Das zähe Ringen um Jamaika setzt nicht nur hinter verschlossenen Türen die Verhandlungsführer unter Druck. Auch in der Öffentlichkeit wird gestritten, diskutiert, dementiert. Wieso diese medial zelebrierte Aufmerksamkeit? Medien-Experte Jo Groebel erklärt, was dahinter steckt.
Noch sind die Sondierungsgespräche zwischen Union, FDP und den Grünen nicht abgeschlossen. Strittige Themen wie der Familiennachzug von Flüchtlingen und der Kohleausstieg sind in voller Diskussion. Bei anderen Punkten, die vor der Wahl als schwierig galten, hat man sich indes geeinigt.
Nicht ohne die Kernpunkte und Kompromissangebote stets medial zu begleiten: In Fernsehsendungen, in Zeitungsinterviews und den sozialen Medien melden sich Spitzenpolitiker aller drei Parteien zu Wort. Kritische Thema werden kommentiert, harte Positionen zementiert, rote Linien gezogen.
Wieso vermeintlich geheime Informationen aus Berlin veröffentlicht werden und jede Menge Zoff heraufbeschworen wird.
Lieber Herr Groebel, neben dem Gebäude der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin gibt es einen weiteren Schauplatz für die Sondierungsgespräche: die Medien. Interne Informationen werden geleakt, Spitzenpolitiker der möglichen Jamaika-Koalition attackieren sich verbal. Was soll diese medial zelebrierte Aufmerksamkeit?
Jo Groebel: Das hat zunächst einmal verhandlungstaktische Gründe. Die Öffentlichkeit ist nicht gerade davon begeistert, dass die Sondierungen so lange dauern. Indem die Parteien gezielt Leaks setzen, signalisieren sie der Öffentlichkeit, dass sie am Ball bleiben. Und sie können zeigen, dass sie weiter an ihren Standpunkten festhalten – auch nach innen gerichtet ist das wichtig.
Manchmal ist es auch so, dass der ein oder andere Spitzenpolitiker im zähen Ringen um Jamaika ganz einfach mal die Nerven verliert. Er positioniert sich quasi aus dieser Emotionalität heraus. Menschlich ist das nachvollziehbar und verständlich.
Mediale Aufmerksamkeit kann zudem einem Kalkül geschuldet sein: Wer sich als besonders standpunktfest zeigt, empfiehlt sich für mögliche Ministerämter. In der idealsten aller Welten ist das eine wunderbare Vorstellung: Alle, die am Verhandlungstisch sitzen, machen das nur aus idealistischen Gründen. Das ist natürlich weltfremd.
Einige der Spitzenpolitiker attackieren andere sogar persönlich. Sind diese Angriffe denn nötig?
Manchmal sind sich bestimmte Politiker einfach nicht grün. Persönliche Angriffe können aber durchaus auch gut durchdacht sein, als eine Mischung aus Ressentiments und Taktik. Gerade die Anhänger oder Zweifler einer Partei haben eventuell noch viel grössere Gegnerbilder als der Politiker. Und die werden durch persönliche Angriffe gestärkt.
Nehmen wir zum Beispiel
Wer sind medial betrachtet die Chefstrategen der Parteien?
Bei der FDP tut sich neben Christian Lindner die Generalsekretärin Nicola Beer hervor. Wenngleich sie nicht unbedingt Leaks platziert.
Bei der CSU ist Alexander Dobrindt zu nennen. Er hat hier mittlerweile deutlich mehr an Profil gewonnen. Dobrindt ist nicht mehr der Hofgänger von Horst Seehofer.
Bei der CDU dagegen zeigt sich, dass sich
Er ist immer sichtbar, hält sich in diesen Verhandlungen mit öffentlichen Äusserungen eher zurück. Anders, als man es sonst von ihm gewohnt ist. Ich denke, dass er zumindest aus machttaktischen Gründen nicht derjenige ist, der den Mund am meisten aufmacht.
Bei den Grünen sind Claudia Roth, Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt zu nennen. Sie äussern sich sehr ausgewogen. Das passt auch zu den Grünen, die viel Wert auf Parität legen und damit auf eine grosse Ausgeglichenheit in der Führung. Das spiegelt sich auf Verhandlungsebene wider. Aber: Wir wissen natürlich nicht, wie es hinter den Kulissen wirklich aussieht.
Halten sie es für einen Fehler, dass sich die Kanzlerin öffentlich nicht äussert? Ist das taktisch klug?
Angela Merkel steht vor der Herausforderung, dass sie von vielen als wenig entscheidungsfreudig angesehen wird. Sie gilt auch nicht als jemand, der die grosse Perspektive für die Zukunft hat. Viele haben sicher gehofft, dass man den Weg nach Jamaika nicht nur als mühsam, zähneknirschend in Kauf genommenen Kompromiss sieht, sondern als eine Möglichkeit, Perspektiven für die Zukunft des Landes zu entwickeln – gerade im Zusammenführen ganz unterschiedlicher Standpunkte.
Das kann ja auch ein riesen Reiz, eine grosse Chance sein. Man hätte da deutlichere Signale, deutlichere Worte von ihr erwarten können. Angela Merkel aber setzt das Bild fort, das jeder von ihr hat: abwarten und mal schauen, was passiert. Das wird sicher erst einmal ihre Macht sichern. Ob das aber das zukunftsweisende Bild ist, will ich nicht unbedingt nur positiv kommentieren.
Welche Partei taktiert medial am stärksten?
Das lässt sich so nicht sagen. Ich denke, dass die Parteien spezielle Stile haben – und auch die Verhandler selbst. Einerseits geht es darum, einen Kompromiss zu finden. Andererseits geht es darum, nicht alles so in die Länge zu ziehen, damit die eigenen Anhänger nicht weglaufen. Insofern kann man die jeweiligen Taktiken abschliessend nicht als besser oder schlechter bewerten.
Anders ausgedrückt: Die Grünen scheinen kompromissbereiter zu sein. Bei der CSU wird der Eindruck erweckt, dass sich die Partei extrem positioniert. Sie versucht ganz klar eine Position der Stärke einzunehmen. Das passt nicht nur zum Image der Partei sondern auch zu den erhofften künftigen Positionen wie Ministerämter aber auch der Partei selbst. Bei der CSU verwundert das nicht. Im nächsten Jahr steht in Bayern die Landtagswahl an. Und im Moment ist innerparteilich gerade viel los.
Inwiefern können diese taktisch-medialen Spielchen Jamaika schaden?
Sie werden einer Einigung nicht schaden, weil wir es hier mit Profis zu tun haben. Sie kennen das Spiel der Politik sehr gut – auch bei allen Eitelkeiten und Emotionen, die da eventuell mit reinspielen. Sie wissen nur zu gut, dass am Ende ein Resultat stehen muss. Einerseits muss das dem notwendigen Kompromiss dienen und bestenfalls eine gute Perspektive für das Land darstellen. Das bedeutet nicht, die grundlegendsten Standpunkte aufzugeben. Wir sehen bei allen aber auch eine Kompromissbereitschaft.
Die ewige Kompromisssuche kommt in den Umfragen nicht besonders gut an. Inwiefern ist das für die Parteien ein Problem?
Es ist nachvollziehbar, dass die Wähler irritiert sind und es schrecklich finden, dass die Gespräche so lange dauern. Aber man muss dagegenhalten: Wenn am Ende ein Vertrag steht, mit dem das Land und die Parteien leben können, dann sind das keine bleibenden Schäden.
Es ist besser, einen Monat länger zu verhandeln und eine tragfähige Lösung zu finden als auf die Schnelle etwas zu machen, bei dem man hinterher den Eindruck hat, da wurde gemurkst.
Als Bespiel für Letzteres haben wir noch gut in Erinnerung, wie 2009 die Verhandlungen zwischen FDP und Union ausgegangen sind. Da wurden zu schnell Entscheidungen getroffen, die der FDP geschadet haben. Für die Liberalen war das verheerend: Sie flogen 2013 aus dem Bundestag.
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