• Streiks und Armut überschatten das Weihnachtsfest in Grossbritannien.
  • Die Tafeln vermelden neue Rekordzahlen, auch wegen der schlechten Löhne.
  • Die wiederum sorgen für Streiks, die das Land vor Weihnachten lahmlegen.

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In einem zunehmend erbitterten Kampf um bessere Löhne steht Grossbritannien über die Feiertage erneut eine massive Streikwelle bevor: Beschäftigte bei der Bahn, bei der Post und beim Grenzschutz wollen während der Weihnachtszeit ihre Arbeit niederlegen.

Angesichts der massiven Kaufkraftverluste in den vergangenen Monaten hatten bereits Hafenarbeiter, Flughafenangestellte und Arbeiter der Müllabfuhr gestreikt. Am Dienstag traten zudem zehntausende britische Pflegekräfte zum zweiten Mal innerhalb einer Woche in einen beispiellosen Streik. Weitere Arbeitsniederlegungen sind fürs Jahresende geplant.

Erster Streik der Pflegegewerkschaft in 106 Jahren

Der Grund für den ersten Streik in der 106-jährigen Geschichte der Pflegegewerkschaft RCN ist ein Absacken der Reallöhne. Schätzungen zufolge ist das reale Lohnniveau von Krankenschwestern und Krankenpflegern seit 2010 um 20 Prozent gesunken, was vor allem auf den Anstieg der Lebenshaltungskosten zurückzuführen ist. Derzeit liegt die Inflationsrate in Grossbritannien bei elf Prozent.

Die RCN will den Druck auf die Regierung kurz vor Weihnachten weiter erhöhen. Sie fordert inflationsbedingte Lohnerhöhungen und verbesserte Arbeitsbedingungen. Bis zu 100.000 Pflegerinnen und Pfleger in England, Wales und Nordirland beteiligten sich an dem erneuten Arbeitsausstand am Dienstag.

Krankenpflegerin Lucy Savage von der Aintree-Universitätsklinik in Liverpool im Nordwesten Englands sagte: "Wir brauchen mehr Geld, wir brauchen mehr Personal, wir brauchen die Sicherheit der Patienten." Das Personal sei "überarbeitet und unterbezahlt", den nationalen Gesundheitsdienst NHS bezeichnete sie als "einzigen Scherbenhaufen".

Soldaten müssen im Rettungsdienst einspringen

Im Gesundheitssektor streikt neben den Pflegern auch der Rettungsdienst. Insgesamt legten in England und Wales am Mittwoch etwa 25.000 Mitarbeiter von Rettungswagen die Arbeit nieder. Auch sie fordern höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Mehrere Hundert Soldatinnen und Soldaten sprangen ein, allerdings nur für Krankentransporte und nicht für Notfälle.

Regierung und NHS riefen die Bevölkerung auf, an Weihnachten Vorsicht walten zu lassen, um sich nicht zu verletzen. Die Bevölkerung solle auf nicht notwendige Autofahrten verzichten und sich bei Weihnachtsfeiern möglichst nicht zu sehr zu betrinken: "Es ist die Zeit der Partys, Vorweihnachtszeit, habt Spass! Aber werdet nicht so betrunken, dass ihr am Ende einen unnötigen Besuch in der Notaufnahme eines Krankenhauses machen müsst", sagte NHS-Direktor Stephen Powis.

Gesundheitsminister Steve Barclay machte den Gewerkschaften schwere Vorwürfe. Die Gewerkschaften hätten sich bewusst dafür entschieden, Patienten Schaden zuzufügen, schrieb Barclay am Mittwoch in einem Gastbeitrag für die Zeitung "Telegraph". Die Gewerkschaften kritisierten die Äusserungen des konservativen Politikers als "irreführend" und als "im schlimmsten Fall vorsätzliche Panikmache".

Arbeitende Menschen strömen zur Tafel

Die sinkenden Reallöhne in vielen Bereichen machen sich auch deutlich bei den Tafeln bemerkbar. „Das ist die geschäftigste Zeit, die unabhängige Tafeln in Grossbritannien jemals erlebt haben, und vielen bereitet die wachsende Nachfrage Probleme“, sagte Sabine Goodwin, die Chefin der Dachorganisation Independent Food Aid Network, der Deutschen Presse-Agentur.

"Es ist deutlich wie nie, dass gemeinnützige Hilfe als Antwort auf die eskalierende Armut weder nachhaltig noch akzeptabel ist", so Goodwin. Vielmehr bräuchten die Menschen Unterstützungszahlungen sowie Löhne, mit denen sie Lebensmittel für sich und ihre Familien bezahlen könnten.

Dem Trussell Trust zufolge, zu dem 1.300 Tafeln in Grossbritannien gehören, sind bereits von April bis September in diesem Jahr mehr als 1,3 Millionen Notfall-Lebensmittelpakete ausgehändigt worden; ein Drittel mehr als in der gleichen Periode im Vorjahr und anderthalbmal so viel wie vor der Pandemie.

Wirtschaftskrise ohne Ende in Sicht

Die sozialen Probleme werden von der Wirtschaftskrise in Grossbritannien immer mehr verschärft. Die Inflation lag dort zuletzt bei rund elf Prozent, auf Lebensmittel beschränkt sogar noch höher. Die britische Wirtschaft steckt in einer Rezession und hat sich im Vergleich zu anderen Ländern kaum von dem Pandemie-Tief erholt. Der Brexit hat den Handel mit dem grössten Markt vor der Haustür, der Europäischen Union, drastisch einbrechen lassen.

Im Sommer schrumpfte die Wirtschaft Grossbritanniens um 0,3 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Nach Berechnungen des Office for National Statistics liegt die gesamte Wirtschaftsleistung aktuell 0,8 Prozent niedriger als vor Beginn der Corona-Pandemie.

Auch die Prognosen für das kommende Jahr sind düster. Experten von OECD und dem Verband der britischen Industrie gehen von einem weiteren Schrumpfen der britischen Wirtschaft für das Jahr 2023 aus.

Verwendete Quellen:

  • dpa
  • afp
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