Versuchte Provokation oder harmloser "Fitnesstest" für die Nato? Russland hat in den vergangenen Tagen am Rande des europäischen Luftraums so viele Militärmaschinen fliegen lassen wie lange nicht. Die Nato machte die Einsätze daraufhin öffentlich. Unklar sind die Hintergründe der Aktion: Wollte Putin die Nato nur testen - oder steckt doch mehr dahinter?
Insgesamt 26 russische Langstreckenbomber, Kampfjets und Tankflugzeuge registrierte das nordatlantische Verteidigungsbündnis am Dienstag und Mittwoch über Ost- und Nordsee sowie über dem Schwarzen Meer. Obwohl der Nato-Luftraum nicht verletzt worden sei, seien die unangekündigten Kampfflugzeuge abgefangen worden, teile die Nato mit.
Doch warum schickt Moskau überhaupt Kampfflugzeuge nach Europa? Der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg spricht von einer versuchten Provokation, betont jedoch: "In den Nato-Luftraum direkt ist ja keiner eingedrungen, nur sehr nah herangekommen." Man könne deshalb auch von einem Fitnesstest sprechen, bei dem es darum gehe, mit einer militärischen Fingerübung die Reaktionsfähigkeit der anderen zu testen, so Schellenberg weiter. "Ich bezweifle aber, dass es für die Russen überraschende Ergebnisse gab."
Auch Felix Hett, Referent im Referat Mittel- und Osteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung, bewertet die Situation vor allem als taktisches Manöver. "Russland hat den Anspruch, auf internationaler Bühne die Rolle einer Grossmacht zu spielen. Diesen Anspruch kann es derzeit wirtschaftlich nur bedingt unterfüttern". Immerhin liege das Pro-Kopf-Einkommen etwa auf dem Niveau Kroatiens. "Was bleibt, sind klassische militärische Machtdemonstrationen", so Hett.
War das Manöver eine Gefahr für die zivile Luftfahrt?
Eine Machtdemonstration, die nicht ganz ungefährlich scheint. Offenbar seien die Flüge der russischen Luftwaffe nicht angemeldet worden. Auch wären teilweise weder Flugpläne an die zivile Luftfahrtbehörden ausgegeben worden noch soll dauerhaft Funkkontakt gehalten worden sein, was eine Gefahr für den Flugverkehr darstelle, wie die Nato erklärte. So wird bei kritischen Manövern regelmässig der Luftraum gesperrt. "Aber Russland hat sicherlich nicht vorgehabt, sich im internationalem Luftraum mit Zivilflugzeugen zu messen oder diese gar zu gefährden", sagt Luftfahrtexperte Schellenberg.
Wenn die Transponder der russischen Maschinen tatsächlich ausgeschaltet waren, stellt das tatsächlich eine Gefahr für die zivile Luftfahrt dar. Zumal sich Angaben über Höhe, Entfernung und Geschwindigkeit ohne Radar nur schwer erfassen lassen. "Deswegen schickt man eigene Beobachter hinauf", erklärt Schellenberg und fügt hinzu: "Die deutsche Luftwaffe hat eine 15-Minuten-Bereitschaft, das heisst innerhalb dieser Zeit müssen die Jets abheben. Egal, an welchem Tag, zu welcher Uhrzeit."
Laut deutscher Flugsicherheit (DFS) war das russische Manöver über Nord- und Ostsee, dem Atlantik und dem Schwarzen Meer rechtlich aber "völlig legal". Die Bomber und Kampfjets hätten sich in internationalem Luftraum bewegt, sagte DFS-Sprecher Axel Raab am Donnerstag in einem Interview mit dpa-audio. Die Russen seien auch nicht verpflichtet, ihre Transponder einzuschalten oder einen Flugplan mitzuteilen. "Sie müssen sich auch nicht mit der zivilen Flugsicherung in Verbindung setzen", sagte Raab.
Eine gefährliche Begegnung zwischen einem russischen Militärjet und zivilen Flugzeugen ist nach Einschätzung Raabs zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. "Die Gefahr eines Zusammenstosses oder einer gefährlichen Annäherung ist sehr gering, aber man kann es nicht hundertprozentig ausschliessen."
Droht ein neuer Kalter Krieg über Europa?
Irritierend an Russlands Vorgehen ist ohnehin nicht das Manöver an sich, sondern die mangelhafte Informationspolitik. "Unter Freunden pflegt man sich anzukündigen", sagt Schellenberg. Doch auch angekündigte Militärmanöver werfen Fragen auf. Immerhin bleibt das tatsächliche Ziel militärischer Übungen oft im Dunkeln. Ganz ohne Absprache loszufliegen, so sieht es Schellenberg, bedeute, es gibt keine Gewähr, dass der andere wirklich nur eine Fingerübung plane.
Doch warum finden derartige Manöver überhaupt unangekündigt statt? "Die wohl treffendste Erklärung ist, dass man in Russland herausfinden möchte, wie schnell bei der Nato der Alarm ausgelöst wird. Anders gesagt: Wie lange dauert es, bis jemand mich entdeckt und ein Flugzeug in die Luft schickt", sagt Schellenberg.
Dass die Nato in Alarmbereitschaft war, verwundert derweil kaum. Radarstationen sollen vier Langstreckenbomber vom Typ Tupolew Tu-95 und vier Betankungsflugzeuge vom Typ Iljuschin Il-78 entdeckt haben. Tu-95-Maschinen können bei Bedarf mit Nuklearwaffen bestückt werden. Doch auch harmlose Luftobjekte werden, wenn sie sich dem Nato-Luftraum nähern, nicht bloss vom Boden aus beobachtet – die Entsendung von Kampfjets ist in diesem Fall Standard. Insofern war es ein durchaus üblicher Nato-Vorgang, die russischen Flugzeuge abzufangen und zu eskortieren.
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