Seit einem Jahr gilt die Balkanroute als geschlossen. Doch nach wie vor versuchen Flüchtlinge ihr Glück auf diesem Weg. Andere hängen noch immer dort fest. Und ausgerechnet die Schlepper profitieren von dieser Situation.

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Vorher. Nachher. Wie hat sich die Situation entlang der Balkanroute im vergangenen Jahr verändert? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was führte zur Schliessung der Balkanroute?

2015 war die Strecke von Griechenland über den Balkan die wichtigste Route für Flüchtlinge auf dem Weg nach Mitteleuropa. Laut Zahlen von Frontex, der Grenzschutzagentur der Europäischen Union, überquerten 2015 insgesamt rund 764.000 Menschen dort die Grenzen.

Da sich an den Übergängen die Menschenmassen stauten, waren die Bedingungen dort besonders schwierig. Im im griechischen Dorf Idomeni an der Grenze zu Mazedonien etwa hausten zeitweise über 5.000 Menschen unter katastrophalen Umständen in einer improvisierten, hoffnungslos überfüllten Zeltstadt.

Um die Flüchtlingszahlen zu senken, riegelten die Staaten ihre Grenzen nach und nach ab. Zuerst Ungarn, später auch Kroatien, Serbien und Mazedonien. Seit dem 9. März 2016 gilt die Route als geschlossen.

Ist die Route wirklich dicht?

Mit Stacheldraht und anderen Mitteln haben verschiedene Länder entlang der Route ihre Grenzanlagen verstärkt und erweitert. Insgesamt sollen die Grenzzäune auf dem Balkan eine Länge von rund 525 Kilometern haben. Auch Bulgarien, das zwischenzeitig als Ausweichland galt, hat seine Grenzen gesichert.

Staaten wie Ungarn arbeiten weiterhin daran, Flüchtende fernzuhalten – oder ihnen den Aufenthalt im Land zu erschweren. Am Dienstag entschied das Parlament in Budapest, dass Flüchtlinge dort keine Bewegungsfreiheit mehr haben. Faktisch werden sie in Containersiedlungen in der Nähe der serbischen Grenze festgehalten.

Hundertprozentig unpassierbar ist die Balkanroute aber nicht. "In Serbien kommen immer noch jeden Tag neue Flüchtlinge an, die aus Mazedonien oder Bulgarien über die Grenze kommen. Aber insgesamt ist das deutlich schwieriger geworden", berichtet Marc Speer im Gespräch mit unserer Redaktion.

Er beobachtet derzeit für den gemeinnützigen Verein bordermonitoring.eu die Lage auf dem Balkan. Mit Hilfe von Schleusern gelinge es Menschen immer noch, die Grenzen zu überschreiten.

Allerdings stossen die meisten Flüchtlinge auf teils gewaltsamen Widerstand an den Übergängen. "Sie werden an den Grenzen zurückgeschoben, aus Ungarn auch sehr gewaltsam", sagt Speer. "Es ist inzwischen fast der Regelfall, dass die Leute dort verprügelt werden, natürlich auch zur Abschreckung."

Wie viele Menschen hängen auf dem Balkan fest?

Als die Route vor einem Jahr geschlossen wurde, waren dort noch Menschen unterwegs. Viele von ihnen blieben an den geschlossenen Grenzen hängen, wollten oder konnten aber auch nicht zurück.

Bis heute sollen in Serbien nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR etwa 7.800 Flüchtlinge festhängen, laut Marc Speer sprechen Organisationen auch von 10.000 Menschen. Mehr als 1.000 Flüchtlinge hausen unter notdürftigen und schwierigsten Bedingungen rund um den Hauptbahnhof von Belgrad.

"Familien können über sogenannte Transitzonen noch legal nach Ungarn einreisen. Allerdings müssen sie Monate darauf warten", erklärt Speer. Für allein reisende Männer ist die Chance auf eine Weiterreise dagegen praktisch gleich Null. "Wenn man mit dieser Gruppe spricht, hört man von fast jedem, dass er drei, viermal versucht hat, über die Grenzen zu kommen – erfolglos."

Noch grösser ist die Zahl der Menschen, die in Griechenland festsitzen: Dort sollen es rund 60.000 sein.

Hat die Schliessung Schleppern das Handwerk gelegt?

Das Geschäft der Schlepper ist gefährlicher und risikoreicher geworden. Allerdings können sie weiterhin Geld verdienen – auf eine gewisse Weise profitieren sie sogar von der Schliessung der Route. Denn da sie auf dem Land verlief, war die Strecke zuvor für Flüchtlinge vergleichsweise einfach zu passieren.

"Als die Balkanroute noch offen war, waren die Schlepper eher aus dem Geschäft", erklärt Marc Speer. Jetzt, da der Grenzübertritt so schwierig geworden ist, setzen die Flüchtlinge hingegen wieder auf deren Hilfe. "Die Nachfrage ist gross, das Angebot sehr klein. Deswegen können Schlepper horrende Preise verlangen."

Haben sich Ausweichstrecken gebildet?

Insgesamt kommen im Mitteleuropa viel weniger Flüchtlinge an als noch vor einem Jahr. Das hat auch mit dem sogenannten Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei zu tun, in dessen Folge deutlich mehr Flüchtlinge in Lagern in der Türkei bleiben. Migration gibt es aber weiterhin.

Seit der Schliessung der Balkanroute spielt vor allem die sogenannte zentrale Mittelmeerroute wieder eine grössere Rolle: Dort gelangen Flüchtlinge mit Hilfe der teils hochgefährlichen Bootsfahrt etwa von Libyen aus über das Mittelmeer nach Europa. Immer wieder kommt es dabei zu Unglücken, bei denen Menschen ertrinken.

Die EU-Agentur Frontex hat im gesamten Jahr 2016 rund 180.000 Grenzübertritte auf dieser Route gezählt – etwa 27.000 mehr als 2015 (einen Überblick über die Migrationsrouten erhalten Sie hier). Allein im Januar 2017 kamen laut Frontex rund 4.400 Menschen auf dieser Route über das Mittelmeer. Das waren zwar weniger als im Vormonat – das hatte aber wohl vor allem mit dem schlechten Wetter zu tun.

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