Muss die EU sich stärker in den Konflikt um Seegebiete im östlichen Mittelmeer einmischen? Und wenn ja: wie? Mit dieser Frage beschäftigt sich der EU-Gipfel in Brüssel. Zuletzt waren sich nicht einmal Deutschland und Frankreich einig.

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Die Drohkulisse für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan war in den vergangenen Wochen sorgsam aufgebaut worden. Falls sich die Türkei im Seegebietsstreit mit den EU-Ländern Griechenland und Zypern nicht kompromissbereiter zeigt und weiter in umstrittenen Zonen Erdgaserkundungen vornimmt, kommt beim nächsten EU-Gipfel das Thema Sanktionen auf den Tisch - so lautete die Ansage aus Brüssel in Richtung Ankara. Präzise listete der EU-Aussenbeauftragte Josep Borrell auch auf, was das bedeuten könnte: Hafenverbote für türkische Schiffe, Handelsbeschränkungen oder sogar Sanktionen gegen ganze Wirtschaftsbereiche. Das Motto: Wir wollen Dialog, aber irgendwann ist auch die Geduld der EU am Ende.

Haben die deutlichen Worte an Erdogan gewirkt? Zum Auftakt des EU-Gipfels am Donnerstag in Brüssel sah alles danach aus. Bereits vor rund zweieinhalb Wochen hatte die Türkei bekannt gegeben, ihre umstrittenen Erdgaserkundungen in von Griechenland beanspruchten Meeresgebieten zu unterbrechen. In der vorigen Wochen folgte dann nach intensiven Vermittlungsbemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sogar die Ankündigung, dass Sondierungsgespräche über eine Beilegung des Konflikts mit Athen aufgenommen.

Merkel: "Wir setzen uns dafür ein, Spannungen friedlich zu lösen"

Während der Gipfelberatungen am Donnerstag kam dann auch noch die Nachricht, dass sich Griechenland und die Türkei in von der Nato vermittelten Gesprächen auf einen Mechanismus zur Vermeidung militärischer Zwischenfälle im östlichen Mittelmeer geeinigt haben. Unter anderem soll eine "Hotline" eingerichtet werden, um Konflikte auf See und in der Luft zu vermeiden. Der Mechanismus könne auch dazu beitragen, Raum für weitere diplomatische Bemühungen zu schaffen, kommentierte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Merkel legte beim Gipfel ebenfalls den Schwerpunkt auf Deeskalation. "Wir setzen uns dafür ein, Spannungen friedlich zu lösen", sagte sie. Bei dem Konflikt in der Ägäis spiele für sie die Diplomatie eine herausragende Rolle.

Vor Zyperns Küste laufen immer noch türkische Erdgaserkundungen

Wie schwierig die ist, zeigt allerdings der Fall Zypern. Weil vor der Küste des kleinen EU-Landes noch immer türkische Erdgaserkundungen laufen, verlangt die Regierung in Nikosia neue EU-Sanktionen gegen die Türkei. Etliche Staaten sind allerdings der Ansicht, dass neue Türkei-Sanktionen eher kontraproduktiv sein dürften und zudem das Risiko bergen, dass Ankara mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik zurückschlägt. Folge könnte dann ein stark steigender Druck auf die EU-Aussengrenzen in Ländern wie Griechenland sein.

Hinter den Kulissen wird zudem darauf verwiesen, dass es keineswegs klar ist, ob ein internationales Gericht den Gebietsansprüchen von Griechenland und Zypern überhaupt vollständig recht geben würde. Demnach sind die Erdgaserkundungen der Türken vor einer Klärung der Ansprüche zwar ganz klar eine unnötige Provokation. Vielleicht aber eben gar nicht grundsätzlich illegal.

Die Türkei vertritt die Ansicht, dass sie nur in Gebieten nach Erdgas sucht, die zu ihrem Festlandsockel gehören. Griechenland und Zypern sind hingegen der Meinung, dass die Gebiete nach dem internationalen Seerechtsübereinkommen Teil ihrer sogenannten ausschliesslichen Wirtschaftszone seien. Das Problem ist aber, dass die Türkei diesem Abkommen nie beigetreten ist.

Kurz fordert Sanktionen, Merkel will konstruktives Verhältnis

Zusätzlich kompliziert wird die Lage noch dadurch, dass sich nicht einmal die beiden einflussreichsten EU-Staaten Deutschland und Frankreich einig darüber sind, wie man mit der Türkei umgehen sollte. Während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zur symbolischen Unterstützung Griechenlands sogar zusätzliche Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer schickte und offen gegenüber zusätzlichen Türkei-Sanktionen ist, bemühte sich die Bundeskanzlerin darum, die Streitparteien wieder an einen Tisch zu bringen. Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz forderte ebenfalls Sanktionen der EU gegenüber der Türkei. Das "völkerrechtswidrige Verhalten" der Türkei gegenüber Griechenland und Zypern erfordere eine klare Reaktion. Dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan müsse man "endlich rote Linien” aufzeigen.

Als ein Grund für die unterschiedliche Herangehensweise gilt, dass Frankreich das östliche Mittelmeer seit langem als sein Einflussgebiet sieht und der französische Energiegigant Total im Auftrag der Republik Zypern unterseeische Erdgasvorkommen südlich von Zypern erkundet. Frankreich profitiert auch direkt von der Aufrüstung in Griechenland: Athen kündigte den Kauf von 18 französischen Rafale-Kampfjets an. In Deutschland werden hingegen eher die Gefahren gesehen, die von einer weiteren Eskalation der Spannungen mit dem für die Nato und die Flüchtlingspolitik wichtigen Partner Türkei ausgehen könnten. "Wir sind aufeinander angewiesen, wenn es um reguläre Migration geht", betonte Merkel am Donnerstag in Brüssel.

Diplomaten betonen unterdessen, dass die Differenzen zwischen Paris und Berlin gar nicht so schlecht sein könnten. Wenn die Spannungen mit der Türkei nun abnehmen, könnten sich am Ende sowohl Merkel als auch Macron als Sieger feiern, heisst es. Merkel dürfte dann für sich beanspruchen, die direkten Gespräche zwischen der Türkei und Griechenland vermittelt zu haben. Macron könnte behaupten, dass dies nur gelingen konnte, weil er vorher gezeigt habe, dass Griechenland und Zypern im Fall einer weiteren Eskalation des Konflikts auf die uneingeschränkte Unterstützung und Solidarität der Atommacht Frankreich zählen können.

Erdogan reagiert mit Häme

Präsident Erdogan meldete sich in der Türkei zu Wort und sagte: "Die Europäische Union ist als Geisel der Frechheiten Griechenlands und der griechischen Zyprer zu einem einflusslosen und oberflächlichen Gebilde ohne Weitblick verkommen." Es gebe kein einziges Problem in der Region, das auf Initiative der EU gelöst worden sei. (Ansgar Haase/Christian Böhmer/dpa/apa/ash)

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