Mit der Forderung nach der Einführung eines Familienwahlrechts haben junge CDU-Politiker eine alte Diskussion zurück auf die Tagesordnung gebracht. Die Wahl-Macht der Älteren könnte durch die Stimmen der Kinder beschnitten werden. Doch es gibt rechtliche und praktische Hürden.
Es ist eine dieser Forderungen, die auf den ersten Blick gut klingen, die Idee eines neuen Familienwahlrechts. "Ein Drittel der Wähler ist bald über 60. Da besteht die Gefahr, dass die Politik sich zu stark nach deren Interessen richtet", sagte Finanzstaatssekretär
Deshalb sei er ein überzeugter Anhänger eines Familienwahlrechts. "Wenn Familien mehr Stimmen haben, haben ihre Themen auch mehr Gewicht in der politischen Debatte", betont der Sozialexperte.
Ein Wahlrecht von Geburt an ist keine neue Idee
Was so einleuchtend klingt, ist keine neue Forderung. Die Idee eines Familienwahlrechts geistert bereits seit über zehn Jahren durch die politische Landschaft in Deutschland. Bereits 2003 beantragten Abgeordnete verschiedener Fraktionen, ein "Wahlrecht von Geburt an" einzuführen. Sie forderten ein Stimmrecht für Kinder, das bis zur Volljährigkeit von den Eltern ausgeübt werden sollte.
Und das Projekt war schon damals keine Idee von irgendwelchen Hinterbänklern. Zu den Unterzeichnern des Antrags zählten unter anderem der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sowie seine beiden Stellvertreter Hermann Otto Solms (FDP) und Antje Vollmer (Die Grünen). Auch die Argumentation für ein Familienwahlrecht war bereits dieselbe wie heute.
Generation 50Plus wächst und wächst
Deutschlands Bevölkerung wird im Durchschnitt immer älter, mit grossen Konsequenzen für die Zusammensetzung der wahlberechtigten Bevölkerung. Bei der Bundestagswahl 2013 stellte zum ersten Mal die sogenannte Generation 50Plus die Mehrheit der Wähler, also Menschen, die in naher Zukunft das Rentenalter erreichen oder es bereits erreicht haben. In den kommenden Jahren wird sich das Verhältnis weiter zu Ungunsten der Jüngeren verschieben. Dann werden bald deutlich mehr als 50 Prozent der Wähler zu den älteren Jahrgängen gehören.
Die Parteien können diesen Wandel schlecht ignorieren. Sie konkurrieren um Wählerstimmen. Keine Partei kann es sich leisten, auf die Stimmen der Älteren zu verzichten, die oft gut organisiert sind. Mit Portalen wie rentenpolitikwatch.de üben Interessenvertreter Druck auf die Politik aus. "Wer Rentner quält, wird nicht gewählt", ist der Slogan der nach eigenen Angeben sehr erfolgreichen Initiative "Seniorenaufstand", die schon einige Tausend aktive Mitstreiter zählen soll.
"Seniorenaufstand" will "Verhältnisse zum Tanzen bringen"
Auf ihrer Homepage wendet sich die Initiative in einer Erklärung gegen die "unerträgliche Rentenpolitik der letzten 20 Jahre". Und droht ganz offen den gewählten Entscheidungsträgern: "Sie werden nicht gewählt, wenn sie die Rentenpolitik nicht grundlegend ändern wollen", heisst es da. Der politischen Macht der Älteren ist sich die Gruppe voll bewusst. "Verhalten sich die Rentner_innen dieser Republik (über 20 Millionen) entsprechend der Erklärung, können die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden."
Junge Menschen dagegen denken häufig nicht gerne an die Altersversorgung. Zu weit entfernt scheint ihnen dieser Lebensabschnitt. Hinzu kommt, dass die Rentner von heute oft die eigenen Väter und Mütter sind. Wer wollte denen schon etwas abschlagen?
Es ist bequem, die Verantwortung auf später zu verschieben
Die Folgen dieser Ausgangslage für die Politik können dramatisch sein, wenn die Parteien ihr Handeln zu sehr auf die Bedürfnisse der Älteren ausrichten. Sie haben dabei meistens keine nennenswerten Widersprüche der jüngeren Wähler zu befürchten, die ohnehin bald in der Minderzahl sind.
Mit der Mütterrente und dem abschlagsfreien Vorruhestand ab 63 haben Union und SPD gleich zwei Projekte auf den Weg gebracht, die bei der Generation 50Plus gut ankommen - und die jüngere Generation viel Geld kosten werden. Nur: Wenn die Jungen von heute diese Projekte über direkte Beiträge oder Steuern bezahlen müssen, sind die Politiker von heute selbst längst in Rente. Es ist einfach sehr bequem, die Verantwortung auf ein späteres Jahrzehnt zu schieben.
"Die Rentenpolitik der grossen Koalition zeigt lehrbuchhaft, welche fatalen Folgen die Gerontokratie (=Herrschaft der Älteren) hat", sagt der Finanzwissenschaftler Thomas Straubhaar in der "Welt". Immer stärker werde von Jung zu Alt umverteilt. Die ersten Folgen sind schon heute zu spüren. "Die Entwicklung der Sozialleistungsquote ist problematisch", warnt der haushaltspolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Eckhardt Rehberg in der Online-Ausgabe der "Deutschen Wirtschafts Nachrichten" (DWN).
Allein der Bundes-Zuschuss zur Rentenversicherung, das Arbeitslosengeld II und der Zuschuss zum Gesundheitsfonds machen laut DWN bereits heute 40 Prozent der jährlichen Gesamtausgaben des Bundes aus. Das Geld, das unter anderem in die Rente fliesst, steht dann nicht mehr für andere Leistungen zur Verfügung.
Familienwahlrecht könnte Eltern als Wähler attraktiver machen
Das Familienwahlrecht könnte aus der Perspektive seiner Befürworter die Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse ändern. Wenn Eltern künftig das Stimmrecht ihrer minderjährigen Kinder ausüben würden, hätten sie eine deutlich höhere Stimmengewalt als die rüstigen Alten aus dem Haus gegenüber. Oder das kinderlose Paar von nebenan.
Plötzlich wären die jungen Eltern für die Parteien wieder eine begehrte Zielgruppe, für die es sich mehr lohnt, Politik zu machen. Und die Idee hat Anhänger in allen Parteien.
Sie finde die Einführung eines Familienwahlrechts gut, hat die SPD-Familienministerin Manuela Schwesig bereits 2014 anlässlich des 25. Jubiläums der Uno-Kinderrechtskonvention erklärt. "Dann bekäme ein Elternteil pro Kind eine zusätzliche Stimme", sagte Schwesig damals. Kinder bräuchten schliesslich mehr Einfluss auf die Politik. Auch nach Ansicht von Junge-Union-Chef Paul Ziemak fokussierten sich die Parteien immer stärker auf die Wählergruppe der Rentner. "Es geht nicht, dass heute Versprechungen im Rentensystem gemacht werden, die die Gestaltungsmöglichkeiten von morgen nehmen", betont Ziemak mit Blick auf das Thema in der "Welt".
Verstösst ein Familienwahlrecht gegen das Grundgesetz?
Alleine: Es gibt gewichtige Argumente, die gegen ein Familienwahlrecht sprechen, allen voran das deutsche Grundgesetz. Denn das schreibt ein Mindestwahlalter von 18 Jahren vor und - noch wichtiger - eine geheime und freie Wahl. Wenn Eltern in der Wahlkabine Kreuzchen für ihre Kinder verteilten, wäre dieser Grundsatz schon deshalb nicht mehr erfüllt, weil sich die Elternteile absprechen müssten.
Was ist, wenn sie sich nicht einigen könnten - und wie frei ist eine Wahl, in der andere für die minderjährigen Wahlberechtigten abstimmen? Hinzu käme die Verletzung des in der Verfassung garantierten Gleichheitsgrundsatzes, wenn die Stimme des Rentners plötzlich weniger Wert wäre als die der jungen Mutter zweier Kinder, die dreifach abstimmen könnte. Vor einer Reform müsste das Grundgesetz geändert werden. Ob eine solche Änderung überhaupt möglich wäre, darüber sind sich Rechtsexperten uneins.
Jenseits der rechtlichen Hürden spricht auch die derzeitige Macht der Interessenvertretungen der Älteren gegen eine schnelle Einführung. Auf dem Portal seniorenaufstand.de kritisieren sie schon heute den "Unsinn von der Ausbeutung der Jugend und der Unfinanzierbarkeit". Auf rentenpolitikwatch.de spielen die Verantwortlichen ihre Macht an der Wahlurne aus. "Wir wollen eine Wahlhilfe geben", heisst es da. Schwer zu glauben, dass von dieser Wahlhilfe Parteien profitieren, die ernsthaft mehr Macht für die Jüngeren fordern.
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