- Die Kosten für die Folgen des Klimawandels werden immer höher. Die Entwicklungsländer ächzen unter den Klimaschäden.
- Bei der Klimakonferenz verhandeln Industrie- und Entwicklungsländer über gerechte Hilfszahlungen.
- Deutschland könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen.
Der Klimawandel ist eine ungerechte Angelegenheit. Entwicklungsländer, die kaum Treibhausgase ausgestossen haben, müssen mit verheerenden Klimaveränderungen und Katastrophen umgehen. Von den Industrieländern, die den Klimawandel verursacht haben, fordern sie beim Klimagipfel in Scharm el Scheich Entschädigungsleistungen.
Bislang sträuben sich die Verursacher gegen angemessene Zahlungen. Sabine Minninger beobachtet als Klimareferentin von Brot für die Welt die Verhandlungsrunden: "Wir sind noch weit davon entfernt, von Klimagerechtigkeit zu reden," sagt Minninger im Interview mit unserer Redaktion.
Die Verursacher der Klimakrise müssten endlich "Verantwortung übernehmen". Das heisst konkret: Sie müssen finanzielle Hilfen für Anpassungsmassnahmen und die Bewältigung unvermeidbarer Klimaschäden bereitstellen.
Die Welt steht vor einer riesigen Schutzlücke
Im Pariser Klimaabkommen hatten die Industriestaaten 100 Milliarden US-Dollar jährlich für Anpassungsmassnahmen versprochen. Dieses Versprechen wurde gebrochen. Der Fond wurde 2020 lediglich mit 83 Milliarden Dollar gefüllt. Auch Deutschland hat daran seinen Beitrag. Sein gerechter Anteil am Fonds wird von der Zivilgesellschaft laut Minninger auf circa 10 Milliarden Dollar geschätzt. Gezahlt hat Deutschland nur 5,3 Milliarden.
2023, so versprechen es die Industrieländer jetzt, werden die 100 Milliarden jährlich für Anpassungsmassnahmen erstmals erreicht. Das Geld kann allerdings oft nicht für diese Massnahmen verwendet werden: "Die Klimaschäden kannibalisieren alle Geldtöpfe zur Klimaanpassung," erklärt Minninger. Nur 11 Prozent des Bedarfs an Geld für Anpassung seien deshalb im Moment gedeckt. Laut Minninger eine "Riesen-Schutzlücke".
Die deutsche Regierung hat deshalb mit anderen Staaten vor dem Klimagipfel einen globalen Schutzschirm vorgeschlagen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze erklärte im Interview mit unserer Redaktion, dass der Schirm "schnelle Hilfe" bieten solle. Er funktioniere wie ein "soziales Sicherungssystem", das im Katastrophenfall eingreife. Deutschland stellt 170 Millionen Euro dafür bereit.
Minninger begrüsst die Initiative, betont aber auch: "Das ersetzt nicht die Verhandlungen über die Klimaschäden, bei denen es um dreistellige Milliardenbeträge geht." Bislang seien die deutschen Zusagen nicht ausreichend, stellt sie fest.
Minninger: "Deutschland ist Vorreiter"
Trotzdem sieht Minninger Deutschland in den Verhandlungen bei der Klimakonferenz in Scharm El-Scheich in einer wichtigen Vermittlerrolle. Deutschland sei "Vorreiter in der Bereitstellung von Klimafinanzierung" und werde als "verlässlicher Partner" von vielen Entwicklungsländern geschätzt.
Nicht umsonst leitet Jennifer Morgan aus dem deutschen Aussenministerium die Verhandlungen zur Klimafinanzierung.
Auf der einen Seite stehen dabei die Forderungen der Entwicklungsländer. Geschlossen fordern die einen neuen Finanzmechanismus, der auf oberster politischer Ebene koordiniert wird und die Klimaschäden für die Entwicklungsländer kompensiert.
Industrieländer wollen "schlanke Lösungen"
Auf der anderen Seite stehen die Industrieländer. Deren Vertreter gehen bislang nicht auf diesen Vorschlag ein. Minninger ist bei den Verhandlungsrunden dabei und berichtet, dass die Industriestaaten auf "schlanke Lösungen" abzielen. Das heisst: Kein neuer Mechanismus, sondern eine Aufstockung der aktuellen Hilfen – in welcher Höhe ist noch unklar.
Schätzungen zufolge wird der Klimawandel ab 2030 jährlich Schäden in Höhe von 290 bis 580 Milliarden US-Dollar in den Entwicklungsländern verursachen. Die Flutkatastrophen in Pakistan und Nigeria zeigen die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels. Allein wirtschaftlichen Folgeschäden der Flut in Pakistan werden auf 30 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Eine Kompensation für die Entwicklungsländer sei laut Minninger auch im Interesse der Industriestaaten. Wenn zu wenig geholfen wird, sieht sie die Gefahr, dass Staaten wegen der Klimakrise kollabieren und zu sogenannten "Failed States" werden. Das hätte enorme Auswirkungen auf die internationale Stabilität und den Frieden in der Welt.
Kompensation von Klimaschäden zum ersten Mal auf der Agenda
Minninger äussert sich vorsichtig optimistisch, dass eine Einigung erzielt werden könne. Immerhin brächten die Industriestaaten dieses Jahr "Verständnis" für die schwierige Lage der Entwicklungsländer auf. Das ist daran zu sehen, dass das Thema der Kompensation von Klimaschäden zum ersten Mal überhaupt auf der Agenda steht.
In der ersten Woche der Klimakonferenz habe sich noch niemand in die Karten schauen lassen. "Erst in der zweiten Woche wird wirklich verhandelt. So richtig geht es erst in der letzten Nacht los", erklärt sie die Verhandlungstaktik der Industrieländer, die sie schon von vorherigen Klimakonferenzen kennt.
China nimmt "interessante Rolle" ein
Ein zentrales Problem, bei den Verhandlungen ist die ungleiche Rollenverteilung "Die ärmsten Staaten haben nichts, was sie auf den Verhandlungstisch legen können", beklagt Minninger. Schwellenländer wie Indien oder China haben als relevante Emittenten zumindest ein Druckmittel. Denn ohne die zwei bevölkerungsreichsten Länder der Welt ist effektiver Klimaschutz nicht zu machen.
China habe ohnehin eine "interessante Rolle" bei den Verhandlungen. Das Schwellenland ist aktuell für fast ein Drittel der weltweiten Emissionen verantwortlich. China argumentiert aber damit, dass der historische Anteil an den Emissionen deutlich geringer ist. Deshalb sieht Xi Jinping sein Land nicht auf der Seite der Geberländer, sondern beantragt Geld aus dem Fonds.
Vor dem Hintergrund internationaler Spannungen dürfte eine Einigung der westlichen Staaten mit China extrem schwierig werden. Opfer dieser Lage könnten neben dem Klima mal wieder die ärmsten Länder der Welt werden.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.