Der automatische Informationsaustausch (AIA) über Steuerdaten zwischen Ländern gilt allgemein als effiziente Methode zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung. Aber was, wenn ein Land die Daten benutzt, um seine Bevölkerung politisch zu unterdrücken? Das Thema beschäftigt den Schweizer Gesetzgeber.
Diese Woche wird das Schweizer Parlament eine Debatte beginnen, ob die Abkommen über den Steuerdatenaustausch auf eine zweite Reihe von Ländern und Steueroasen ausgeweitet werden sollen.
Die Schweiz hat bereits 38 Abkommen geschlossen, darunter mit allen EU-Staaten. Aber das jüngste Bündel von 41 Abkommen, die vom Parlament ratifiziert werden müssen, enthält Staaten mit fragwürdigen demokratischen Referenzen, wie etwa China, Russland und Saudi-Arabien.
Daten von Bankkunden könnten missbraucht werden
Bürgerrechtsgruppen und Schweizer Banken versuchen von beiden Seiten, die politische Entscheidung zu beeinflussen. Von der einen Seite wird argumentiert, die Schweiz versuche über die Hintertür ihre Anti-Steuerhinterziehungs-Verpflichtungen auszuhebeln. Auf der anderen Seite wird gewarnt, dass Daten von Bankkunden missbraucht werden könnten.
Einige Politiker sind besorgt, dass die Schweiz mit dem Teilen von Daten "korrupte" Staaten mit Informationen füttert, die diese gegen ihre politischen Gegner verwenden würden.
Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) fordert, dass die Abkommen nur mit Ländern geschlossen werden, die einen Mindestwert auf dem Korruptionswahrnehmungs-Index von Transparency International erreicht haben. Die SVP warnt somit vor Ländern wie Argentinien, Indien, Brasilien, Russland, Saudi-Arabien, China, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Südafrika, Indonesien, Mexiko und Kolumbien.
Sowohl die Schweizerische Bankiervereinigung als auch ihr Pendant im Private Banking haben ebenfalls Alarm geschlagen. Der CEO der Bankiervereinigung, Claude-Alain Margelisch, will eine strenge Politik der Ausweitung des Informationsaustauschs und fordert Sicherheitsmechanismen.
"Es ist wichtig, dass diese Prüfung im praktischen Einzelfall sehr sorgfältig und nach klaren Kriterien vorgenommen und der Austausch von Informationen auch ausgesetzt wird, falls ein Missbrauch zu befürchten ist", sagte er an einer Medienkonferenz.
NGO wollen mehr Abkommen
Nichtregierungs-Organisationen wie Tax Justice Network (TJN) und Public Eye beharren darauf, dass die Schweiz alle Verträge umsetzt – und dann mit weiteren Ländern Abkommen schliesst.
Die Schweiz hat zunächst einmal den Standard für den automatischen Informationsaustausch der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) übernommen.
Die Schweizer Regierung hat die Abkommen ausgehandelt und empfiehlt sie dem Parlament zur Genehmigung. Jetzt von Verträgen zurückzutreten, würde laut den NGO das Signal senden, der Schweiz sei es nicht ernst mit der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und sie könne ihre Versprechen nicht halten.
Olivier Longchamp von Public Eye anerkennt, dass ernste Bedenken gegenüber der Regierung gewisser Länder bestehen, wie Russland beispielsweise. "Aber es wäre falsch, wenn die Schweiz sich im Alleingang gegen die Unterzeichnung von Abkommen entscheiden würde, weil andere Länder Schweizer Standards nicht erfüllen", sagt er.
Die korrekte Einhaltung der Verträge sollte vom Global Forum der OECD überwacht werden, argumentiert Longchamp. Das Global Forum untersucht bereits heute, ob in den Ländern die nötigen Rechtsgrundlagen für den Informationsaustausch nach dem internationalen Standard vorhanden sind.
Gleiche Ausgangsbedingungen?
Longchamp gibt auch zu bedenken, dass die Schweiz bis jetzt Entwicklungsländer vom Datenaustausch ausgeschlossen hat, die eigentlich am meisten auf Steuereinnahmen angewiesen wären.
"Wir können nicht gestützt auf wirtschaftliche Überlegungen zwei Klassen von Ländern haben", sagt er. "Der automatische Informationsaustausch nützt den ärmsten Ländern der Welt noch nichts."
Eine parlamentarische Kommission hat diesen Monat die Annahme der neuen AIA-Abkommen empfohlen – mit Ausnahme von Neuseeland, weil dessen Steuergesetze möglicherweise Schweizer Rentner unfair bestrafen, die in Neuseeland leben und ihre Schweizer Renten nicht angeben.
Aber die Kommission empfiehlt auch zwei Bedingungen vor Genehmigung der Abkommen. Erstens soll die Schweizer Regierung die eigene Einschätzung klären, ob die Länder genügend Daten- und Menschenrechtsschutz etabliert haben, bevor die Verträge 2019 in Kraft treten.
Zweitens sollten Abkommen nur mit Ländern geschlossen werden, die bereits ähnliche Vereinbarungen mit konkurrierenden Finanzzentren haben, beispielsweise Grossbritannien oder Deutschland.
Das zieht bei Tax Justice Network nicht. Die NGO sagt, die Schweiz liege bereits hinter anderen Ländern bezüglich automatischem Informationsaustausch. Wenn die Schweiz nun das jüngste Bündel von Verträgen nicht umsetze, würde das laut TJN-Sprecher Andres Knobel zeigen, dass die Schweiz kein Interesse an voller Transparenz oder der Lösung des Schwarzgeldproblems habe. © swissinfo.ch
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