Die grosse Koalition hat in den vergangenen vier Jahren deutlich mehr Rüstungsexporte genehmigt als die schwarz-gelbe Vorgängerregierung. Zwar hat die SPD in den Sondierungsgesprächen eine restriktivere Genehmigungspraxis durchgesetzt – doch Experten bezweifeln, dass sich viel ändern wird. Die Brisanz von Waffendeals zeigt sich derzeit in Syrien.

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Der türkische Vormarsch in der syrischen Region Afrin sorgt für Unruhe in der Nato und für neue Probleme im Syrienkrieg. Aus deutscher Sicht besonders pikant ist die Tatsache, dass die Türkei in Syrien mit deutschen Kampfpanzern vom Typ "Leopard 2 A4" kämpft.

2009 hatte die Türkei rund 350 Fahrzeuge vom Typ "Leopard 2" aus Deutschland gekauft, ganz legal.

Die geschäftsführende Bundesregierung ist für den Panzer-Deal von 2009 nicht verantwortlich, und doch bringt er sie in Bedrängnis, denn: Unter der Grossen Koalition aus SPD und CDU/CSU von 2014 bis 2017 hat Deutschland Rüstungsgüter im Wert von 25,1 Milliarden Euro exportiert – 21 Prozent mehr als während der vorangegangenen schwarz-gelben Koalition.

Die Lieferungen an Drittstaaten ausserhalb von EU und Nato stiegen sogar um 47 Prozent. Deutschland hat es 2016 auf Platz fünf der weltweit grössten Rüstungsexporteure geschafft.

Selbst Länder, die zu diesem Zeitpunkt bereits in Kriege verstrickt waren, erhielten noch 2017 erhebliche Mengen Rüstungsgüter. Deutsche Firmen lieferten nach Saudi-Arabien, Ägypten (Steigerung im Vergleich zu 2016: 77 Prozent auf jetzt 708 Millionen Euro) und in die Vereinigten Arabischen Emirate (25 Prozent Zuwachs auf 213 Millionen Euro).

Mit deutschem Gerät gegen Oppositionelle

Mathias John, Rüstungsexperte bei der deutschen Sektion von Amnesty International, kritisiert dies scharf: "Dass noch in den vergangenen Jahren Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien genehmigt wurden, ist ein Unding!"

Schon vor dem Engagement im Jemen sei klar gewesen, dass das saudische Königreich kein demokratisches Land sei. Verharmlosend spreche die Politik von "gepanzerten Fahrzeugen", doch in Wahrheit seien diese "genau das Werkzeug, um innenpolitisch gegen Oppositionelle vorzugehen, zum Beispiel um Demonstrationen zu unterdrücken".

Auch Marcel Dickow, Leiter der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, empört sich: "Das Land tritt nicht erst seit dem Jemen-Krieg die Menschenrechte mit Füssen, trotzdem wurden Waffensysteme geliefert, angeblich zur Grenzsicherung."

Dickow missfällt vor allem die mangelnde Transparenz bei der Erteilung von Exportgenehmigungen. Auskünfte zum Rüstungsexport, die die Bundesregierung dem Parlament regelmässig erteilen muss, beziehen sich lediglich auf abgeschlossene Projekte.

"Bei Grosswaffensystemen – zum Beispiel wenn Algerien eine Fregatte bekommt – liegen oftmals Jahre zwischen Genehmigung und Lieferung." Die Abgeordneten erfahren in solch einem Fall von dem Projekt erst, wenn die Lieferung bereits abgeschlossen ist: "Deshalb gibt es im Vorfeld keine Diskussion darüber – die Parlamentarier wissen ja gar nichts davon."

SPD war an entscheidender Stelle federführend

Ausserdem werde meist nicht transparent gemacht, warum Entscheidungen getroffen wurden. Saudi-Arabiens Verwicklung im Jemen etwa sei so offensichtlich, "dass es nicht leicht fällt, an eine sinnvolle Begründung für Waffenlieferungen zu glauben". Diskutiert werden aber könne die Begründung der Regierung nicht, weil sie nicht offengelegt werde.

Bei ihren Sondierungsverhandlungen haben sich Union und SPD auf eine restriktivere Genehmigungspraxis verständigt. Sie wollen Deutschland ausserdem ein sofortiges Rüstungsembargo gegenüber Beteiligten am Krieg in Jemen auferlegen.

Marcel Dickow bleibt jedoch skeptisch. "In den letzten vier Jahren", sagt er, "war die SPD federführend im Wirtschaftsministerium. Am Anstieg der Rüstungsexporte kann man ablesen, dass es keine restriktive Politik gegeben hat."

Waffen gelangen über dunkle Kanäle in falsche Hände

Und selbst die strengsten Regeln bergen noch ein Risiko: Am Ende landen Waffen oft in anderen Händen, als in denen, an die sie verkauft wurden. Wie zum Beispiel Muammar al-Gaddafis libyschen Garden an deutsche G-36-Sturmgewehre gelangten, ist noch immer unklar. "Seit dem Zusammenbruch Libyens tauchen sie in ganz Nordafrika auf", weiss Dickow.

Auch afghanische Taliban, irakische IS-Anhänger und kurdische Peschmerga benutzen, so Dickow, neben amerikanischer Ausrüstung oft auch deutsche Waffen. Ob erbeutet oder auf dunklen Kanälen gekauft, bleibt meist unklar.

Deutschlands Wirtschaft sei auf das Geschäft mit Waffen, Panzern und Munition angewiesen, heisst es von Verteidigern der Rüstungsexporte - ein Argument, das Dickow so nicht gelten lassen will.

Der Beitrag der Rüstungsindustrie zum Bruttosozialprodukt sei "verschwindend gering", sagt der Experte. Und auch der Arbeitsmarkt sei nicht auf Rüstung angewiesen. Zwar sprächen die Konzerne von 200.000 Beschäftigten, aber "andere gehen eher von 70.000 aus."

Viele Rüstungsfirmen hätten ausserdem "ein grosses ziviles Standbein", andere könnten leicht auf zivile Produkte umstellen.

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