Für einen grossen Teil der mehr als 2 Millionen Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz leben, ist die Durchsetzungsinitiative zur Ausschaffung "krimineller Ausländer" unhaltbar, weil sie damit vor dem Gesetz zu Bürgern zweiter Klasse würden. Es gibt jedoch auch Stimmen, die sich für ein hartes Vorgehen gegenüber der "kriminellen" Minderheit aussprechen, weil diese dem Ruf der Migranten insgesamt schade.

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Dieses Bild ergaben die Antworten auf einen Aufruf in verschiedenen Sprachen auf der Facebook-Seite von swissinfo.ch – die Umfrage war natürlich nicht repräsentativ. Die Meinungsäusserungen erlauben aber dennoch einen Einblick in die hitzigen Debatten, die in den verschiedenen Ausländer-Gemeinschaften der Schweiz einen Monat vor der Abstimmung über die sehr umstrittene SVP-Initiative geführt werden, die auf eine automatische Ausschaffung "krimineller Ausländer" abzielt, Einzelfallprüfung und richterlicher Ermessensspielraum würden praktisch ausgehebelt.

Die geäusserten Meinungen gehen ziemlich auseinander. Bei den Befürwortern der Initiative fällt das Urteil gegenüber der Minderheit der "schwarzen Schafe" hart aus: Diese schadeten dem Bild all jener, die versuchten, in einem Land, das nicht ihr eigenes sei, ein neues Leben aufzubauen. "Ich bin der Ansicht, dass es richtig ist, Ausländer, die in der Schweiz leben, auszuweisen, wenn sie Straftaten begehen. Dieses Land offeriert vielen Menschen die Möglichkeit eines besseren Lebens, die es oft nicht verdient haben", erklärt Alessandro, ein Italiener, der in der Schweiz lebt. "Kriminelle haben in der Schweiz keinen Platz", fügt Zakaria hinzu.

Auch Ana, die aus Brasilien eingewandert ist, zeigt sich unnachgiebig. "Es ist richtig, dass eine Person, die ein Delikt begangen hat, auch wenn es eher gering war, automatisch in ihr Heimatland zurückgeschickt wird. Die Schweizer müssen ihr Land beschützen." Angelica, die aus Spanien stammt, findet ihrerseits, die Initiative sei "perfekt", während Marco sie als "annehmbar" einstuft.

"Kollateralschäden"

Genau so klar, aber oft argumentativer, lassen die Meinungen der Widersacher der SVP-Initiative einen starken Unmut gegenüber den vielen Initiativen erkennen, welche die stärkste Partei der Schweiz in den letzten Jahren alle lanciert hat. "Die SVP ist eine populistische Partei, welche die Glut dieser Situation in Europa schürt. Vergessen wir nicht, dass die gleiche Partei nicht gezögert hatte, auf ihren Plakaten Fremde mit Ratten zu vergleichen", schrieb zum Beispiel Stefano, der aus Italien stammt.

Die Portugiesin Cathy ist in der Schweiz geboren und hat hier ihr Hochschulstudium abgeschlossen. Diese Initiative mache sie "traurig", erklärt sie. Und an die Adresse der Bürgerinnen und Bürger, die am 28. Februar das Recht haben, über die Initiative abzustimmen, erklärt sie: "Vertrauen Sie dem in der Schweiz etablierten System und überspannen Sie den Bogen mit dieser Übertreibung der Ausschaffungsbedingungen nicht." Zudem prangert sie die "Kollateralschäden" der Initiative an, die zur Folge hätte, dass "völlig integrierte Secondos, die weit davon entfernt sind, der Definition von Kriminellen zu entsprechen, die der Gesellschaft schaden", auch ausgewiesen werden könnten.

Roberta ihrerseits hat das Gefühl, dass die Initiative zwei Klassen von Bürgern vor dem Gesetz schaffen würde. "Wieso sollte jemand, der hier geboren und gross geworden ist, seine Ausbildung hier gemacht hat und in der Schweiz arbeitet, und dessen Eltern auch schon in der Schweiz geboren sind, als Ausländer betrachtet werden? Ist Schweizer sein denn nur eine Frage der DNA?"

Wie Fatma, die präzisiert, in der Schweiz geboren zu sein, erklären auch viele andere, sie fänden es normal, Ausländer auszuweisen, die schwere Verbrechen begangen hätten, wie das zudem heute schon der Fall sei. "Aber damit die Dinge korrekt ablaufen, und nicht nur zu schlecht und recht rassistischen Zwecken erfolgen, muss sämtlichen Faktoren Rechnung getragen werden – etwa der Art des Vergehens und der Dauer des Aufenthalts im Lande. Die vorgeschlagene Regelung kann jedoch ungerecht oder willkürlich werden und riskiert, in die Hände von Faschisten zu fallen."

"Gefährliche Initiative"

Dieses Gefühl herrsche auch unter den Menschen aus dem Balkan in der Schweiz vor, egal welcher politischen Ausrichtung, erklärt Bashkim Iseni, Politologe und Chefredaktor der Website albinfo.ch. "Die grosse Mehrheit unserer Leser realisiert, dass diese Initiative wirklich sehr weit geht, und dass bei einer Annahme alle davon betroffen sein könnten. Die SVP wirft in der Tat einen Kriminaltouristen in den selben Topf wie jemanden, der das ganze Leben in der Schweiz verbracht hat und für einen Moment auf Abwege geraten sein könnte."

Bashkim Iseni zitiert das Beispiel einer Putzfrau, die wegen überhöhter Geschwindigkeit verurteilt wurde und einige Jahre später nochmals, weil sie bei der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV) nicht ihr ganzes Einkommen angegeben hatte – und die im Fall einer Annahme der Initiative automatisch ausgewiesen würde.

"Ich hänge persönlich an der Ordnung, der Sicherheit und den Chancen auf eine friedliche Existenz, die uns dieses Land bietet. Aber diese Initiative ist gefährlich, denn sie rüttelt an den Grundlagen des Rechts in der Schweiz, indem sie zwei Kategorien von Bürgern schafft. Richter hätten nicht mehr die Möglichkeit, eine Situation individuell zu beurteilen. Ich habe Erfahrungen mit einer Gesellschaft, in der eine gewisse Willkür herrschte, ich kann mir nicht vorstellen, dass dies in der Schweiz der Fall sein könnte", sagt Bashkim Iseni weiter, der in Mazedonien als Sohn kosovarischer Eltern geboren wurde und im Alter von 18 Jahren in die Schweiz auswanderte.

Impfstoff gegen Fremdenfeindlichkeit

Sandro Cattacin, Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts der Universität Genf, ist überzeugt: Eine grosse Mehrheit der Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz leben, würden gegen die Initiative der SVP stimmen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. "Allgemein ist eine Migrationserfahrung etwas wie ein Impfstoff gegen Fremdenfeindlichkeit", sagt er.

Es gebe aber auch Ausnahmen. "Unter den Italienern und Spaniern eines gewissen Alters, die in den 1970er-Jahren sehr strikten Regeln unterworfen waren – der kleinste Fehler konnte einem den Arbeitsplatz und damit die Aufenthaltsbewilligung kosten – , kann ein schlecht verdautes Gefühl der Ungerechtigkeit zum Ausdruck kommen. Sie sagen sich: 'Wir erlebten das, wieso sollten wir mit Leuten, die später kamen, netter sein?'", erklärt Sandro Cattacin.

Bei der zweiten Generation zeigt sich nach Ansicht des Soziologen eher ein Gefühl der Frustration. "Einige glauben, sie hätten alles getan, um sich richtig zu verhalten, fühlen sich aber dennoch diskriminiert. Darauf geht dieser Wille zurück, um zu jedem Preis als 'guter' Ausländer zu gelten, indem man 'schlechte Ausländer' angreift, auf die Gefahr hin, die eigene Identität und die eigenen Erfahrungen zu verneinen."


(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch), swissinfo.ch   © swissinfo.ch

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