Ein CSU-Chef, der die eigene Kanzlerin bei der kommenden Wahl nicht unbedingt unterstützen will und ein Vize-Kanzler, der damit droht, den Haushalt nicht zu verabschieden: Das öffentlich ausgetragene Zerwürfnis in der Koalition ist gross. Halten wird sie mit aller Wahrscheinlichkeit trotzdem. Aber etwas anderes könnte Merkel durchaus ernsthaft gefährlich werden.

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Manchmal ist keine Antwort auch eine Antwort. Da wird Horst Seehofer im aktuellen "Spiegel" gefragt, ob die CSU Angela Merkel als Kanzlerkandidatin unterstützen will, wenn sie bei ihrem Kurs in der Flüchtlingsfrage bleibt. "Nächste Frage", antwortet der CSU-Chef.

(K)eine Alternative zu Angela Merkel?

Ob es eine Alternative zu ihr gebe, fragen die Spiegel-Reporter auch noch. "Ich sehe keine", sagt Seehofer. Keine Solidaritätsadresse, keine Unterstützung. Die Antwort könnte auch heissen, das lässt der CSU-Chef unmissverständlich durchblicken: "Ich sehe leider keine".


Einen Tag nach dem Erscheinen des "Spiegel"-Gesprächs sitzt Angela Merkel in der Talkshow von Anne Will. Um Horst Seehofer geht es dabei nur am Rande. Der sei eben nicht ganz so überzeugt davon, dass es letztlich zu einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise kommen werde, erklärt die Kanzlerin lächelnd.

Wesentlich weniger mild geht sie mit SPD-Chef Sigmar Gabriel ins Gericht. Dessen Forderung nach einem "neuen Solidarprojekt" für Deutsche lehnt sie nicht nur ab.

Die CDU-Kanzlerin erteilt gleichzeitig ihrem Vize-Kanzler und der SPD den mütterlichen Ratschlag, die gemeinsamen Erfolge nicht zu zerreden: "Ich finde, die SPD und der Vorsitzende Herr Gabriel machen sich damit klein".

Die Koalition habe bereits vieles für Kinder, Eltern, Rentner und Kranke getan, findet die Kanzlerin: Krankenhausreform, Kindergelderhöhung, Rente mit 63 und Mütterrente - alles Projekte, die man gemeinsam mit der SPD gut umgesetzt habe.

Gabriel steht da wie ein kleiner Schuljunge

Gabriel steht nach Merkels öffentlicher Kritik da, wie ein kleiner Schuljunge, den die Lehrerin liebevoll zur Ordnung rufen muss. Damit er keine weiteren Konflikte schürt, wie zum Beispiel den schwelenden Streit um die Verabschiedung des Bundeshaushalte.

Bereits am Wochenende hatte der Vizekanzler damit gedroht, den Bundeshaushalt abzulehnen, wenn darin kein spezielles Integrationspaket festgeschrieben sei. Gabriel forderte Mehrausgaben, diesmal für die Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Die CDU zeigte sich überrascht und lehnte neue Massnahmenpakete rundweg ab, weil zum einen bereits mit der derzeitigen Planung alles geleistet werde können, was geleistet werden müsse. Zum anderen sei die entsprechende Haushaltsplanung bereit am 17. Februar besprochen worden.

"Da dürfte es eigentlich gar keinen Widerspruch geben", sagte der Sprecher von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Wieder wurde der Vize-Kanzler in aller Öffentlichkeit vorgeführt, eine Reaktion des impulsiven SPD-Chefs wird wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen.

Ein CSU-Chef, der die eigene Kanzlerin bei der kommenden Wahl nicht unbedingt unterstützen will und ein Vize-Kanzler, der damit droht, den Haushalt nicht zu verabschieden. Steht die Koalition jetzt kurz vor dem Zerbrechen? Endet die Ära Merkel womöglich mit Neuwahlen?

Verständnis von Horst Seehofer


Eher nein. Denn bei allem öffentlich inszeniertem Zerwürfnis darf nicht übersehen werden, dass die Akteure bisher immer wieder zurückrudern, das Ganze eher wie eine Art inszenierter Familienkrach wirkt, denn wie ein echtes Endspiel.

Da ist zum einen Horst Seehofer, der Anfang der Woche Verständnis dafür äussert, dass Angela Merkel bei Anne Will unnachgiebig ihre Politik verteidigt hat.

Er könne verstehen, wenn Merkel den anstehenden EU-Gipfel mit der Türkei für weitere Bewertungen abwarten wolle, sagte der CDU-Chef in München - und gab sich demonstrativ gelassen. "Ich habe nicht erwartet, dass sie durch einen Fernsehauftritt neue Positionen verkündet".

Und auch aus der SPD kommt jenseits ihres rotierenden Vorsitzenden demonstrative Unterstützung für die Kanzlerin. "Was die Frage der europäischen Integrationsnotwendigkeit angeht, sind wir an der Seite von Frau Merkel", sagte SPD-Vize Ralf Stegner im ZDF-"Morgenmagazin". Geschlossene Grenzen führten zu mehr Toten unter den Migranten.

In Äusserungen wie diesen zeigt sich, dass die Frontlinien im Streit um den richtigen Umgang mit der Flüchtlingskrise anders als bei grossen Konflikten früherer Regierungen nicht entlang der Parteigrenzen verlaufen.

Merkels Kurs findet viel Unterstützung in der CDU/CSU und der SPD - und auch die ablehnenden Stimmen finden sich in allen drei Parteien.

Gleichzeitig hat die Grosse Koalition eine so riesige Mehrheit im Bundestag, dass sie sich ein begrenztes Zerwürfnis an den Rändern durchaus erlauben kann, solange die Mehrheit hinter der Kanzlerin steht. Und das tut sie, allen öffentlichen Inszenierungen zum Trotz.

“Merkel kann nicht verlieren”

Eine schwere Niederlage der CDU bei den kommenden Landtagswahlen könnte allerdings der Kanzlerin tatsächlich gefährlich werden - weil dadurch die Unterstützung in ihrer eigenen Partei sehr stark nachlassen könnte. Doch dazu muss es trotz Merkels Standhaftigkeit in der Flüchtlingspolitik nicht kommen.

Nach Ansicht des Berliner Politologen Gero Neugebauer könnte die CDU im Gegenteil ausgerechnet von den Zuwächsen der AfD profitieren, weil durch das Erstarken der Rechten rot-grüne oder grün-rote Mehrheiten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg nicht zustande kommen könnten. An der CDU als Regierungspartner würde so kein Weg vorbeiführen, sagte Neugebauer der Deutschen Presse-Agentur.


Sollte die CDU in Rheinland-Pfalz stärkste Partei werden und Rot-Grün die Mehrheit verlieren, könnte die Spitzenkandidatin Julia Klöckner sogar an der Spitze einer "schwarz-roten" Koalition Regierungschefin werden.

"Merkel kann nicht verlieren, und sie kann mit Glück sogar gewinnen, selbst wenn die Union Stimmen verliert", betont Neugebauer.

Ein Zerbrechen der Koalition erscheint unter diesem Vorzeichen höchst unwahrscheinlich.

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