- Peter Gregory Obi ist der aussichtsreichste Kandidat, wenn das bevölkerungsreichste Land Afrikas, Nigeria, nun einen neuen Staatspräsidenten wählt.
- Laut einer Umfrage der US-amerikanischen Nachrichtenagentur Bloomberg vom Dezember 2022 hätten sich bereits 72 Prozent der insgesamt knapp 94 Millionen Stimmberechtigen für Obi entschieden.
- Eigentlich sollten die Wahllokale am Samstag Nachmittag schliessen. Doch das verzögert sich nun deutlich.
Die Präsidentschaftswahl in Afrikas bevölkerungsreichstem Land Nigeria hat sich am Samstag angesichts der angespannten Sicherheitslage in mehreren Teilen des Landes massiv verzögert. Auch Stunden nach der offiziellen Schliessung der Wahllokale um 14.30 Uhr standen landesweit noch Tausende Wählerinnen und Wähler Schlange, um ihre Stimmen abzugeben. Nigerias Wahlbehörde INEC kündigte an, dass mehrere Wahllokale anders als geplant auch am Sonntagmorgen geöffnet würden. An anderen Orten liefen bereits Auszählungen. Erste Ergebnisse sollen schon am Sonntagmittag verkündet werden.
Mehr als 87 Millionen der rund 220 Millionen Einwohner waren für die Wahl angemeldet und hatten ihre Berechtigungskarten abgeholt - ein Rekord. Neben dem Präsidenten von Afrikas grösster Volkswirtschaft werden auch mehr als 400 Sitze in zwei Parlamentskammern neu gewählt.
Erstmals scheint es in Nigeria auf eine Stichwahl hinauszulaufen
Präsident Muhammadu Buhari (80) scheidet nach zwei Amtszeiten aus. Erstmals seit Nigerias Rückkehr zur Demokratie 1999 hat neben den Kandidaten der zwei vorherrschenden Parteien auch ein Dritter gute Chancen. Eine grosse Rolle spielt in Nigeria die Herkunft und Religionszugehörigkeit der Kandidaten. Unter den insgesamt 18 Bewerbern sind die aussichtsreichsten Kandidaten der frühere Gouverneur von Lagos, Bola Tinubu (70) von der Regierungspartei APC, sowie der frühere Vizepräsident Atiku Abubakar (76) von Demokratischen Volkspartei (PDP), der bereits zum sechsten Mal antritt. Insbesondere in grossen Städten und bei der Jugend beliebt ist zudem Peter Obi (61) von der Labour-Partei. Damit scheint erstmals eine Stichwahl um das Präsidentenamt wahrscheinlich.
Um die Wahl für sich zu entscheiden, muss ein Kandidat die meisten Stimmen landesweit und zudem mindestens ein Viertel der Stimmen in zwei Dritteln der 36 Bundesstaaten holen. Erreicht keiner dieses Ziel, kommt es drei Wochen später zur Stichwahl.
Aufstieg einer neuen Hoffnung in Nigeria
Mit dem charismatischen Politiker und Geschäftsmann Peter Obi ist erstmals ein Kandidat einer kleinen Partei mit im Rennen um das höchste Amt im Staat. Obi kandidiert für die kleine Labour Party, LP, und kommt aus dem mehrheitlich christlichen Süden des 220 Millionen Einwohner-Staates.
Er gilt zwar als Aussenseiterkandidat im Duell mit zwei etablierten Parteien, die Unterstützung einer wichtigen Wählergruppe hat er aber sicher: Grosse Teile von Nigerias Jugend wollen für den mit 61 Jahren jüngsten der drei Hauptkandidaten für das Amt des Präsidenten votieren. Er gilt im Land als Hoffnungsträger, der gegen die alten Männer in der Politik und gegen das korrupte Establishment ankämpft. Mehr als zehn Millionen Erstwähler – das Gros ist zwischen 18 und 34 Jahre alt – könnten für den früheren Gouverneur des Bundesstaates Anambra stimmen.
Um ihn ist eine grosse Bewegung entstanden, die "OBIdient"-Bewegung. Die Bewegung aus jungen engagierten Menschen will die Macht der Alten in Politik und Wirtschaft radikal reduzieren und die umstrittene wie schwache aktuelle Regierung ablösen. Die jungen Menschen sehen in Obi jemanden, der die Korruption, die Vetternwirtschaft und das eklatante Missmanagement, das das erdölreiche Land lähmt und an der Entwicklung hindert, wirkungsvoll bekämpfen kann.
Etwa zwei Drittel der nigerianischen Bevölkerung leidet, verstärkt seit der Inflation in Folge des Ukraine-Krieges, unter Hunger und Armut. Die Politik schafft es nicht, den Reichtum an Erdöl und Erdgas, den Nigeria hat, in eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu übersetzen. "Die Regierungsführung ist oft schlecht, da sie von Eigeninteressen geleitet ist. Korruption ist weit verbreitet. Wir haben aber auch eine schlechte Organisation des Sicherheitssektors. Er ist schlecht ausgestattet und von Rotation geprägt: Das soll verhindern, dass einzelne Personen zu viel Macht anhäufen", erklärt Peran.
Zudem nimmt die Desertifikation in Teilen Nigerias zu, die Böden trocknen aus. Das macht wertvolle Ackerbauflächen nicht mehr nutzbar. Der fortschreitende Klimawandel raubt somit die Lebensgrundlage von Millionen von Nigerianern. Denn auf dem Land leben die Menschen von Ackerbau und Viehzucht.
Mit der "Labour Party" gegen das Partei-Establishment
Obis Hauptkonkurrenten sind einerseits der unermüdliche Politiker und reiche Geschäftsmann Atiku Abubakar (76) von der konservativen demokratischen Volkspartei PDP. Abubakar hat im Land einen grossen Namen, tritt er doch zum sechsten Mal bei Präsidentschaftswahlen an. Gewinnbringende Seilschaften und gute Kontakte zu Medien, Verwaltung und Wirtschaft werden ihm nachgesagt. Schliesslich war er von 1999 bis 2007 Vizepräsident des Landes und seine PDP stellte seit dem Ende der Militärregierung im Jahre 1999 bis 2015 immer den Präsidenten.
Aktuell ist die PDP in der Opposition. Peter Obi kandidierte bei der vergangenen Wahl 2019 noch für die Partei, als Vize des Spitzenkandidaten Abubakar. Als die PDP Abubakar 2022 erneut zum Spitzenkandidaten kürte, wechselte Obi zur kleinen Labour Party, die die beiden grossen Parteien nun ernsthaft herausfordert.
Auf der anderen Seite steht Bola Ahmed Tinubu von der gegenwärtigen eher sozialdemokratisch geprägten Regierungs- und Präsidentenpartei, dem sogenannten Fortschrittskongress, kurz APC. Dieser stellt seit 2015 die Regierung und mit Muhammadu Buhari den aktuellen Präsidenten. Buhari darf laut nigerianischer Verfassung nach zwei aufeinanderfolgenden Amtsperioden kein drittes Mal kandidieren.
Daher wurde der 70 Jahre alte Tinubu nominiert. Er ist auch kein Unbekannter in Nigeria, war Gouverneur des Bundesstaates Lagos und ist wie Abubakar erfolgreicher Geschäftsmann.
Innen- und Sicherheitspolitik sind Hauptwahlkampfthemen
Im multiethnischen und -religiösen Nigeria – bis zu 400 Bevölkerungsgruppen sollen laut Auswärtigem Amt existieren – ist es bis dato üblich gewesen, dass auf einen muslimischen Präsidenten aus dem Norden ein Christ aus dem Süden folgen muss. Dieses Mal scheinen sich die grossen Partien nicht daran zu halten. Das hat bereits gewaltsame Unruhen provoziert und könnte nach der Wahl für weitere sorgen. Vor allem in den umkämpften Separatistenregionen im Südosten. Dort lebt die Volksgruppe der Igbo, zu der auch Peter Obi gehört. "Sie haben in Nigeria noch nie einen Präsidenten gestellt, obwohl sie die drittgrösste Volksgruppe im Land sind", sagt Nigeria-Expertin Peran.
Insgesamt war der Wahlkampf wie so oft turbulent in Nigeria. Die Wahlkampfauftritte von Peter Obi wurden schikaniert und seine Anhänger daran gehindert, an diesen teilzunehmen, berichtet etwa die taz. Sicherheitskräfte gingen ferner brutal auf Demonstranten und Wahlkämpfer los.
Nigeria ist durchzogen von Gewalt und Kriminalität, seit Jahrzehnten. Im Norden wüten Terrormilizen wie Boko Haram und "Islamischer Staat Provinz Westafrika", die für schwere Anschläge mit zahlreichen Todesopfern verantwortlich sind. Sie werden von allen politischen Parteien bekämpft, die instabile Sicherheitslage ist eines der Hauptwahlkampfthemen.
Auch ethnische Konflikte um Land und Ressourcen im Zentrum Nigerias gefährden die Sicherheitslage sowie die Separatisten im Südosten. Im Niger-Delta im Süden des Landes operieren laut Peran zudem rund um die Ölpipelines Banden, die Öl rauben. "Man geht davon aus, dass 2022 ein Fünftel der nigerianischen Ölvorkommen in kriminelle Strukturen geflossen ist", sagt Peran.
Aufgrund der schlechten Sicherheitslage stand kurzzeitig eine Verschiebung der Präsidentschaftswahl im Raum. Das ist nichts Ungewöhnliches für Nigeria.
Eine Wahl unter schwersten Bedingungen
Auch gibt es, wie ebenfalls bereits bei den vergangenen Wahlen, administrative Probleme. Wie vor vier Jahren haben auch dieses Mal wohl zahlreiche Wahlberechtigte keine Stimmkarte erhalten; andererseits wurden 2019 elf Millionen Stimmkarten nicht abgerufen, berichtete damals die BBC.
Nigeria, das sich seit Ende der Militärherrschaft 1999 trotz aller Krisen in eine Demokratie entwickelt und sich makroökonomisch stabilisiert hat, ist im Superwahljahr: Neben der Präsidentschaftswahl steht auch eine nicht weniger wichtige Parlamentswahl am kommenden Samstag an. Zwei Wochen später soll es Gouverneurswahlen in 28 von 36 Bundesländern und Parlamentswahlen aller 36 Landesparlamenten geben.
Nigeria wählt in schwierigen Zeiten: Die Wirtschaftskrise und die Sicherheitslage sind desaströs. Menschen müssen hungern, auch, weil es gegenwärtig kaum noch Bargeld gibt und somit Lebensmittel nicht bezahlt werden können. Vielerorts, vor allem auf dem Land, kann in Supermärkten oder auf dem Markt nur in bar bezahlt werden. Überdies ist Benzin knapp. Kilometerlange Schlangen vor Tankstellen zeugen davon.
Verwendete Quellen:
- auswaertiges-amt.de: Nigeria: Politisches Porträt
- "LoNam" – das Afrika-Magazin: Junge Wählerschaft hofft auf Veränderung, Ausgabe Februar/März, Nr. 6 /Jahrgang 18
- taz.de: Kleine Partei im Höhenflug
- taz.de: Kämpfen um den letzten Schein
- fr.de: Nigeria: "Es herrscht viel Misstrauen"
- BBC.com: "Nigerian elections 2019: is the country prepared?"
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