die eine Orientierung aufzeigt."

Dinge müssten auch mal vorgegeben und durchgezogen werden, sagt Niedermayer. "Die Frage ist, ob Schulz noch führen kann. Der letzte Parteitag hat die schleichende Machtverschiebung beschleunigt. Die, der man jetzt die Führung eher zutraut, ist Frau Nahles."

Für Motivationstrainer Dirk Schmidt ist klar: "Schulz wird man die Führung der SPD nicht mehr zutrauen". Er habe es versäumt, diesen enormen Richtungswechsel – also jetzt doch Koalitionsgespräche zu führen – mit Argumenten zu begründen.

Doch in der SPD wird es vorerst keine Palastrevolution geben, ist sich Niedermayer sicher. "Das liegt vor allem daran, dass niemand die Kastanien aus dem Feuer holen will."

Das sind die Experten:
  • Oskar Niedermayer ist Politikwissenschaftler. Die Europaforschung und das politische System Deutschlands gehören zu seinen Forschungsschwerpunkten. Professor Niedermayer ist kürzlich emeritiert von Freien Universität Berlin.
  • Josef Schmid ist seit 1998 Professor für Politische Wirtschaftslehre und Vergleichende Politikfeldanalyse am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen. Zuvor hat er in Konstanz studiert und unter anderem in Osnabrück und Bochum gelehrt.
  • Dirk Schmidt ist Erfolgstrainer, Motivationscoach, Mentaltrainer und Buchautor. Er arbeitet mit Managern und Spitzensportlern zusammen.
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