Kubas Energiekrise spitzt sich immer weiter zu. Die leidgeprüfte Bevölkerung sitzt die dritte Nacht in Folge im Dunkeln. Grosse Proteste bleiben diesmal aber aus. Noch.

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Jeder Kubaner weiss, wie es klingt, wenn der Strom ausfällt. Es ist weniger ein Geräusch als das plötzliche Nachlassen eines ständigen, leisen Brummens – ähnlich wie das Herunterfahren eines Computers. Dann beginnt das Pfeifen der Polizisten, die an den grösseren Kreuzungen wegen des Ausfalls der Ampeln den Verkehr leiten.

Die Bewohner des Karibikstaats sind mit alldem wohl vertraut, weil ihre Heimat seit mehreren Jahren eine schwere Energiekrise durchmacht. In Teilen der von der Kommunistischen Partei regierten Insel fällt der Strom regelmässig mehr als zwölf Stunden am Tag aus – vor allem in der heissesten Zeit des Jahres, wenn der Bedarf am grössten ist.

Die Wärmekraftwerke sind alt und in schlechtem Zustand, es fehlt an Kraftstoff und an den Mitteln für eine vernünftige Instandhaltung. In den vergangenen Tagen ist das Netz mehrfach kollabiert und die Elektrizität im ganzen Land ausgefallen. Zehn Millionen Kubanerinnen und Kubaner verbrachten die dritte Nacht in Folge ohne Elektrizität.

In der Hauptstadt Havanna sitzen viele Menschen vor ihren Häusern, auf öffentlichen Plätzen oder auf der Ufermauer am Meer beisammen, während die einsetzende Freitagnacht die Metropole in Finsternis hüllt. Aus verschiedenen Richtungen sind Stimmen und Gelächter aus unsichtbaren Quellen zu hören.

Beleuchtet sind Hotels und Krankenhäuser, die Generatoren haben. Sonst spenden nur Autoscheinwerfer grelles Licht. Fussgänger, deren Handys noch aufgeladen sind, schalten deren Taschenlampen an, um auf den brüchigen und nach dem Regen rutschigen Gehwegen nicht zu stürzen oder umzuknicken.

Regierung scheitert schon an der Kommunikation der Massnahmen

In Havanna sind Stromausfälle seltener als im Rest des Karibikstaates, vor allem die touristischen Stadtviertel versucht man zu verschonen. Zuletzt verschlimmerte sich die Krise aber auch dort, der Strombedarf des Landes wurde nur noch gut zur Hälfte gedeckt.

In der Hauptstadt ging zuletzt jeden Tag für mehrere Stunden der Strom aus. Donnerstagnacht (Ortszeit) verkündete die Regierung Massnahmen, um Strom und Sprit zu sparen. Alles was nicht unbedingt nötig sei, solle vorerst eingestellt werden.

Ministerpräsident Manuel Marrero stellte die Massnahmen in einer Fernsehansprache vor, die wegen technischer Probleme bei der Verbindung zwischen Havanna und Santiago de Cuba, der zweitgrössten Stadt des Landes, mit etwa zwei Stunden Verspätung begann. Als Marrero schliesslich erschien, war die Übertragung gestört, so dass man vieles von dem, was er sagte, nicht hören konnte.

Spott und Zorn in sozialen Medien

In den sozialen Medien wurde er dafür mit Spott und Zorn überschüttet – für einige Kubaner veranschaulicht der missglückte Auftritt die ganze Inkompetenz der Regierung. Als dann am Freitagvormittag nach Regierungsangaben auch noch eines der wichtigsten Kraftwerke unerwartet vom Netz ging, war das Chaos perfekt: totaler Stromausfall.

Erst nach mehr als 30 Stunden ging in vielen Teilen Havannas der Strom wieder an, nur um wenige Stunden später wieder auszufallen. Aus anderen Gegenden Kubas melden Nutzer der Plattform X, bei ihnen sei der Blackout ununterbrochen weitergegangen. Viele Haushalte brauchen Strom für elektrische Pumpen, damit überhaupt Wasser aus dem Hahn kommt.

Die Behörden setzten den Unterricht und andere Geschäftstätigkeiten bis Mittwoch aus, nur Krankenhäuser und weitere wichtige Dienste für die Bevölkerung sollten den Betrieb aufrechterhalten.

Wirbelsturm "Oscar" verschärft die Lage

Während Kuba die zweite Nacht in Folge im Dunkeln verbrachte, bewegte sich ein Hurrikan auf den Osten der Insel zu. Auch vor Havanna war das Meer stürmisch; auf der Ufermauer konnte man nicht mehr sitzen, ohne völlig durchnässt zu werden.

Als Hurrikan der Kategorie eins erreichte "Oscar" am Sonntag mit Windgeschwindigkeiten von fast 130 Kilometern pro Stunde die Ostküste des Inselstaats, bevor er in der Nacht zum Montag zum Tropensturm herab gestuft wurde, wie das US-Hurrikanzentrum (NHC) mitteilte.

"Oscar" traf dem NHC zufolge am Sonntag um 17:50 Uhr Ortszeit (23:50 Uhr MESZ) auf Land. Dem kubanischen Staatsfernsehen zufolge waren die Wellen in der Nähe der Stadt Baracoa im äussersten Osten Kubas fast vier Meter hoch. Dächer und Hauswände wurden beschädigt, Strommasten und Bäume umgeweht.

Präsident Miguel Díaz-Canel Bermúdez hatte die Einwohner vor dem Hurrikan gewarnt und erklärt, die Behörden arbeiteten "mit Hochdruck daran, die Bevölkerung und die wirtschaftlichen Ressourcen" vor "Oscar" zu schützen.

Präsident warnt Bevölkerung vor Protesten

Zugleich warnte er vor Protesten gegen die Stromausfälle. Die Regierung werde keine Unruhen dulden, so Díaz-Canel. Einige Leute hätten am Samstagabend versucht, "die öffentliche Ordnung zu stören", sagte der in eine Militäruniform gekleidete Präsident auf einer Pressekonferenz, die vom Fernsehen übertragen wurde. Die Regierung werde gegen die Verantwortlichen "mit der Strenge der revolutionären Gesetze" vorgehen, drohte er.

Trotzdem gingen Bewohner der Hauptstadt Havanna in mehreren Stadtteilen auf die Strasse, um ihrer Unzufriedenheit Luft zu machen, wie Fotografen der Nachrichtenagentur AFP beobachteten.

"Macht das Licht an", riefen Dutzende Menschen, unter ihnen Frauen mit Kindern auf dem Arm, die im Viertel Santo Suárez mit Kochtöpfen laut protestierten. Im Zentrum von Havanna wurden Barrikaden aus Müll errichtet. In Onlinenetzwerken veröffentlichten Nutzer Videos von einer Demonstration in Manicaragua im Landesinneren, die AFP zunächst nicht auf ihre Echtheit überprüfen konnte.

Kuba steht so schlecht da wie vor Castros Machtübernahme

Kuba erlebt derzeit seine schlimmste Wirtschaftskrise seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, seines ehemals wichtigsten Verbündeten. Präsident Díaz-Canel schreibt auf X, der "Wirtschaftskrieg" der USA sei die Hauptursache für Kubas "Energienotstand", weil er es dem Karibikstaat erschwere, Kraftstoff und andere für die Stromerzeugung nötige Güter zu importieren.

Die autoritär regierenden Kommunisten machen die Sanktionen des grossen Nachbarlandes, die sie als "Blockade" bezeichnen, für viele Probleme verantwortlich. Das US-Handelsembargo gegen Kuba besteht seit mehr als 60 Jahren. Hinzu kommen weitere Sanktionen – Kuba ist auch eines von nur vier Ländern auf der Liste des US-Aussenministeriums, das als staatlicher Förderer des Terrorismus eingestuft wird.

Für die aktuelle Wirtschaftskrise, eine der schwersten seit Fidel Castros Revolution von 1959, gibt es aber auch noch andere Gründe: zu wenig Tourismus, zu wenig Unterstützung durch das verbündete Venezuela wegen der dortigen Krise und nicht zuletzt die ineffizient organisierte Wirtschaft.

Fast alles muss importiert werden – selbst das wichtige Erzeugnis Zucker reicht nicht mehr für den internen Bedarf. Das Problem: Selbst dazu fehlt es dem Einparteienstaat an Devisen. Neben Lebensmitteln und Kraftstoff sind auch Medikamente knapp. Massenhaft verlassen die Kubaner das Land. Allein in den Jahren 2022 und 2023 schrumpfte die Bevölkerung nach offiziellen Zahlen um fast zehn Prozent.

Nicht der erste inselweite Stromausfall

Der bisher letzte inselweite Stromausfall ereilte Kuba nach dem Durchzug des Hurrikans "Ian" vor gut zwei Jahren. Damals dauerte es für die meisten Haushalte in Havanna fünf Tage, bis die Lichter wieder angingen. Viele verloren dadurch das wenige Essen, das sie im Kühlschrank oder in der Tiefkühltruhe hatten. Es kam zu mehreren kleinen Protesten, die von den Sicherheitskräften schnell und gewaltsam beendet wurden.

Die bislang grössten Proteste seit der Revolution fanden am 11. und 12. Juli 2021 statt. Tausende Menschen demonstrierten damals für Freiheit und gegen Misswirtschaft, der Anlass waren ebenfalls Stromausfälle. Wohl auch, um Ähnliches zu verhindern, zeigt die Polizei in Havanna derzeit erhöhte Präsenz.

Viele Kritiker sitzen im Gefängnis, die Dissidenten im Exil

Noch immer sitzen Hunderte der Demonstranten, die vor drei Jahren mit marschiert sind, im Gefängnis. Die meisten bekannten Dissidenten sind entweder ebenfalls in Haft oder im Exil.

Die leidgeprüften Kubaner machen das Beste aus ihrer schlechten Lage – sie sind wahre Meister darin, notgedrungen. Schlafen fällt wegen der Hitze ohne Ventilator oder Klimaanlage allerdings schwer.

Wie ruhig es bleiben wird, dürfte wohl auch damit zusammenhängen, wann die Lichter wieder angehen. Energieminister Vicente de la O Levy verkündete am Sonntag vor Journalisten, die Stromversorgung werde für die meisten Landsleute bis Montagabend wiederhergestellt sein. "Der letzte Kunde wird wahrscheinlich am Dienstag wieder Strom haben."

Es werde unermüdlich an der Behebung des massiven Stromausfalls gearbeitet, versichert Präsident Díaz-Canel. Über den strukturellen Energienotstand schweigt er sich allerdings lieber aus. (Nick Kaiser, dpa/AFP/bearbeitet von ank)

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