Auf dem Parteitag der Sozialdemokraten war eine geschlossene SPD zu sehen. Und ein bejubelter Olaf Scholz, auf der Suche nach dem Markenkern der Partei. Ein Politikwissenschaftler erklärt, was die wichtigsten Signale waren, wie zufrieden Kanzler Scholz mit dem Parteitag sein kann und welcher Beschluss ein "zentraler Wendepunkt" war.
Umfragewerte im Keller und beteiligt an einer Regierung, die eine ihrer grössten inneren Krisen erlebt: Das waren keine einfachen Vorzeichen, mit denen die SPD am vergangenen Freitag in ihren dreitägigen Parteitag startete. Die aktuellen Umfragen sehen die Ampel-Partei derzeit bei 14 Prozent.
Von Pessimismus oder geducktem Haupt war dann bei den 600 Delegierten in Berlin aber nichts zu spüren. Im Gegenteil: Die Parteispitze aus Saskia Esken und Lars Klingbeil wurde für weitere zwei Jahre mit 82,6 und 85,6 Prozent bestätigt, besonders starkes Vertrauen sprach der Parteitag ihren Stellvertretern
Fünf Minuten stehender Applaus für Scholz
Das Signal also: Eine gestärkte Führung bei der SPD. Vor allem
Der wichtigste Satz fiel nach etwa einer halben Stunde, als es um die finanzpolitische Krise ging. Scholz sagte: "Eines ist für mich klar. Es wird in dieser Situation keinen Abbau des Sozialstaates geben." Das musste man nicht als ein Versprechen an die eigene Partei gegen Kürzungen im Sozialbereich verstehen, sondern auch als Ansage an die FDP, die genau das fordert.
Kritik von den Jusos: "Nicht der Paartherapeut von Robert und Christian"
Kritik am Kanzler kam einzig von den Jusos. In Form ihres Vorsitzenden Philipp Türmer warfen sie ihm mangelnde Führung und zu geringe Durchsetzung von sozialdemokratischen Inhalten gegen FDP und Grüne vor. "Lieber Olaf. Du bist der Chef der Regierung und nicht der Paartherapeut von Robert und Christian", rief Türmer.
Die zentrale Botschaft des Parteitags aber war die Schärfung des sozialen Profils der SPD – oder zumindest die Suche danach. "Die SPD hat versucht, auf dem Parteitag ihren "Markenkern" - die Sozialpolitik - in den Vordergrund zu rücken und ihr sozialpolitisches Profil zu stärken", sagt auch Experte Antonios Souris. Das sei vor allem programmatische Selbstvergewisserung.
Schärfung des sozialen Profils
So wurden beispielsweise Positionen zur Sozialpolitik, Migration, Aussenpolitik und Bildung konkretisiert. Im Haushaltsstreit plädierte der Parteitag für eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse im Jahr 2024 – begründet mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und den damit verbundenen Belastungen durch die Unterstützungsleistungen.
Ausserdem beschlossen die Delegierten Forderungen nach einer "einmaligen Krisenabgabe" auf hohe Vermögen und eine Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Mit eben solchen höheren Steuern auf grosse Einkommen und Vermögen will die SPD ihren "Aufbruch" in der Bildungspolitik finanzieren. Mit dem Mindestlohn und der stärkeren Besteuerung von Reichen habe die SPD "Evergreens" und kaum umstrittene Themen auf ihrem Parteitag diskutiert, meint Souris.
Signal an FDP und Grüne
Mittelfristig positioniert sich die SPD für eine Reform der Schuldenbremse. Aus Sicht von Souris herrscht darüber weitgehend Konsens in der Partei. "Die Frage ist nur, wie sie reformiert werden sollte", erinnert er. Die Jusos fordern die komplette Abschaffung.
"Auch wenn in den Reden verbal vor allem gegen Oppositionsführer Friedrich Merz geschossen wurde: Die sozialpolitischen Forderungen sind auch als Botschaft an die Ampelpartner und insbesondere die FDP und Finanzminister Lindner zu sehen, dass die SPD einerseits für ein Aussetzen der Schuldenbremse und andererseits im derzeitigen Haushaltsstreit gegen Sozialkürzungen ist", erklärt der Experte.
Ringen beim Thema Asyl
Etwas hitziger war die Debatte hingegen beim Thema Asyl und Migration. Nach heftigem Ringen setzte sich der Leitantrag der Parteispitze durch, in dem Menschlichkeit in der Asylpolitik bei gleichzeitigem "Ordnen und Steuern" gefordert wurde. Der Parteitag bekannte sich deutlich zu Abschiebungen von Menschen ohne Bleiberecht, beschloss aber auch Familienzusammenführungen zu erleichtern und die zivile Seenotrettung weiter zu unterstützen.
Scholz blieb diesmal aber etwas schwammiger. Zuletzt hatte er sich für seine Forderung nach "Abschiebungen im grossen Stil" viel Kritik eingeholt, diesmal gab es weniger deutliche Worte: Er sagte, dass man es mit "einem guten Management hinkriegen muss, damit niemand unter diesem (Asyl)-Regime einen Weg finden kann, für den dieser Weg nicht gedacht ist".
Keine Verschärfung der Migrationspolitik
Souris erinnert daran, dass SPD-Mitglieder und Delegierte Studien zufolge "linker" als Parteifunktionäre sind. "Das zeigt sich auch in der Migrationspolitik", beobachtet er. Es habe in der Partei einigen Unmut über die restriktivere Ausrichtung der Bundesregierung in der Migrationspolitik gegeben – nicht zuletzt auch durch die bilaterale Kooperation von Scholz mit der italienischen Regierungschefin Meloni.
Signale für eine weitere Verschärfung der Migrationspolitik – wie sie etwa Sahra Wagenknecht fordert - seien vom SPD-Parteitag aber ausdrücklich nicht ausgegangen. Experte Souris analysiert: "Aus politikwissenschaftlicher Sicht positioniert sich die SPD in der Sozial- und Wirtschaftspolitik eindeutig "links", während sie in der Gesellschaftspolitik weiterhin versucht, eine Brücke zwischen progressiven Positionen und der Regierungsverantwortung beziehungsweise -realität zu schlagen". In der Migrationspolitik scheine dies aus Parteisicht fürs Erste funktioniert zu haben.
Fehler in der Russlandpolitik
Ehrlich zu sich selbst war die Partei vor allem beim Thema Russland. Hier machten die Sozialdemokraten reinen Tisch und gestanden Fehler ein. So wurde beispielsweise das Festhalten an der Annahme, mit immer stärkeren Wirtschaftsbeziehungen zu einer Demokratisierung Russlands beizutragen, als falsch bezeichnet.
"Der Russland-freundliche Kurs der Partei wurde auf diesem Parteitag endgültig aufgegeben", meint Souris. Durch den fortwährenden Angriffskrieg Russlands in der Ukraine komme dies wenig überraschend; für die Partei markiere es dennoch einen zentralen Wendepunkt in ihrer aussenpolitischen Grundhaltung.
Signal der Geschlossenheit
Insgesamt sagt Souris: "Auffällig war die innerparteiliche Geschlossenheit - sowohl zwischen Delegierten und Parteiführung als auch zwischen Partei und Bundeskanzler. Die SPD versucht den Fehler der Vergangenheit, sich öffentlich zu zerstreiten, zu vermeiden."
Die SPD wisse, dass zerstrittene Parteien nie gut bei den Wählerinnen und Wählern ankommen, ausserdem hätten die Sozialdemokraten ohnehin mit schwachen Umfragewerten zu kämpfen.
"Ausserdem hat Olaf Scholz durch die innerparteiliche Geschlossenheit ein starkes Mandat für die Verhandlungen in der Ampel und im Bundestag über den Haushalt beziehungsweise die politischen Richtungsentscheidungen, die damit einhergehen", so der Experte. Die innerparteiliche Einigkeit der SPD sei damit auch als Zeichen an die Koalitionspartner und die Opposition zu verstehen.
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Über den Experten:
- Dr. Antonios Souris arbeitet an der Arbeitsstelle Politisches System der Bundesrepublik Deutschland an der Freien Universität Berlin.
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