Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele sieht sich seit Jahrzehnten als Vorkämpfer für Freiheits- und Bürgerrechte. Im Interview erklärt er ausführlich, warum Edward Snowden seiner Meinung nach kein Verbrecher, sondern ein Aufklärer ist. Und warum Deutschland dem Whistleblower endlich Asyl gewähren sollte.
Herr Ströbele, ist
Hans-Christian Ströbele: Natürlich nicht. Er ist ein Aufklärer, wie Daniel Elsberg, der in der Pentagon-Affäre die Lügen der US-Regierung bei der Verschärfung des Vietnamkrieges veröffentlichte, oder wie der Finanzbeamte Förster, der den ersten Skandal der CDU wegen illegaler Spendenannahme aus der "Pflege der politischen Landschaft" durch deutsche Grossunternehmen öffentlich gemacht hatte. Snowden hat sich um den Schutz unser aller Recht auf Datenschutz und Achtung der Privatsphäre verdient gemacht.
Herr Snowden hat in der "lupenreinen Demokratie" Russland Asyl beantragt und bekommen, nachdem mehrere EU-Staaten seinen Antrag abgelehnt hat. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?
Ströbele: Snowden hat in diesem Asylantrag offensichtlich seine einzige Chance gesehen, einer lebenslangen Freiheitsstrafe in Isolationshaft in den USA zu entkommen. Es ist beschämend für alle Staaten, die sich ihrer Demokratie und ihres Rechtsstaates rühmen, dass diese nicht bereit waren, ihn zu schützen und aufzunehmen. Gerade auch Deutschland hat allen Grund, ihm zu helfen, ihn aufzunehmen und Zeugenschutz zu gewähren, denn er hat der deutschen Bevölkerung wichtige Dienste geleistet, indem er Informationen über das Ausspähen ihrer Daten geliefert hat. Er hat damit die Möglichkeit eröffnet, dass wir uns wehren und etwas dagegen unternehmen.
Müssen sich Geheimdienste gegen den Verrat Ihrer Informationskanäle schützen?
Ströbele: Grundsätzlich passen Geheimdienste nicht in eine offene Demokratie. Aber solange sie existieren, haben sie dafür zu sorgen, dass ihre Hinweisgeber und Informanten nicht an Leib und Leben bedroht werden. Es wird aber darüber hinaus viel zu viel von den Nachrichtendiensten geheim gehalten, wofür es keinen einleuchtenden Grund gibt. Snowden hat im Übrigen sichergestellt, dass Personen und Informationskanäle durch seine Aufklärung nicht bedroht werden. Ein genereller Schutz der Informationskanäle darf nicht sein, wenn Verfassungs- und Menschenrechte von Millionen von Menschen eklatant verletzt werden.
Was dürfen Geheimdienste nach Ihrer Auffassung überhaupt zur Gefahren-Abwehr unternehmen?
Ströbele: Zur Abwehr konkreter Gefahren für Menschen ist in Deutschland die Polizei zuständig. Zur Beobachtung der generellen Sicherheitslage braucht es grundsätzlich auch keinen Geheimdienst, zumal dieser ohnehin ganz überwiegend allgemein zugängliche Informationen zusammenträgt. Lediglich für einen sehr kleinen Restbereich der Sicherheitsvorkehrungen kann verdeckte Informationsbeschaffung gerechtfertigt sein. Diese ist dann aber auch nur gesetzlich eingeschränkt und parlamentarisch kontrolliert zulässig.
Wird das Recht auf Sicherheit zurzeit im Verhältnis zum Recht auf Privatsphäre zu stark bewertet? Müssen im Zweifel Terror-Anschläge hingenommen werden?
Ströbele: Ein Grundrecht auf Sicherheit findet sich im Grundgesetz nicht. Es ist Aufgabe des Staates, die Bürger vor Angriffen auf Gesundheit und Leben, aber auch ihre Freiheitsrechte und Privatsphäre wirksam zu schützen. Selbstverständlich dürfen Terroranschläge nicht hingenommen werden. Polizei und andere staatliche Stellen müssen Anschläge verhindern. Aber das Ausspähen grosser Teile der Bevölkerung, das hundertmillionenfache Speichern und Auswerten ihrer Daten gehört nicht dazu. Es ist völlig unverhältnismässig. Die Eignung und Notwendigkeit für die Terrorabwehr ist äusserst zweifelhaft. Auch ohne die jetzt bekannt gewordenen gigantischen Spähaktionen waren die deutschen Sicherheitsbehörden doch ziemlich erfolgreich bei der Abwehr von Anschlägen. Glücklicherweise. Die Anschlagsgefahr dient häufig nur als Vorwand.
Enttäuscht die Obama-Regierung Sie persönlich?
Ströbele: Eindeutig ja. Und dies immer mehr. Von dem Anwalt für Bürger- und Menschenrechte namens Obama, von dem Kriegsgegner scheint nicht mehr viel übrig zu sein.
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