Mit Emmanuel Macron ist ein starker EU-Befürworter zum französischen Präsidenten gewählt worden. Das soll nicht über die Differenzen zwischen Frankreich und Deutschland hinwegtäuschen, sagt Gilbert Casasus,Professor für Europastudien an der Universität Freiburg.

Eine Analyse
von Samuel Jaberg
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Samuel Jaberg sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfliessen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Ist die Wahl von Macron ein glücklicher Tag für die EU?

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Gilbert Casasus: Der Sieg Macrons ist eine gute Nachricht für Europa.

Die Wahl des Umweltschützers Alexander Van der Bellen zum österreichischen Bundespräsidenten im Dezember und die Niederlage des Rechtspopulisten Geert Wilders bei den niederländischen Parlamentswahlen im März haben bereits das für die EU katastrophale Jahr 2016 ein wenig vergessen lassen. Trotzdem war die französische Präsidentenwahl für die EU entscheidend.

Macron hat seinen Sieg am Sonntagabend mit der europäischen Hymne gefeiert. Das ist ein starkes Symbol.

Das Bild dieses jungen Präsidenten, der zu den Klängen von Beethovens Neunten Symphonie "Ode an die Freude" den Cour Napoléon im Louvre entlangschreitet, ist der stärkste Moment dieser Wahl. Man wird sich auch in zehn oder 20 Jahren noch daran erinnern.

Dass Macron auf das Thema EU gesetzt hat, war richtig. Er konnte eine neue Generation mobilisieren, die sich bewusst ist, wie wichtig der kulturelle und wirtschaftliche Austausch in Europa ist.

Im Laufe der Kampagne kamen auch wichtige Fragezeichen am Projekt von Marine Le Pen auf, die aus dem Euro-Raum austreten will. Nach dem Brexit haben viele Wähler realisiert, dass ein Austritt aus der EU sehr teuer werden könnte.

Kann Macron tatsächlich frischen Wind in die EU bringen?

Alles hängt von der Beziehung zu Deutschland ab. Nach dem ersten Applaus deutscher Politiker zur Wahl könnten sich Spannungen am Horizont abzeichnen.

In Deutschland stört man sich vor allem an Macrons Kritik an den übermässigen deutschen Exporten.

Die persönlichen Beziehungen zur deutschen Kanzlerin werden ebenfalls entscheidend sein. Nach dem Mitläufertum von Sarkozy und Hollande, die an der Seite Angela Merkels den starken Mann markieren wollten, wird Macron eine raffiniertere Position einnehmen müssen, wenn er im deutsch-französischen Paar Gewicht haben will. Er wird seine Positionen verteidigen und gleichzeitig ein Vertrauensklima schaffen müssen.

Macron predigt die Belebung der Eurozone durch Investitionen, Anti-Dumping-Massnahmen innerhalb der EU sowie eine Kontrolle ausländischer Investitionen auf dem Kontinent. Er ist also doch nicht so liberal wie angenommen.

Sie haben vollkommen recht. In den Augen eines Durchschnittsfranzosen geht Macron als Liberaler durch. In Wirklichkeit vertritt er die Vision eines protektionistischen Europas.

Seiner Meinung nach ist der wirtschaftliche Nationalismus auf Ebene der europäischen Staaten zum Scheitern verurteilt. Aber der neue französische Präsident ist sich sehr wohl bewusst, dass die grossen Wirtschaftsmächte der Welt, im Besonderen China und die USA, sehr protektionistisch sind.

Auf dieser Ebene will er handeln. Bei diesem Thema wird es notorische Differenzen innerhalb der EU geben, besonders zwischen Ländern Nordeuropas und Deutschland.

Welche Folgen hat die Wahl Macrons für die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU? Oder anders gefragt: Ist eine stärkere EU gut oder schlecht für die Schweiz?

Der Sieg Macrons ist eine gute Nachricht für jene Schweizer und Schweizerinnen die positive und konstruktive Beziehungen zur EU unterhalten möchten.

Hingegen ist es eine sehr schlechte Nachricht für Euroskeptiker und Anti-Europäer, wie beispielsweise die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (AUNS).

Die Schweiz ist das einzige Land in Europa, das eine Grenze mit den wichtigsten drei Ländern der EU teilt: Deutschland, Frankreich und Italien. Es ist daher äusserst wichtig für sie, gute Beziehungen zu ihren Nachbarn zu unterhalten.

Leider habe ich den Eindruck, dass diesem Umstand in der Schweiz noch nicht wirklich Rechnung getragen wird.

Übertragung aus dem Französischen: Sibilla Bondolfi

  © swissinfo.ch

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